Barry Levinson

The Survivor

Harry Haft (Ben Foster) gegen Rocky Marciano (Anthony Molinari). Foto: © LEONINE Distribution GmbH
(Kinostart: 28.7.) Sich ins Leben zurück boxen: Ein Auschwitz-Überlebender absolviert im New York der Nachkriegszeit etliche Profi-Kämpfe – um seine vermisste Verlobte auf sich aufmerksam zu machen. Überzeugende Sportfilm-Studie von Regisseur Barry Levinson über posttraumatische Belastungsstörungen.

Die Lebensgeschichte des polnischen Juden Harry Haft, der Auschwitz überlebte und nach Kriegsende in die USA auswanderte, wurde 2011 schon einmal künstlerisch dargestellt – als Comicserie. Sie basierte auf Hafts Memoiren, die sein Sohn Alan Scott 2006 veröffentlicht hatte. Auch die Filmbiografie von US-Regisseur Barry Levinson stützt sich auf diese Vorlage.

 

Info

 

The Survivor 

 

Regie: Barry Levinson,

124 Min., Kanada/ USA / Ungarn 2021;

mit: Ben Foster, Vicky Krieps, Danny DeVito

 

Weitere Informationen zum Film

 

Levinson galt in den 1980/90er Jahren als einer der erfolgreichsten Autorenfilmer in Hollywood. Er verband in Filmen wie „Tin Men“ (1987) über Verkäufer-Rivalität in den 1950er Jahren, „Good Morning, Vietnam“ (1987) über eine US-Radiostation im Vietnamkrieg oder „Wag the Dog“ (1997) über einen skrupellosen Präsidentenberater, der Albanien mit Krieg überzieht, Sozialkritik mit anspruchsvoller Unterhaltung. Sein Film „Rain Man“ (1988) mit Dustin Hoffman als hochbegabtem Autisten gewann den Goldenen Bären und vier Oscars.

 

Auftritt bei Casting-Show in Kabul

 

Seit der Jahrtausendwende verzettelte sich Levinson, drehte öfter fürs Fernsehen und griff bizarre Themen auf: In „Rock the Kasbah“ (2015) verhalf Bill Murray als abgehalfterter Musikagent einer Afghanin zum Auftritt in einer Casting-Show in Kabul. Nun hat er für „The Survivor“ einen weniger skurrilen Stoff mit mehr Relevanz gewählt. Die Hauptrolle des Harry Haft übernahm Ben Foster, selbst jüdischer Herkunft; er hat sich auf eine körperlich ziemlich fordernde Aufgabe eingelassen.

Offizieller Filmtrailer


 

Groß herauskommen für Verlobte

 

Foster spielt den verbissenen und traumatisierten Boxer sehr eindringlich. Doch sympathisch wird einem dieser Harry nie, trotz all dem, was er überstanden hat – seine Selbstverachtung vereitelt schlichte empathische Annäherung. Stattdessen lernt der Zuschauer Harrys Vergangenheit in Rückblenden kennen.

 

Auf drei Zeitebenen erzählt Regisseur Levinson, wie Harry 1948/49 in New York seine Karriere als Boxer vorantreibt, weil er nach seiner früheren Verlobten Leah sucht. Offizielle Einrichtungen, die nach jüdischen Überlebenden ermitteln, sind ihm nicht effizient genug – trotz der Hilfe von Miriam (Vicky Krieps), die später seine Ehefrau werden wird. Daher will Harry so bekannt wie möglich werden, damit die Presse über ihn berichtet und Leah das mitbekommt.

 

Tödliche Zweikämpfe im KZ

 

Auch wenn Harry mit Boxen seinen Lebensunterhalt bestreitet, bedeutet es für ihn auch eine ständige Qual, da es ihn an sein großes Trauma erinnert. Im Konzentrationslager wurde er von einem SS-Offizier als „Jüdisches Tier“ rekrutiert: Zum Amüsement der deutschen Wärter trat er gegen jüdische Mithäftlinge an. Solche Kämpfe endeten auf eine von zwei Arten: Entweder starben die Gegner durch Harrys Fäuste oder durch Schüsse der Wachen. Harrys Erinnerungen an das Lager sind in Schwarzweiß gedreht, die beiden übrigen Zeitebenen 1948/49 und 1963 in Farbe.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Rock the Kasbah" - Afghanistan-Komödie von Barry Levinson

 

und hier eine Besprechung des Films  "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki"finnisches Boxer-Drama von Juho Kuosmanen

 

und hier einen Beitrag über den Film "Härte" – Biopic-Drama über einen Karate-Weltmeister von Rosa von Praunheim.

 

Zwischen den verschiedenen Teilen findet der Film ein visuelles Gleichgewicht. Außergewöhnlich gut veranschaulicht er, wie tief die Hauptfigur traumatisiert ist: Bestimmte Worte, Geräusche oder auch Bilder erinnern ihn an seine Erlebnisse im Lager, versetzen ihn in Panik und setzen ihn gar außer Gefecht. Diese Momente gehören zu den überzeugendsten des Dramas, da der Levinson darauf verzichtet, Harrys Psyche explizit zu analysieren.

 

Sehr eigenwilliger Boxfilm

 

Schließlich will Harry unbedingt alles mit sich selbst ausmachen; das Drehbuch respektiert das. Passenderweise wirkt Ben Foster immer dann am besten, wenn er möglichst wenig macht. An anderen Stellen riskiert seine Performance, auch bedingt durch die aufwändige Maske, ins Karikaturhafte abzugleiten. Zwar bleibt Vicky Krieps als Miriam eher blass. Doch umso farbiger gerät das kurze Intermezzo mit Danny DeVito, der eigentlich Rocky Marciano (Anthony Molinari) trainiert, aber heimlich auch Harry für den großen Kampf gegen Rocky vorbereitet – ein Moment leichter Ironie in der düsteren Thematik.

 

Regisseur Levinson wählt mit „The Survivor“ einen interessanten Weg, um über die Folgen des Holocaust zu sprechen – genauer: die posttraumatischen Belastungsstörungen, die viele Überlebende quälten. Dabei gelingt ihm das differenzierte Psychogramm einer Figur, die ihre Ecken und Kanten hat, so dass sie nicht gerade zum Sympathieträger taugt – und ein sehr eigenwilliger Boxfilm.