Autorenfilm entsteht, wenn ein Autor alles selbst in die Hand nimmt. Dieser puristischen Definition folgt auch Rüdiger Sünner, der meist Dokumentarfilme über Themen im Grenzbereich zwischen Wissenschaft, Spiritualität und Esoterik dreht. Bei seiner Film-Biographie über Carl Gustav Jung zeichnet Sünner gleichfalls für Buch, Kamera, Schnitt und Regie verantwortlich. Aber wie verfilmt man die Vita eines Psychologen?
Sünner hat namhafte Jungianer interviewt. Verena Kast, Hinderk Emrich und Sonu Shamdasi – Herausgeber des «Roten Buchs», in dem C.G. Jung seine Träume notierte – spielen in der Jung-Forschung maßgebliche Rollen. Gary Lachman und Gerhard Wehr haben Biographien über Jung verfasst; der kirchenkritische Theologe Eugen Drewermann stützt sich ebenso auf ihn. Alle Gesprächspartner werden nicht vorgestellt: Die Aufmerksamkeit gilt allein dem Meister selbst.
C.G. Jung war einer der ersten Gefolgsleute Sigmund Freuds, brach jedoch früh mit dem Begründer der Psychoanalyse. Freud wollte das Unbewusste analytisch rationalisieren, sein Schüler hingegen sich in dessen Bilder und Vorstellungen vertiefen. Das lehnte Freud als «schwarze Schlammflut des Okkultismus» ab. Im Alleingang entwickelte Jung seine Typologie der «Archetypen», die er dem «kollektiven Unterbewussten» entspringen sah: einem Fundus uralter Mythen und Symbole, der allen Weltkulturen gemeinsam sei.
Offizieller Video-Trailer
Alle zentralen Begriffe der Jungschen Theorie erwähnt der Film, aber erläutert sie kaum – schon gar nicht im systematischen Zusammenhang. Denn Sünner ist von Jungs Persönlichkeit fasziniert: ihren «durchlässigen Zwischenwänden», die ihn bereits als Kind das mystische Band spüren ließen, das alles Seiende verknüpfe.
Reise-Reportage auf der Tonspur
Diese Haltung bewog ihn als Arzt und Psychologe zur Radikalkritik an der abendländischen Rationalität: Europas Kultur zeige ein «Raubvogelgesicht», der moderne Mensch sei «verarmt und heruntergekommen», weil er seine «unbewussten und archaischen Seiten abgespalten» habe.
Tröstliche Gegenmodelle fand Jung in den traditionellen Gesellschaften Afrikas und Südamerikas: Dort sei «das Leben des Sonnensohns kosmologisch sinnvoll», weil in den Kreislauf der Natur eingebettet. Seine ausgedehnten Reisen verfolgt der Filmemacher nur auf der Tonspur. Zur Illustration müssen Standbilder von Masken und Amuletten herhalten.
Arisches Unbewusstes mit hohem Potential
Wenn Sünner vom «träumenden Indien» raunt, in dessen Hindu-Götterhimmel «die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt», ignoriert er souverän die Ethnologie eines halben Jahrhunderts. Da feiern 300 Jahre alte Klischees vom «edlen Wilden» fröhliche Urständ.
Dagegen unterlegt der Film Drewermanns Polemik gegen den Dualismus von Gut und Böse mit neueren Fotos: von Folteropfern in Abu Ghraib. Der Mythos vom grausamen G.I. ist offenbar auch nicht totzukriegen. Zwar verschweigt Sünner Jungs eigenen Flirt mit dem Bösen nicht, als er sich 1933 von den Nazis für seine «aufbauende Seelenlehre» rühmen ließ und behauptete: «Das arische Unbewusste hat höheres Potential als das jüdische».
Alchimisten-Küchen und Unterholz-Wald
Hintergrund
Weitere Informationen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Doch dieser «Ausrutscher» trübt nicht die Ikone eines Visionärs und seinem «Vermächtnis der Versöhnung unserer Rationalität mit dem tiefsten Dunkel unserer Seele, das in Bildern spricht, dessen Sinn wir nur erahnen können». Diese Finsternis kann die Doku mit Aufnahmen von Alchimisten-Küchen und Unterholz-Wald nicht aufhellen: Sie bleibt ein dürftig bebildertes Hörspiel.
Das taugt allenfalls zur ersten Einführung in Jungs Leben und Werk. Wer seine komplexe und widersprüchliche Lehre verstehen will, muss lesen: Den besten Einstieg bietet die Biographie von Gary Lachman.