Klaus Stern

Watching you – Die Welt von Palantir und Alex Karp

Alex Karp im Gespräch mit Kameramann Thomas Giefer auf dem "Digitising Europe"-Kongress 2019 in Berlin. Foto: © Real Fiction Filmverleih
(Kinostart: 6.6.) Die Welt ertrinkt in Daten. Palantir-Software verhilft zu Durchblick: Sie filtert Konsum- und Finanztrends ebenso heraus wie Verbrecher und Terroristen – Datenschutz, was ist das? Das Wirken der Analyse-Krake beleuchtet Doku-Regisseur Klaus Stern erhellend, obwohl er sich am Chef die Zähne ausbeißt.

J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ stand Pate: In diesem Fantasy-Klassiker ist „Palantir“ eine Bezeichnung für „sehende Steine“. Dabei ist der gleichnamigen US-Software-Firma daran gelegen, in der Geschäftswelt möglichst wenig aufzufallen. Kein Wunder bei ihrem Kundenstamm; der besteht vor allem aus Geheimdiensten, Militär- und Polizeibehörden, Großbanken und anderen Finanzunternehmen. Zudem meidet CEO Alexander Karp, der das Unternehmen 2003/4 mitgründete, Interviews und Auftritte in der Öffentlichkeit.

 

Info

 

Watching you –
Die Welt von Palantir und Alex Karp

 

Regie: Klaus Stern,

98 Min., Deutschland 2024;

mit: Thomas Giefer, Gerhard Baum und - fast - Alex Karp

 

Weitere Informationen zum Film

 

Palantir programmiert und verkauft Analyse-Werkzeuge zur Auswertung von Big Data. Mit solchen Datenanalysen hat die Firma etwa die CIA, die NSA, das FBI und Teilstreitkräfte des US-Militärs beliefert. Derzeit wird Palantir-Software vom ukrainischen Militär zur Auswertung von Satellitenbildern eingesetzt, zur Lagebeurteilung im Kriegsgebiet und zur Zielplanung. Banken, Versicherungen und Hedgefonds spüren mit Palantir-Tools Trends an den Finanzmärkten auf und durchleuchten die Bonität ihrer Geschäftspartner.

 

Verbot durch Verfassungsgericht

 

Für Kriminalisten ist ein anderer Aspekt interessant: die Prävention von Verbrechen. Daher wollten die Polizeibehörden in mehreren Bundesländern – Hessen, Hamburg, NRW und Bayern – mit Palantir ins Geschäft kommen. Das wurde im Februar 2023 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe untersagt; mit der Begründung, automatisierte Datenanalyse bzw. -auswertung verstoße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Offizieller Filmtrailer


 

Größenwahn in der New Economy

 

Eine Firma, deren Name mit diversen Datenschutz-Skandalen in Verbindung gebracht wird, dazu ein charismatischer, aber undurchsichtiger CEO – das ist ein Fall für Klaus Stern. Der hessische Dokumentarfilmer beobachtet in seinen Filmen oft neue Arbeitswelten, wobei er süffisant den Größenwahn ihrer Wortführer bloßlegt. Sein größter Erfolg war der Film „Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker“ (2011), was Stern vor allem seiner Hauptfigur zu verdanken hatte.

 

Göker hatte ein vermeintlich unübertreffliches System zum Vertrieb von privaten Krankenversicherungen aufgebaut; in seinen besten Zeiten gebot er über eine Armee von 1000 Vertretern. Bis das Kartenhaus zusammenfiel: Am Ende des Films war er auf der Flucht vor der deutschen Justiz.

 

Erstkontakt mit Doktorand 1997

 

In „Watching You“ ist die Ausgangslage umgekehrt. Während Göker nicht genug davon bekommen konnte, gefilmt zu werden, durchschaut Alex Karp die Absichten von Klaus Stern sofort – und lässt den Regisseur mehrfach freundlich abblitzen. So muss Stern auf alternatives Material zurückgreifen. 1997 drehte sein Kameramann Thomas Giefer in New York Aufnahmen mit einem noch völlig unbekannten Alex Karp, der damals Doktorand war. 2002 promovierte er in Frankfurt über ein sozialpsychologisches Thema – am renommierten linken „Institut für Sozialforschung“.

 

Immer wieder kehrt der Film zu dieser 27 Jahre alten Sequenz zurück, als hoffe er, aus der Zeitlupe eines Zigarren rauchenden Laiendarstellers etwas herauslesen zu können, was seine Recherche nur langsam freilegt. Weil die einstige Zufallsbekanntschaft mittlerweile als einer der bestbezahlten CEOs der Welt gilt – geschätztes Privatvermögen: 1,7 Milliarden US-Dollar – und entsprechend global vernetzt ist, müssen Stern und Giefer viele Flugmeilen zurücklegen, um ihm auf den Fersen zu bleiben.

 

Die Leerstelle im Zentrum einkreisen

 

Und da Karp alle Interview-Anfragen an sich abtropfen lässt, muss Stern stattdessen mit etlichen Menschen reden, die mit ihm oder seinem Unternehmen Kontakt hatten. Es treten auf: Karps ehemalige Doktormutter, ein Ex-Bundesinnenminister, seine Amtsnachfolgerin Nancy Faeser, der bayerische Datenschutzbeauftragte und eine Redakteurin des Manager-Magazin. Am aufschlussreichsten sind die Aussagen eines ehemaligen Palantir-Mitarbeiters, der Wissenswertes über die Firmen-Gründerzeit im Silicon Valley ausplaudert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Pre-Crime" – Doku über präventive Verbrechens-Bekämpfung mit Big Data und ihre Nebenfolgen von Monika Hielscher+ Matthias Heeder

 

und hier eine Besprechung des Films "Total Trust" – eindrucksvolle Doku über Chinas digitales Social-Credit-System zur permanenten Überwachung von Jialing Zhang

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Dimensions - Digital Art since 1859" - umstrittene Digitalkunst-Schau mit Palantir als Hauptsponsor in den Pittlerwerken, Leipzig

 

und hier einen Beitrag über den Film "Versicherungsvertreter" – gelungen groteske Doku über die "erstaunliche Karriere des Mehmet Göker" von Klaus Stern

 

und hier einen Artikel über den Film "Overgames" - Doku über Zusammenhänge zwischen TV-Gameshows und Nachkriegs-Psychiatrie von Lutz Dammbeck.

 

Alle Gesprächspartner helfen, die Leerstelle im Zentrum des Films einzukreisen. Die meisten von ihnen wählen ihre Worte mit Bedacht; sie schätzen vermutlich die juristische Sprengkraft ihrer Äußerungen grammweise ab. Ebenso aussagekräftig sind die Orte, von denen Stern unverrichteter Dinge zurückkehrt: Wirtschaftsgipfel, Waffenmessen und Aufsichtsrats-Sitzungen.

 

Ein Thema als neunköpfige Hydra

 

Wenn er keine O-Töne bekommt, greift Stern auf Material aus Medienarchiven zurück. Von ein paar Texteinblendungen abgesehen, verzichtet er auf Kommentare oder Erläuterungen. Er lässt seine Gegenüber sprechen; eine ausgezeichnete Montage sorgt für Querverbindungen. Allerdings stellt sich das Thema als neunköpfige Hydra heraus; mitunter ist es nicht leicht, den Hakenschlägen durch Raum und Zeit zu folgen.

 

Immer wieder bauen Bilder und Filmmusik Erwartungen auf, um sich dann im Geraune zu verlieren. So wurde das Unternehmen bei seinem Börsengang 2020 mit 60 Milliarden US-Dollar bewertet, obwohl es bis 2019 mit rund 2500 Mitarbeitern nur Verluste erwirtschaftet hatte. Die Frage, wie es zu diesem Missverhältnis kam, wird zwar gestellt, aber nicht beantwortet. Stattdessen erinnert Stern ausführlich an den früheren BKA-Chef Horst Herold, der Mitte der 1970er Jahre zur Suche nach RAF-Terroristen die Rasterfahndung erfand – damit begann die computergestützte Polizeiarbeit.

 

Verlust des moralischen Kompass‘

 

Mit solchen Gedankensprüngen erinnert „Watching You“ an die spielerisch-spekulativen Film-Essays von Lutz Dammbeck. Allerdings kommen Sterns journalistische Recherchen manchmal seinem Vorsatz in die Quere, zugleich ein Psychogramm von Alex Karp zu zeichnen. Dennoch entsteht aus vielen Puzzleteilen sein Bild: das eines hochintelligenten Außenseiters aus linksliberalem Elternhaus, der beim Kontakt mit der dunklen Seite der Macht seinen moralischen Kompass wegwarf. Wenn Karp behauptet, er betreibe Datenschutz, dann meint er die Daten seiner zahlenden Kunden – vor Palantirs Analysen ist kein Privathaushalt und kein Instagram-Profil sicher.