Straßen sind wie Lebensläufe. Sie gehen in alle möglichen Richtungen, sind mal eben, mal holprig – und können sich auch kreuzen. Der Titel des neuen Films von Schauspieler und Regisseur Sebastian Schipper ist daher nicht nur als Metapher zu verstehen. Ganz konkret begegnen sich der 17-jährige William (Stéphane Bak) und der 18-jährige Gyllen (Fionn Whitehead) auf einer Straße in Marokko.
Info
Roads
Regie: Sebastian Schipper,
100 Min., Deutschland 2019;
mit: Fionn Whitehead, Stéphane Bak, Moritz Bleibtreu
Freiheitswunsch und Ungewissheit
Schon sitzen die beiden in diesem Gefährt, mit den wichtigsten Zutaten eines Road Movies im Gepäck: lange Autofahrten, vorwiegend durch die Windschutzscheibe gefilmt, dazu die Ungewissheit, was am Ende ihrer Reise stehen wird. Daraus ergeben sich diverse Sorgen und Hoffnungen für die jungen Männer, die zugleich auf der Suche nach sich selbst sind; leicht entrückt, berauscht vom Wunsch nach Freiheit oder auch dem Haschisch, das ein deutscher Alt-Hippie im Wagen vergessen hat.
Offizieller Filmtrailer
Die Angst fährt mit
Das Wohnmobil, in dem der englischsprachige Film größtenteils gedreht wurde, wird zum symbolträchtigen Objekt, in dem alles möglich scheint – auch, dass sich eine Zweckgemeinschaft in eine tiefe Freundschaft verwandelt. Doch noch bevor man fürchten müsste, diese Reise werde mit Klischees überfrachtet, offenbart sich der zentrale Unterschied zu den Anfängen dieses Filmgenres in den 1960er Jahren der USA: Das Ziel, das die beiden erreichen wollen, ist kein Sehnsuchts-Ort – eher einer der Befürchtungen.
Selbst nachdem die beiden die wohl am stärksten bewachte Außengrenze Europas zwischen dem marokkanischen Tanger und dem spanischen Tarifa überwunden haben, fährt bei ihnen stets die Angst mit, erwischt zu werden – ob nun von der Polizei oder Gyllens Eltern. Dass die langen Fahrtsequenzen nie langweilig werden, ist dem Talent der beiden Hauptdarsteller zu verdanken: dem französischen Stand-Up-Comedian Stéphane Bak ebenso wie dem britischen Shootingstar Fionn Whitehead. Er wurde als Hauptfigur in Christopher Nolans Weltkriegs-Epos „Dunkirk“ (2017) und die Romanverfilmung „Kindeswohl“ (2017) nach ein Vorlage von Ian McEwan bekannt.
Whatsapp-Video vs. triste Realität
Beide beherrschen die Kunst, die durchscheinende Tragik der Situation – immerhin ist William als illegaler Einwanderer stets von Abschiebung bedroht – mit viel Sarkasmus abzufedern. Trotz des Unterhaltungswerts, den ihre Dialoge haben, offenbart sich die Realität auf eine fast dokumentarische Weise. Die Bilder beschönigen nichts; oft wirkt die Welt außerhalb des Wohnmobils unwirtlich, wie etwa die andalusische Wüste bei Nacht. Oder grau wie die Vorstädte in Nordfrankreich, wo die beiden schließlich landen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Victoria" - Berlin-Nachtleben-Thriller von Sebastian Schipper, prämiert mit Silbernem Bären 2015
und hier einen Bericht über den Film "303" - mitreißend charmantes Roadmovie über Liebe auf Umwegen von Hans Weingartner
und hier einen Beitrag über den Film "Black Brown White" - Flüchtlings-Roadmovie über illegale Einwanderung von Erwin Wagenhofer.
Hohes Erzähltempo, lahmer Soundtrack
Dabei gelingt es dem Film, die Entstehung einer Freundschaft zweier Jugendlicher, die von unterschiedlichen Kontinenten stammen und daher über unterschiedliche Privilegien verfügen, mit politisch drängenden Frage zu verknüpfen, ohne didaktisch zu wirken. Regisseur Schipper versucht gar nicht, die stets mitschwingende außerfilmische Realität in ihrer chaotischen Komplexität abzubilden; er spiegelt sie lediglich in den beiden Biographien. So verbindet der Film gekonnt Makro- mit Mikropolitik.
Trotz der rigiden europäischen Migrationspolitik, die als Thema mitschwingt, erzählt er vor allem eine nie allzu rührselige Coming-of-Age-Geschichte. Dass für das innere Brodeln der Protagonisten und die vorbeiziehenden Landschaften ein uninspirierter Soundtrack der sonst innovationsfreudigen Band „The Notwist“ als melancholischer Geschmacksverstärker herhalten soll, nimmt der Geschichte jedoch einiges an Dringlichkeit.
Wie jugendliches Erleben
Die Trägheit der akustischen Ebene kann mit dem hohen Tempo der Erzählung nicht mithalten. So begleitet „Roads“, der ähnlich wie Schippers Erfolgsthriller „Victoria“ von 2016 auf Rückblenden verzichtet, seine Protagonisten trotzdem auf eine Weise, die dem subjektiven Erleben Jugendlicher ziemlich nahe kommt: unvorhersehbar, abrupt und stets pendelnd zwischen Hoffnung, Euphorie und Enttäuschung.