Gleichsam dialektische Polizeifilme haben im US-Kino Tradition: Von Don Siegels „Dirty Harry“ (1971) mit Clint Eastwood bis zu TV-Serien wie „True Detective“ ab 2014 zerbrechen Ermittler daran, dass ihr Bemühen um Gerechtigkeit aussichtslos erscheint: Sie werden den Kriminellen, die sie jagen, immer ähnlicher.
Info
Destroyer
Regie: Karyn Kusama,
123 Min., USA 2018;
mit: Nicole Kidman, Sebastian Stan, Tatiana Maslany
Ebenso austeilen wie einstecken
Mit einer komplexen Frauenfigur startete Kusama bereits ihre Karriere: Ihr Debütfilm, das Boxerinnen-Drama „Girlfight – Auf eigene Faust“ (2000), gewann beim Sundance Filmfestival den Regiepreis und den Großen Preis der Jury. Schon damals stand eine mit sich hadernde und destruktive Protagonistin im Mittelpunkt; auch sie konnte ebenso austeilen wie einstecken.
In „Destroyer“ spielt nun Kidman die LAPD-Ermittlerin Erin Bell mit langsamen und unbeholfenen Bewegungen. Sie strauchelt quasi am Abgrund, seitdem sie vor 17 Jahren vom FBI mit ihrem Kollegen Chris (Sebastian Stan) in eine kriminelle Bande eingeschleust wurde. Damals endete die Aktion für die beiden jungen und unerfahrenen Kriminalbeamten in der größtmöglichen Katastrophe; an den Folgen leidet Erin Bell immer noch.
Offizieller Filmtrailer
Zwischen Wüste + trostlosen Kneipen
Alles beginnt mit dem Fund einer Leiche auf Brachland; der Mann wurde mit mehreren Schüssen aus kurzer Distanz erschossen. Obwohl ihre Kollegen darauf beharren, dass sie zuständig und kompetent für den Fall seien, wird schnell klar: Bell hat mit ihm und den Ereignissen, die zur Tat geführt haben, mehr zu tun als alle anderen. Das Verbrechen ist eng mit ihrem zerstörten Leben verknüpft.
Dieser Neo-Noir-Thriller wird im vor Hitze flirrenden Kalifornien zwischen Wüste und trostlosen Kneipen, Banküberfällen und endlosen Autofahrten auf verschiedenen Zeitebenen aufgerollt. Es geht um Verlust, Schuld und Vergeltung. Während Bell auf eigene Faust ermittelt, kommt sie ihrem Gegenspieler von einst Schritt für Schritt näher.
Bandenchef ähnelt Charles Manson
Der Bandenchef Silas (Toby Kebell) ähnelt Charles Manson – dem Kopf einer Hippie-Kommune, die 1969 Sharon Tate, Frau von Regisseur Roman Polanski, und sechs weitere Menschen ermordete. Bei Bells Jagd nach ihm wird allmählich ihr selbstverschuldetes Leid enthüllt.
Hintergrund
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Viel Mut zur Hässlichkeit
„Destroyer“ ist ein konsequent düsterer Genrefilm: Die vordergründige Aufklärung des Verbrechens führt direkt in die persönlichen Abgründe der Protagonistin. Das wird von der nichtlinearen Erzählstruktur elegant unterstützt, was über kleinere Unstimmigkeiten im Drehbuch hinwegtröstet. Entsättigt schlafwandlerische Bilder und die in allen Rollen stimmige Besetzung tragen zum Gelingen dieser Charakterstudie bei.
Insbesondere Nicole Kidmans Mut zur Hässlichkeit und ihr facettenreiches Spiel sorgen dafür, dass dieser Film so kraftvoll wirkt. Das Drehbuch mutet der Protagonistin einiges zu: Ihr Charakter changiert überzeugend zwischen Hoffnung und kurz aufblitzendem Begehren einerseits und Verzweiflung, Schmerz und Scham andererseits.
Weiblich gebrochen
So wird sie zum glaubhaften weiblichen Pendant von gebrochenen Helden wie Travis Bickle in „Taxi Driver“ (1976) von Martin Scorsese oder Harvey Keitel als „Bad Lieutenant“ in Abel Ferraras gleichnamigem Film von 1992. Doch „Destroyer“ erschöpft sich nicht allein in seiner Genre-Handlung: Der Film erzählt auf seine Weise auch von der Vielfachbelastung durch Beruf, Partner- und Mutterschaft, der Frauen bis heute stärker ausgesetzt sind als Männer.