
Die Genossenschaftsidee ist zwar schon fast zwei Jahrhunderte alt, doch sie erlebt derzeit eine Renaissance. Viele Menschen wollen damit der Logik kapitalistischer Märkte ein Modell gemeinsamen Wirtschaftens entgegensetzen: sei es beim Wohnungsbau, im Finanzwesen oder auch etwa bei der Sanierung eines kommunalen Schwimmbads, das andernfalls von Schließung bedroht wäre.
Info
Milchkrieg in Dalsmynni
Regie: Grímur Hákonarson,
92 Min., Island/ Dänemark/ Deutschland/ Frankreich 2019;
mit: Arndís Hrönn Egilsdóttir, Sveinn Ólafur Gunnarsson
Erstickendes Gebietsmonopol
Beide sind hoch verschuldet und haben keine Minute Freizeit; einen Urlaub können sie sich seit Jahren nicht mehr leisten. Dass sie kaum über die Runden kommen, so dämmert es ihnen, liegt auch daran, dass ihr Hof zu einer Genossenschaft gehört. Die nutzt ihre Monopolstellung in der Region gnadenlos aus – unter anderem, indem sie vorschreibt, wer was an wen verkaufen darf und wo ihre Mitglieder sich eindecken müssen.
Offizieller Filmtrailer
David gegen Goliath
Dann stirbt Reynir überraschend. Er stürzt mit seinem LKW in eine Schlucht – Inga steht plötzlich nicht nur alleine da, sondern muss auch mit der Vermutung weiterleben, Reynir habe Selbstmord begangen. Ihre Trauer schürt bei Inga Wut; genährt von neuen Einblicken in die mafiosen Machenschaften der Genossenschaft. Dort zieht vor allem der finstere, aalglatte Eyjólfur (Sigurdur Sigurjónsson) die Strippen.
Er hat Reynir offenbar mit Erpressung gezwungen, andere Mitglieder auszuspionieren. Diese David-gegen-Goliath-Geschichte erzählt Regisseur Grímur Hákonarson auf weitgehend konventionelle Weise. Dass Inga eine zupackende Frau ist, die sich durchzusetzen weiß – daran zweifelt man schon nach den ersten Filmminuten nicht mehr, in denen sie bei der Geburt eines Kalb als Hebamme agiert. Insofern hält die Handlung zunächst wenig Überraschungen bereit.
Anarchischer Witz bleibt aus
Allerdings vermisst man den komödiantischen Einschlag, den man angesichts des Titels vermuten könnte. Der Tonlage ist völlig anders als etwa in der ebenfalls isländischen Ökothriller-Komödie „Gegen den Strom“ (2018), die vor skurrilem Humor geradezu strotzt. Trotz offensichtlicher Parallelen: Beide Filme handeln von rebellischen Alleingängen zweier Frauen mittleren Alters, die sich mit übermächtigen Feinden anlegen.
Im „Milchkrieg“ würde man sich angesichts der deprimierender Ausgangslage durchaus etwas mehr anarchischen Witz wünschen, doch die Atmosphäre in diesem Drama bleibt fast bis zum Schluss eher kühl und realistisch. Selbst die sonst in isländischen Filmen gerne majestätisch in Szene gesetzten Landschaften wirken hier etwas trist. Nehmen bei der Bildsprache die Grautöne eindeutig überhand, so fehlen sie leider auf inhaltlicher Ebene.
Keine Ursachenforschung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Gegen den Strom" - skurrile isländische Ökothriller-Komödie von Benedikt Erlingson
und hier einen Bericht über den Film "Viel Gutes erwartet uns − Good Things Await" - Dokumentation über dänische Bio-Bauern von Phie Ambo
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Olafur Eliasson: Volcanoes and Shelters" - Foto-Rundreise des isländischen Op-Art-Künstlers durch seine Heimatinsel.
Was also ist schief gelaufen? Hat die Monopolstellung der Genossenschaft Korruption und Ausbeutung befördert? Oder sind die Leitungsfiguren schlicht sinistre Typen? Tatsächlich würden Eyjólfur und seine Mitstreiter eher in einen Mafia-Film passen als in diesen eher dokumentarisch wirkenden Einblick ins isländische Provinzleben. Die schwarz-weiße Rollenverteilung dient vor allem der vorhersehbaren Dramaturgie. Gegen Ende rumpelt es zudem bei Erzähltempo.
Am Ende geht alles ganz schnell
Nachdem sich Regisseur Hákonarson am Anfang viel Zeit nimmt, um Setting und Figuren einzuführen, muss im letzten Drittel alles ganz schnell gehen – bis zum überraschenden Finale. Darin rückt nach eher zähen Auseinandersetzungen um die Genossenschaft plötzlich wieder Ingas innere Entwicklung in den Fokus. Scheinbar konnte sich Hákonarson nicht entschließen, welche Geschichte er eigentlich erzählen will. Trotz einiger gelungener Momente: Die im Prinzip interessante Ausgangskonstellation wirkt weitgehend verschenkt.