Dieter Berner

Alma & Oskar

Oskar Kokoschka (Valentin Postlmayr) und Alma Mahler (Emily Cox) haben eine schwierige Beziehung. Foto: Alamode Film
(Kinostart 6.7.) Sie küssten und sie schlugen sich: Ab 1912 erlebten die Komponisten-Witwe Alma Mahler und der Maler Oskar Kokoschka eine stürmische Affäre. Regisseur Dieter Berner feiert Alma als „weiblichen Don Juan“, doch außer Oskar bleiben alle Akteure des hochtourigen Liebeshändels blass.

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Vor sieben Jahren landeten der österreichische Regisseur Dieter Berner und seine Frau Hilde Berger als Ko-Drehbuchautorin einen Überraschungs-Hit. Ihre so facettenreiche wie schwungvolle Filmbiographie „Egon Schiele – Tod und Mädchen“ wurde ein Programmkino-Renner; sie war in rund 40 Ländern zu sehen.

 

Info

 

Alma & Oskar

 

Regie: Dieter Berner,

88 Min., Österreich/ Schweiz/ Deutschland/ Tschechien 2022;

mit: Emily Cox, Valentin Postlmayr, Táňa Pauhofová, Anton von Lucke

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ob das Duo diesen Erfolg mit „Alma & Oskar“ wiederholen kann, erscheint zweifelhaft. Obwohl die wichtigsten Ingredienzen sich ähneln: Wieder dient ein biographischer Roman von Hilde Berger als Vorlage. Erneut geht es berühmte Künstlerpersönlichkeiten im Wien um 1900. Und abermals ist das Geschehen erotisch bis erotomanisch grundiert, was für prickelnden Sinneskitzel sorgen soll.

 

Statt einem nun zwei Protagonisten

 

Doch im Unterschied zum Egon-Schiele-Film, der das – wenn auch kurze – Leben des expressionistischen Malers nachzeichnet, behandelt „Alma & Oskar“ nur eine Episode: die stürmische Liebesbeziehung von Alma Mahler und Oskar Kokoschka. Sie dauerte von 1912 bis 1914. Einem Film über knapp drei Jahre müsste möglich sein, die Wechselfälle der Affäre und die Seelenregungen ihrer Beteiligten atmosphärisch stimmig und psychologisch plausibel darzustellen, sollte man meinen. Falsch gedacht.

Offizieller Filmtrailer


 

Motten umschwärmen Künstlerschlampe

 

So gleichrangig, wie der Titel suggeriert, sind beide Hauptfiguren nicht. Im Gegenteil: Treffender müsste der Film „Alma mit Oskar und ihren übrigen Männern“ heißen. Kokoschka ist zwar primus inter pares, aber nur einer von einem halben Dutzend Verehrern, die Alma Mahler umschwärmen wie die Motten das Licht. Sie steht strahlend im Zentrum, lockt oder verstößt die liebeshungrigen Kerle, wie es ihr beliebt, und Regisseur Berner feiert sie dafür als „weiblichen Don Juan“.

 

Das mag heutigem Zeitgeist schmeicheln, aber ist es historisch verbürgt? Angesichts ihres selbstbestimmten und ungenierten Lebenswandels zerrissen sich schon die Zeitgenossen das Maul über die „Künstlerschlampe“. Fest steht: Alma, Tochter eines Malers und einer Sängerin, wurde von ihrem Stiefvater Carl Moll, einem etablierten Jugendstilkünstler, in die Wiener Kulturelite eingeführt. 1902 heiratete sie erst 22-jährig den 19 Jahre älteren Komponisten Gustav Mahler; die Ehe verlief sehr unglücklich.

 

Oskar schrieb 400 Briefe an Alma

 

1910 begann sie eine Affäre mit dem – damals kaum bekannten – Architekten Walter Gropius. Als Mahler davon erfuhr, bat er Sigmund Freud um Rat, doch dessen Diagnose rettete die Ehe nicht. Im Folgejahr stirbt der Komponist und hinterlässt Alma ein stattliches Vermögen; die Witwe tritt fortan in Gesellschaft als allseits umschwärmte Salondame auf. Von Carl Moll beauftragt, soll Kokoschka sie porträtieren; der verliebt sich sofort in Alma, und sie lässt sich auf ihn ein. Bald bombardiert er sie mit Briefen, insgesamt rund 400.

 

Ihr Verhältnis wogt auf und ab; sie küssen und sie schlagen sich. Bis Alma sich ihrem besitzergreifenden und rasend eifersüchtigen Geliebten durch immer längere Reisen entzieht. Aus ihrer Sicht ist die Beziehung im August 1914 bei Kriegsausbruch vorbei. Kokoschka meldet sich freiwillig zum Militär, wird zwei Mal schwer verwundet und in ein Dresdener Sanatorium eingeliefert. Dort lässt er sich eine lebensgroße Alma-Puppe anfertigen, als Fetisch gegen Liebeskummer. Soweit die pikanten bis grotesken Fakten.

 

Solistin im Befreiungskampf

 

Mit ihnen springt der Film recht großzügig um, aber geschenkt. Seine Schwäche ist weniger, dass er manche Schlüsselmomente vorführt, die so kaum stattgefunden haben dürften – etwa einen bewaffneten Showdown von Kokoschka mit Walter Gropius (Anton von Lucke) in dessen Berliner Villa. Wirklich problematisch ist vielmehr, dass Regisseur Berner dieses schillernde Ensemble von Gestalten und ihr Agieren nur als Kulisse benutzt für ein Solo: den heroischen Befreiungskampf der Alma Mahler (Emily Cox) um ihre künstlerische und erotische Selbstverwirklichung.

 

Alle Macker um sie herum – zu den genannten gesellen sich noch der Dirigent Bruno Walter, der Architekt Adolf Loos, Erzherzog Franz Ferdinand und andere – haben eines gemeinsam: Sie wollen Alma unterdrücken und kleinhalten. In ihrem Machotum sind sie alle gleich. Daher nimmt die Regie ihre Charaktere nicht ernst und gönnt ihnen keine Zeit zur Entfaltung ihrer Motive; sie denken ja eh immer nur an das Eine.

 

Freizügige Sex-Szenen lassen kalt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Egon Schiele – Tod und Mädchen"schwungvolles Biopic über den Wiener Expressionisten von Dieter Berner

 

und hier eine Besprechung des Films "Paula – Mein Leben soll ein Fest sein" – einfühlsames Biopic über die Malerin von Christian Schwochow

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Oskar Kokoschka – Humanist und Rebell"- im Kunstmuseum, Wolfsburg

 

Dass diese Phalanx von Pappkameraden so blass bleibt, färbt auf die Hauptfigur ab. Warum Alma eine derart magische Ausstrahlung haben soll, dass ihr die Männer reihenweise verfallen, bleibt unerfindlich. Dafür fehlt Emily Cox schlicht genug sex appeal, was bohrende Blicke und herrisches Gehabe nicht wettmachen. Selbst die freizügig ausgespielten Sex-Szenen, für die eigens ein „Intimacy Coordinator“ engagiert wurde, lassen den Betrachter kalt: Jetzt vernascht sie ihn wieder, na und?

 

Der einzige, der diesen auf Krawall gebürsteten Liebeshändel existentiell erdet, ist Valentin Postlmayr als Oskar. Nicht, weil er rastlos zeichnet, kritzelt und pinselt; etwa ihr Doppelporträt von 1912/13, auf dem er sich ihre Verlobung imaginiert – heute im Museum Folkwang in Essen. Oder „Die Windsbraut“ von 1913/14, ebenfalls ein Doppelporträt, aber liegend und expressionistisch verwirbelt. Viele halten es für Kokoschkas bestes Gemälde; es hängt heute im Kunstmuseum Basel. Hilde Berger betitelte ihre Romanvorlage nach ihm.

 

Zwischen Blöd- und Wahnsinn

 

Nein: Postlmayrs stieres Brüten und sein reduziertes Minenspiel zwischen Blöd- und Wahnsinn lassen die maßlosen Leidenschaften ahnen, die in ihm toben. Ihm geht es nicht um Punktsiege im Wiener Gesellschaftsspiel, sondern um alles für immer – weswegen er für Alma auf Dauer unerträglich wird. Was Regisseur Berner in einer fesselnden Schlussszene veranschaulicht, welche die Tragik ihrer Beziehung vor Augen führt; sie war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Aber dieses ergreifende Ende macht 80 Minuten hochtourige Oberflächlichkeit nicht wett.