Thomas Riedelsheimer

Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy

Andy Goldsworthy mit gelber Blütenfontäne. Foto: © Piffl Medien
(Kinostart: 14.12.) Aus Natur wird Kunst, aus Kunst Natur: In seinem Dokumentarfilm porträtiert Thomas Riedelsheimer den Land Art-Künstler Andy Goldsworthy. Er ist berühmt für seine vergänglichen Werke – intimer Einblick in eine ungewöhnliche Kunstpraxis.

Der britische Land Art-Künstler Andy Goldsworthy erschafft Skulpturen aus natürlichen Materialien. Viele von ihnen sind fragil und vergänglich: Sie schmelzen bei Tauwetter, werden von Flüssen oder der Meeresflut weggespült oder vom Wind zerfetzt. Was bleibt, sind oft nur die Fotos seiner Arbeiten. Sie zeigen, wie er Formen und Farben seiner Kunst in Beziehung setzt zur Natur und den Kulturlandschaften, in denen er wirkt.  

 

Info

 

Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy

 

Regie: Thomas Riedelsheimer,

93 Min., Großbritannien/ Deutschland 2017;

mit: Andy Goldsworthy, Holly Goldsworthy 

 

Website zum Film

 

Der Film „Rivers and Tides“ des deutschen Regisseurs Thomas Riedelsheimer zeigte den Schaffensprozess des reflektierten Künstlers sehr anschaulich; er wurde 2001 zum großen Programmkino-Erfolg. Für „Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy“ hat Riedelsheimer den Künstler erneut bei seiner Arbeit begleitet; der Film lebt wie sein Vorgänger sowohl von der Ästhetik der künstlerischen Arbeiten als auch von Riedelsheimers Kameraarbeit.  

 

Unter dem Pflaster der Strand

 

In den vergangenen 16 Jahren hat sich viel verändert: Goldsworthy arbeitet inzwischen international und greift bei großen Projekten auf viele Mitarbeiter zurück. Sie spalten riesige Steine, schneiden mit der Kettensäge Muster in Baumstämme und bewegen Kräne und Bagger, um Großskulpturen zu platzieren. Der Künstler ist auch öfter im städtischen Raum unterwegs, wo er die Natur unter der versiegelten Oberfläche kenntlich zu machen versucht. Einige Techniken kennt man bereits von ihm, etwa das Auslegen von herbstlich farbigen Blättern zu Mustern – hier auf den Stufen von Steintreppen.

Offizieller Filmtrailer


 

Kunst muss Arbeit machen

 

Zu Beginn des Films könnte Goldsworthy nicht weiter von der Stadt entfernt sein: In einer Hütte im brasilianischen Regenwald lässt er sich die Verlegung des Lehm-Fußbodens erklären und bewundert das handwerkliche Geschick. Sehr schön sei der Fußboden, sagt er, worauf die Bäuerin erwidert: „Hat auch viel Arbeit gemacht.“ Mit genau diesen Worten hat der bayerische Schauspieler und Humorist Karl Valentin einmal Kunst definiert.  

 

Die direkte Beziehung zum Material ist Goldsworthy wichtig. Die Arbeit in der Landwirtschaft habe einen größeren Einfluss auf seine Kunst gehabt als das Kunststudium: Vom Klauben der Steine aus dem Acker erzählt er, und vom Zyklus des Sammelns und Schneidens von Feldfrüchten. Regisseur Riedelsheimer hat jene Naturzyklen in rhythmische Bilder übersetzt, unterlegt mit der experimentellen Musik des britischen avantgarde-Musikers Fred Frith.  

 

Einsam im Regen

 

Gelegentlich bekommt Goldsworthy künstlerische Unterstützung von ungewohnter Seite: Schafe trappeln und urinieren auf eine weiße Fläche inmitten einer grünen Weidelandschaft, auf die der Künstler und seine erwachsene Tochter Holly einen Kübel Futter geschleppt haben. Holly begleitet ihren Vater jetzt häufiger bei seinen Arbeitsreisen. Die Telepathie, die bei der Zusammenarbeit mit jemandem entstehen könne, den man sehr gut kenne, sei sehr schön, sagt Goldsworthy.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Breathing Earth ­– Susumu Shingus Traum" - Doku-Porträt des Land-Art-Künstlers von Thomas Riedelsheimer

 

und hier eine Besprechung der Ausstellungen "Richard Long: Berlin Circle & Land Art" - große Werkschau im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

und hier einen documenta (13)-Bericht Rundgang durch das Ottoneum - über zeitgenössische Öko-Kunst in Kassel.

 

Viele der Arbeiten entstehen aber auch einsam und haben flüchtigen Charakter: das mühsame Klettern durch Hecken, das ihm mit Anfang 60 auch nicht mehr so leicht fällt. Oder die von ihm „Schatten“ genannten Umrisse, die entstehen, wenn er sich bei beginnendem Regen einfach irgendwo aufs Straßenpflaster legt und dann wieder aufsteht, etwa in der Nähe eines belebten Busbahnhofs. 

 

Respekt vor der Natur

 

Im Gegensatz dazu steht Goldsworthy einmal mit einer Steinsäge in einem Felsmassiv, wo er eigentlich etwas direkt in den Fels schneiden will. Er habe das noch nie gemacht, sagt er, und es sei etwas anderes, als wenn man Steine aus einem Steinbruch bearbeite – die seien quasi schon auf der Reise. Am Ende schafft er es nicht, in den Fels zu schneiden; es fühlt sich für ihn nicht richtig an. „Tut mir leid, dass ihr so früh umsonst aufgestanden seid“, scherzt er mit dem Filmteam. Dabei ist klar, dass sie gerade eine Schlüsselszene eingefangen haben, die von Goldsworthys großem Respekt vor der Natur erzählt.  

 

Die Leute glaubten immer, dass er durch seine Arbeit ein besonders tiefes Verständnis für die Natur entwickelt habe, sagt der Künstler, doch er sehe das anders: „Ich falle und stolpere oft.“ Und das ist das eigentlich Wichtige für den Mann, der nach all den Jahren immer noch versucht, die Welt zu begreifen: zu lernen, wie man fällt.