
Soviel Umsicht muss sein: Gerade hat Mike Tyson (Alex Ozerov) per Telefon noch beim Lokalblatt eine Traueranzeige in eigener Sache aufgegeben. Den Zimmerboden hat er sorgfältig mit Plastikfolie ausgelegt; wohl um die Einrichtung zu schonen. Dann hält er sich das große Gewehr an den Kopf. Doch es ist mit Platzpatronen geladen – nach einem kurzen Blackout wacht der junge Mann mit Kopfverband im Krankenhausbett auf.
Info
Coconut Hero
Regie: Florian Cossen,
97 Min., Deutschland/ Kanada 2015;
mit: Alex Ozerov, Krista Bridges, Sebastian Schipper
Hirntumor als Zeichen Gottes
Im gemächlichen Plaudermodus hängt der plot dem stark suizidal gestimmten Teenager in ausgleichender Gerechtigkeit einen Hirntumor an. Der ist zwar laut ärztlicher Auskunft operativ gut heilbar. Doch Mike, der gerade erst ein Stoßgebet an Jesus gesandt hatte, dass er dringend sterben müsse, betrachtet die Krankheit als deutliches Zeichen, dass Gott ihn erhört habe. Und er entschließt sich, sie vor seinem Umfeld zu verbergen, um ungestört daran zu sterben.
Offizieller Filmtrailer
Bunte Bänder für neuen Lebensmut
Für den 16-Jährigen liefe also alles nach Plan, wäre nicht ein Sozialarbeiter vom Jugendamt hinter ihm her, der ihm eine „lebensbejahende Behandlung“ samt Psychotherapie und Bewegungsübungen verordnet. So muss der arme Krebspatient bald mit albern kostümierten Senioren unter Anleitung einer jungen, verdächtig hübschen Trainerin (Bea Santos) bunte Bänder „für neuen Lebensmut“ schwingen.
Mittlerweile ist auch seine Todesanzeige erschienen; sie lockt seinen deutschen Vater (Sebastian Schipper) zurück nach Faintville, der kurz nach Mikes Geburt verschwunden war. Danach bemüht das Drehbuch unwahrscheinliche Zufälle in Serie, bis der Film mit einer weit hergeholten dramatischen Zuspitzung endet: Ein unnötiger Nacktbade-Auftritt der Turnlehrerin führt zu sehr erwartbarem Ergebnis.
Heimatort fällt allmählich in Ohnmacht
Seinem Ortsnamen macht Faintville – „to faint“ bedeutet „in Ohnmacht fallen“ oder „schwach werden“ – mit schrumpfender Einwohnerzahl und verfallenden Holzhäusern alle Ehre. Hier seine Jugend zu verbringen, ist nicht lustig, besonders für den melancholisch verträumten Mike: Er gilt in der Schule als Außenseiter, und seine hysterische, allein erziehende Mutter Cynthia (Krista Bridges) macht ihm den Alltag schwer.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "About a Girl" - subtile Selbstmörderin-Tragikomödie von Mark Monheim mit Heike Makatsch
und hier einen Bericht über den Film "Victoria" - Nachtleben-Krimi von Sebastian Schipper, mit sechs Deutschen Filmpreisen prämiert
und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film "Das Lied in mir" - anrührendes Melodram von Florian Cossen über Kinder-Notadoption in Argentiniens Militärdiktatur.
Morbide Dekorations-Motive
Das ist vermutlich als komödiantische Überzeichnung gedacht. Nach seinem Debüt, dem anrührenden Polit-Melodram „Das Lied in mir“ (2010), will Regisseur Cossen in seinem zweiten Spielfilm offenbar an schwarzhumorige Kino-Traditionen anknüpfen. Das kann die biedere Inszenierung aber kaum einlösen; familiäre und gesellschaftliche Abgründe erscheinen wie Abziehbilder.
Dadurch wirkt „Coconut Hero“ wie ein Zwitter aus psychologischem coming of age-Drama und Groteske, dem man ein paar morbide Motive zur Dekoration aufgemalt hat. Als missglücktes Gegenstück zu „About a Girl“; die subtile Tragikomödie über eine lebensmüde 15-Jährige lief vor einer Woche im Kino an. Regisseur Mark Monheim verwendet ähnliche Versatzstücke, etwa schwärmerische Todessehnsucht einer Außenseiterin, abwesender Vater und erste Liebe. Doch er nimmt teenage depression völlig ernst und balanciert sie zugleich durch federleichte Komik feinsinnig aus.