Der britische Land Art-Künstler Andy Goldsworthy erschafft Skulpturen aus natürlichen Materialien. Viele von ihnen sind fragil und vergänglich: Sie schmelzen bei Tauwetter, werden von Flüssen oder der Meeresflut weggespült oder vom Wind zerfetzt. Was bleibt, sind oft nur die Fotos seiner Arbeiten. Sie zeigen, wie er Formen und Farben seiner Kunst in Beziehung setzt zur Natur und den Kulturlandschaften, in denen er wirkt.
Info
Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy
Regie: Thomas Riedelsheimer,
93 Min., Großbritannien/ Deutschland 2017;
mit: Andy Goldsworthy, Holly Goldsworthy
Unter dem Pflaster der Strand
In den vergangenen 16 Jahren hat sich viel verändert: Goldsworthy arbeitet inzwischen international und greift bei großen Projekten auf viele Mitarbeiter zurück. Sie spalten riesige Steine, schneiden mit der Kettensäge Muster in Baumstämme und bewegen Kräne und Bagger, um Großskulpturen zu platzieren. Der Künstler ist auch öfter im städtischen Raum unterwegs, wo er die Natur unter der versiegelten Oberfläche kenntlich zu machen versucht. Einige Techniken kennt man bereits von ihm, etwa das Auslegen von herbstlich farbigen Blättern zu Mustern – hier auf den Stufen von Steintreppen.
Offizieller Filmtrailer
Kunst muss Arbeit machen
Zu Beginn des Films könnte Goldsworthy nicht weiter von der Stadt entfernt sein: In einer Hütte im brasilianischen Regenwald lässt er sich die Verlegung des Lehm-Fußbodens erklären und bewundert das handwerkliche Geschick. Sehr schön sei der Fußboden, sagt er, worauf die Bäuerin erwidert: „Hat auch viel Arbeit gemacht.“ Mit genau diesen Worten hat der bayerische Schauspieler und Humorist Karl Valentin einmal Kunst definiert.
Die direkte Beziehung zum Material ist Goldsworthy wichtig. Die Arbeit in der Landwirtschaft habe einen größeren Einfluss auf seine Kunst gehabt als das Kunststudium: Vom Klauben der Steine aus dem Acker erzählt er, und vom Zyklus des Sammelns und Schneidens von Feldfrüchten. Regisseur Riedelsheimer hat jene Naturzyklen in rhythmische Bilder übersetzt, unterlegt mit der experimentellen Musik des britischen avantgarde-Musikers Fred Frith.
Einsam im Regen
Gelegentlich bekommt Goldsworthy künstlerische Unterstützung von ungewohnter Seite: Schafe trappeln und urinieren auf eine weiße Fläche inmitten einer grünen Weidelandschaft, auf die der Künstler und seine erwachsene Tochter Holly einen Kübel Futter geschleppt haben. Holly begleitet ihren Vater jetzt häufiger bei seinen Arbeitsreisen. Die Telepathie, die bei der Zusammenarbeit mit jemandem entstehen könne, den man sehr gut kenne, sei sehr schön, sagt Goldsworthy.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Breathing Earth – Susumu Shingus Traum" - Doku-Porträt des Land-Art-Künstlers von Thomas Riedelsheimer
und hier eine Besprechung der Ausstellungen "Richard Long: Berlin Circle & Land Art" - große Werkschau im Hamburger Bahnhof, Berlin
und hier einen documenta (13)-Bericht “Rundgang durch das Ottoneum” - über zeitgenössische Öko-Kunst in Kassel.
Respekt vor der Natur
Im Gegensatz dazu steht Goldsworthy einmal mit einer Steinsäge in einem Felsmassiv, wo er eigentlich etwas direkt in den Fels schneiden will. Er habe das noch nie gemacht, sagt er, und es sei etwas anderes, als wenn man Steine aus einem Steinbruch bearbeite – die seien quasi schon auf der Reise. Am Ende schafft er es nicht, in den Fels zu schneiden; es fühlt sich für ihn nicht richtig an. „Tut mir leid, dass ihr so früh umsonst aufgestanden seid“, scherzt er mit dem Filmteam. Dabei ist klar, dass sie gerade eine Schlüsselszene eingefangen haben, die von Goldsworthys großem Respekt vor der Natur erzählt.
Die Leute glaubten immer, dass er durch seine Arbeit ein besonders tiefes Verständnis für die Natur entwickelt habe, sagt der Künstler, doch er sehe das anders: „Ich falle und stolpere oft.“ Und das ist das eigentlich Wichtige für den Mann, der nach all den Jahren immer noch versucht, die Welt zu begreifen: zu lernen, wie man fällt.