
Ein Zeichen des Aufbruchs: Mitte Januar sollte erstmals seit dem Kosovokrieg 1999 wieder ein Zug aus der serbischen Hauptstadt Belgrad nach Mitrovica fahren – den Hauptort im Nordkosovo, wo die serbische Minderheit lebt. Doch an der Grenze wurde der Zug gestoppt; die Kosovaren empfanden ihn als Provokation. Kein Wunder: Die Waggons in den serbischen Nationalfarben trugen in zahlreichen Sprachen die Aufschrift „Kosovo ist Serbien“.
Info
Enklave
Regie: Goran Radovanović,
92 Min., Deutschland/ Serbien 2015;
mit: Filip Subarić, Anica Dobra, Nebojša Glogovac
Drei letzte Serben im Dorf
Manchmal fährt auch der orthodoxe Pater mit; er wartet auf eine neue Glocke für seine zerstörte Kirche. In seinem Dorf sind Nenad, sein Vater Vojislav (in Ex-Jugoslawien ein Star: Nebojša Glogovac), der seinen Frust in Alkohol ertränkt, und sein sterbenskranker Großvater Milutin die letzten Bewohner. Sie haben keinen Kontakt zur albanischen Bevölkerung, im Umkreis wohnt.
Offizieller Filmtrailer
Albaner-Junge fuchtelt mit Knarre herum
Mehr als alles andere wünscht sich Nenad Spielkameraden. Sehnsüchtig beobachtet er zwei albanische Jungen, die den Panzer regelmäßig mit Steinen bewerfen. Die beiden wiederum möchten einmal mit dem monströsen Fahrzeug mitfahren; so kommt es zur vorsichtigen Annäherung zwischen den Kindern. Sie wird vom Hirtenjungen Bashkim (Denis Muric) feindselig beargwöhnt: Sein Vater wurde von Serben umgebracht. Wie fast alle Männer der Gegend trägt auch Bashkim eine geladene Pistole mit sich, mit der er ständig herumfuchtelt.
Fünf Jahre nach Kriegsende sind die Wunden immer noch offen; ein Funke genügt, damit Hass und Gewalt wieder aufbrechen. Zwar versuchen die KFOR-Militärs, die Bevölkerungs-Gruppen zu entwaffnen und zwischen ihnen zu vermitteln, doch ihre Bemühungen wirken hilflos. Nachdem bei Vojislav ein Waffenlager beschlagnahmt wurde, lehnt er es ab, Mitglied einer serbisch-albanischen Polizeieinheit zu werden: Aus seiner Sicht würde er dadurch zum Überläufer.
Albaner legen Reisebus lahm
Als der Großvater stirbt, schickt Vojislav seinen Sohn Nenad los, um den Pater für die Beerdigung zu holen. Unterdessen trifft seine Tante Milica (Anica Dobra), die vor Jahren nach Belgrad abwanderte, mit ihrer Tochter ein. Zu Fuß: Ihr aus Serbien kommender Bus wurde von Albanern mit Steinen beworfen und lahmgelegt. Auf seiner Suche nach dem Pater trifft Nenad an der zerstörten Kirche auf Bashkim und die albanische Jungen. Sie beginnen mit einem Spiel, das bald einen verhängnisvollen Lauf nimmt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Babai – Mein Vater" – bewegend kühles Drama über einen jungen Kosovo-Emigranten von Visar Morina
und hier eine Besprechung des Films "Der Albaner" – präziser Thriller über die Auswanderung eines Kosovaren nach Deutschland von Johannes Naber
und hier einen Bericht über den Film "Djeca – Kinder von Sarajevo" – Drama über den Alltag bosnischer Kriegswaisen von Aida Begić
und hier einen Bericht über den Film "Belgrad Radio Taxi" – Tragikomödie über einen unfreiwilligen Ersatzvater von Srdjan Koljevic mit Nebojša Glogovac.
Serbische Opfer-Tradition
Allerdings krankt der Film an einer gewissen Einseitigkeit: Seine Sympathien liegen eindeutig auf serbischer Seite. Die Serben verlieren ihre Heimat, ihre Gräber werden geschändet, ihre Kirchen zerstört – sie sterben buchstäblich aus. Dagegen lässt sich eine aufwändige Bauernhochzeit als Anspielung auf das hohe Bevölkerungswachstum der Albaner verstehen: Mehr als die Hälfte aller Kosovaren ist jünger als 25 Jahre.
Regisseur Radovanović zeichnet die Albaner holzschnittartig: Sie treten den Serben als Masse und nicht als Individuen entgegen. Was die serbischen Protagonisten sehr bekümmert; oft in Großaufnahme ihrer Leidensmienen, untermalt von traurig sentimentalen Weisen. Das steht ganz in der Jahrhunderte alten serbischen Tradition einer Selbststilisierung zu Opfern der Geschichte.
In Belgrad zum Albaner werden
Hoffnung auf Verständigung eröffnet der Film allein bei den Kindern: in ihrem Entdeckerdrang und Spieltrieb, die potentiell als Gegengift zum indoktrinierten Hass wirken können. Am Ende scheint zumindest eine Freundschaft möglich: Allerdings ist Nenad dann schon längst in Belgrad – wo ihn seine Mitschüler aufgrund seiner Herkunft den „Albaner“ nennen.