Felix van Groeningen

Beautiful Boy

Nic Sheff (Timothée Chalamet) und seine Freundin Lauren (Kaitlyn Dever) beim Drogenkonsum. Foto: (c) 2018 Amazon Content Services/ François Duhame. Fotoquelle: NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 24.1.) Familiendrama in der Suchtkrise: In den USA wütet – hierzulande wenig beachtet – die schlimmste Drogen-Epidemie aller Zeiten. Das Doppel-Porträt von Regisseur Van Groeningen bietet jedoch kaum mehr Erkenntniswert als klassische Drogen-Epen.

Eigentlich ist David Sheff ein Vater, wie viele Teenager ihn sich wünschen. Den Lebensunterhalt für seine Familie verdient er mit Musikkritik; ein rock’n’roll lifestyle ist ihm also nicht fremd. Als Kumpeltyp reagiert er nicht gleich hysterisch, wenn irgendwo ein Joint kreist. Seinen Sohn Nic lässt er jedenfalls als Kind zu einem Song der Grunge-Band „Nirvana“ munter im Auto headbangen – in einer der vielen Rückblenden von „Beautiful Boy“.

 

Info

 

Beautiful Boy

 

Regie: Felix van Groeningen,

121 Min., USA 2018;

mit: Steve Carell, Timothée Chalamet, Maura Tierney

 

Webite zum Film

 

Davids ältester Sohn wiederum ist ein Kind, wie es sich Eltern nur wünschen können: intelligent, reflektiert und vielseitig begabt. Aufs Surfbrett wirft sich der Junge genau so leidenschaftlich, wie er seinen musischen Interessen nachgeht. Trotzdem wird Nic sich später einwerfen, was er in die Finger kriegt; vor allem Crystal Meth. Auf die Frage, warum er nicht von den Drogen lassen kann, hat er nur zu sagen: Der erste Rausch habe seine bisher schwarzweiße Welt in Technicolor gebadet. Fortan versucht er immer wieder, das große Loch in seinem Leben auf diesem Weg zu stopfen.

 

Zwei Stunden vorhersehbare Dramen

 

Viel Erkenntnisgewinn darüber, was Sucht auslöst und wie sie abläuft, bietet dieses Familiendrama also nicht. Doch vielleicht gibt es zur Frage nach dem Warum wirklich nicht viel mehr zu erklären. Stattdessen führt dieser Film zwei Stunden lang vorhersehbare Dramen vor: Absturz, Entzug und Rückfall; Hoffnung, Trauer und psychologische Manipulation – das ganze Programm.

Offizieller Filmtrailer


 

Zwei parallele Bücher als Vorlagen

 

Diese Adaption basiert auf zwei autobiographischen Büchern, die beide US-Bestseller wurden. David Sheffs Erfahrungsbericht „Beautiful Boy: A Father’s Journey Through His Son’s Addiction“ (2008) ging aus einem Artikel hervor, den er für das „New York Times Magazine“ geschrieben hatte. Parallel dazu erschien die Selbstbeschreibung „Tweak: Growing Up on Methamphetamines“ von Nic Sheff.

 

Beide Bücher hat der belgische Regisseur Felix van Groeningen als Vorlagen verwendet. Trotz eindrücklicher Bilder – etwa vom Kontrast zwischen dem idyllischen Heim der Familie in Nordkalifornien und Nics Abstürzen in Drogenhöhlen von San Francisco – wirkt „Beautiful Boy“ bisweilen zäh. Anders als Van Groeningens herzzerreißendes Drama „The Broken Circle“ von 2012; darin ging es ebenfalls um eine Familie, die mit der Krankheit eines Kindes kämpft.

 

Keine Küchenpsychologie

 

Diese Schwäche ist keineswegs den Hauptdarstellern anzulasten. Steve Carell zeigt als Vater, dass er mehr beherrscht als Komödien-Rollen. Und dem jungen Timothée Chalamet, der unlängst in „Call Me By Your Name“ groß herauskam, nimmt man als Sohn die Bandbreite der dargestellten Gefühlslagen durchaus ab. Anfangs erscheint er als unschuldiger Teenie, der nur den Kick sucht; später als narzisstisch-charmanter Manipulateur, der die gesamte Familie immer wieder erfolgreich täuscht.

 

Die teilweise anrührende Dynamik zwischen beiden Hauptdarstellern trägt über einige der Längen des Films; denn dramaturgisch wird er etwas holprig. Obwohl er zumindest den Vorzug hat, dass der Regisseur keine küchenpsychologischen Antworten auf die Frage nach den Motiven für Drogensucht gibt.

 

Drogenfilme im Wiederholungszwang

 

Dass dieses Drama trotzdem nicht gerade mitreißt, liegt wohl einfach daran, dass Drogenkonsum eine repetitive Angelegenheit ist; Filme darüber leiden offenbar ebenso unter Wiederholungszwang. Die Liste von Drogenfilmen aus autobiografischer Perspektive ist umfangreich: von „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1981) über „Jim Carroll – In den Straßen von New York“ (1995) bis zu „Requiem for a Dream“ (2000) von Darren Aronofsky; ihrem Narrativ fügt Regisseur van Groeningen kaum Neues hinzu.

 

Enttäuschenderweise versandet auch der doppelperspektivische Ansatz. Der Film konzentriert sich auf die Entwicklung von Vater David; darüber, was Sohn Nic umtreibt, erfährt man nicht viel. Innere Welten darzustellen – auch in Zuständen von Rausch und Sucht – ist wohl keine Stärke des Mediums Film: Wann wäre das dadurch veränderte Bewusstsein je überzeugend auf der Leinwand dargestellt worden?

 

Gescheiterter „War on Drugs“

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Café Belgica" - eindrucksvolles Nachtclub-Drama von Felix van Groeningen

 

und hier eine Besprechung des Films "Call Me By Your Name" - herrlich stimmungsvolle schwule Coming-of-Age-Story von Luca Guadagnino mit Timothée Chalamet

 

und hier einen Bericht über den Film „The Broken Circle“ – bewegendes Melodram über eine belgische Bluegrass-Band von Felix van Groeningen

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Substance: Albert Hofmann’s LSD" – sachlich-informative Drogen-Doku von Martin Witz.

 

Trotzdem hat das Genre offenbar Konjunktur. Erst vor zwei Wochen ist mit „Ben is Back“ ein weiteres Familiendrama über Drogensucht in den Kinos angelaufen: mit Julia Roberts als Mutter und Lucas Hedges als ihrem Sohn. Möglicherweise liegt diese Häufung daran, dass die USA derzeit die schlimmste Drogenkrise ihrer Geschichte erleben – was hierzulande bislang kaum beachtet wird.

 

Schon 1972 rief der damalige US-Präsident Richard Nixon einen „War on Drugs“ aus. Er darf als gescheitert gelten: In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der US-Drogentoten mehr als verdoppelt. Allein 2017 starben in den Vereinigten Staaten 72.000 Menschen an einer Drogen-Überdosis;  das waren mehr als 50 Mal so viele Opfer wie in der Bundesrepublik. Hierzulande schwankte die Zahl der Drogentoten im gleichen Zeitraum zwischen knapp 1000 und 1500 pro Jahr.

 

Erst Schmerzmittel, dann Heroin

 

Im US-Fall ist der wichtigste Grund die laxe Verschreibungspraxis bei süchtig machenden Schmerzmitteln wie „OxyContin“; wird die Dosis verringert, greifen viele Konsumenten zu illegalen Opiaten wie Heroin oder Fentanyl. Mediziner sprechen von einer „Opioid-Epidemie“; der Marktführer „Purdue Pharma“ im Besitz der Sackler-Familie musste bereits hohe Geldstrafen zahlen.

 

Anders als bei der Crack-Welle der 1980er Jahre sind nicht mehr nur benachteiligte Milieus von der Drogenschwemme betroffen; diesmal ist sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In diesem Kontext scheint es, als wolle „Beautiful Boy“ Einsichten wie in Selbsthilfegruppen vermitteln: dass Angehörige die Sucht nicht verursacht haben und deshalb den Süchtigen auch nicht heilen können. Auf der Kinoleinwand wirkt diese Erkenntnis jedoch streckenweise redundant.