
Neues vom Ersten Weltkrieg: Der Medienpsychologe und TV-Mitarbeiter Nikolai Vialkowitsch hat in Bildarchiven Berge von handkolorierten Aufnahmen des großen Gemetzels aufgestöbert. Daraus montiert er den laut Eigenwerbung „ersten historischen Dokumentarfilm in Farbe und 3D“.
Info
Im Krieg –
Der 1. Weltkrieg in 3D
Regie: Nikolai Vialkowitsch,
103 Min., Deutschland 2014;
Sprecher: Peter Matić, Miroslav Nemec, Birgitta Assheuer u.a.
250 Kaiserpanoramen im Reich
Diese low tech-Version des 3D-Effekts machten im Deutschen Reich die „Kaiserpanoramen“ populär: In 250 Filialen konnten sich Schaulustige gegen Eintritt Stereoskopien ansehen. Eigentümer August Fuhrmann ließ jahrzehntelang alle möglichen Motive in ganz Europa ablichten, die seine Zeitgenossen fesselten: von gekrönten Häuptern über Jungfernfahrten bis zu Katastrophen. Dieses Panoptikum der Epoche war eine Art Wochenschau-Vorläufer.
Offizieller Filmtrailer
Gestalten wie Pappkameraden
Auch in anderen Ländern waren Stereoskopien weit verbreitet. Regisseur Vialkowitsch verwendet Bilder der Vorkriegs- und Kriegszeit aus britischen, französischen und US-Quellen. Historiker mögen Unterschiede in Motivwahl und Darstellung feststellen; der Zuschauer kann kaum welche ausmachen.
Ein räumlicher Eindruck ist zwar vorhanden, aber mit heutigen 3D-Effekten nicht vergleichbar: Gestalten erscheinen wie Pappkameraden, die auf verschiedenen Bildebenen gestaffelt sind. Die Handkolorierung beschränkt sich meist auf einfarbige Tönung. Und von Bewegung kann kaum die Rede sein: Die Kamera tastet Fotos langsam ab, springt hin und her oder zoomt hinein – doch die animierten Aufnahmen bleiben Standbilder.
Grauenhaft eintöniges Gemetzel
Auf der Tonspur wird das mit Orchester-Musik und Zeitzeugen-Zitaten unterlegt. Die entnimmt der Regisseur Dutzenden von Quellen: aus Büchern bekannter Schriftsteller ebenso wie Briefwechseln und Tagebüchern einfacher Leute – Frontsoldaten, Krankenschwestern, Normalsterblichen. Angelehnt an „Das Echolot“: In diesem zehnbändigen Mammutwerk, erschienen zwischen 1993 und 2005, hatte Walter Kempowski Tausende von Original-Aufzeichnungen zum „kollektiven Tagebuch“ der Kriegsjahre 1941 bis 1945 collagiert.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung “1913: Bilder vor der Apokalypse” im Franz Marc Museum, Kochel am See
und hier einen Bericht über die Ausstellung “1914 – Die Avantgarden im Kampf” in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Beitrag über den Film “Diplomatie” - virtuoses Kammerspiel über die Rettung von Paris im Zweiten Weltkrieg von Volker Schlöndorff.
Militaria-Sammler + Berufsbetroffene
Wozu also dieser Film? Im Reigen der Gedenk-Veranstaltungen zu 1914 war wohl noch eine Nische im Kino frei. Zudem können sich manche Kreise offenbar an Kriegsbildern nicht satt sehen; das zeigen die häufigen Sendungen über Aspekte des Zweiten Weltkriegs auf vielen TV-Kanälen. Sie haben seinen Vorläufer bislang kaum ausgeschlachtet, weil es wenig Bewegtbilder dazu gibt; insofern erschließt Regisseur Vialkowitsch mediales Neuland.
Sein Film mag Militaria-Sammlern und Berufsbetroffenen manch pikantes Detail in Wort und Bild bieten. Wer nicht zu diesen Zielgruppen zählt, nimmt aus ihm kaum Wissenswertes mit – schon gar keine dreidimensionale Vorstellung vom Ersten Weltkrieg.