Beatrice Minger + Christoph Schau

E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer

Jean Badovici (Axel Moustache, li.) und Le Corbusier (Charles Morillon). Foto: Rise and Shine Cinema
(Kinostart: 24.10.) Wem gehören die Wände? Sie waren weiß, als die Architektin Eileen Gray ihre Villa an der Côte d’Azur baute; später bemalte Le Corbusier sie bunt, was Gray ablehnte. Diesen Künstler-Streit inszeniert das Regie-Duo Beatrice Minger und Christoph Schau als bescheiden ausgestattetes Kammerspiel.

Die Irin Eileen Gray (1878-1976), von Hause aus finanziell unabhängig, war eine erfolgreiche Designerin und Architektin der klassischen Moderne. Ihr berühmtester Entwurf dürfte den meisten schon einmal begegnet sein: der “Verstellbare Tisch E.1027”, eigentlich ein Beistelltisch mit rundem Stahlrohr-Fuß und ebensolcher Einfassung der Tisch-Glasplatte.

 

Info

 

E.1027 –
Eileen Gray und das Haus am Meer

 

Regie: Beatrice Minger + Christoph Schau,

89 Min., Schweiz 2024;

mit: Natalie Radmall-Quirke, Axel Moustache, Charles Morillon

 

Weitere Informationen zum Film

 

Denselben kryptischen Namen “E.1027” gab sie dem ersten Haus, das sie gestaltete: einer modernistischen Villa direkt an der Steilküste der Französischen Riviera nahe des Dorfes Roquebrune-Cap-Martin. Die codierte Bezeichnung setzt sich zusammen aus den Initialen ihres Namens bzw. ihrer numerischen Stellung im Alphabet und denen des Architekturkritikers Jean Badovici, mit dem und für den sie es finanzierte und baute. Wie eng ihr Verhältnis war, ist nicht genau bekannt – auch der Film hält sich diskret zurück, denn Gray hatte ebenso Beziehungen zu Frauen.

 

Chefdenker der Architekturmoderne

 

1929 zogen die beiden dort ein. Nur zwei Jahre später verließ Gray das Haus, überließ es Badovici und errichtete wenige Kilometer entfernt an der Côte d’Azur eine andere Villa namens “Tempe a Pailla”. Mehrere Jahre später lud Badovici seinen Freund Le Corbusier ein, E.1027 auszuschmücken. Damals war der selbst ernannte Chefdenker einer funktionellen Architekturmoderne nach der CIAM-Konferenz 1933 mit der dort verabschiedeten “Charta von Athen” auf dem Höhepunkt seines Ansehens.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Kein Kunst-Kauf zur Zerstörung

 

Le Corbusier bemalte die weißen Wände von E.1027 mit fünf farbenfrohen Fresken; manche zeigten stilisierte Frauengestalten. Gray, die sein Konzept der “Wohnmaschine” ablehnte, verlangte, die Bemalung rückgängig zu machen – was Badovici und Le Corbusier verweigerten. Zurecht, weil sie ihm das Haus übereignet hatte, so dass Badovici über das Aussehen allein entscheiden durfte?

 

So einfach ist es nicht, zumindest nicht im deutschem Recht: Das “Urheberpersönlichkeitsrecht” gestattet dem Schöpfer, jede “Entstellung oder sonstige Beeinträchtigung seines Werks unterbinden zu lassen” – auch wenn er es nicht mehr besitzt. Man darf z.B. kein Kunstwerk erwerben, um es zu zerstören; deshalb hatten Joseph Beuys‘ Erben 1986 Anspruch auf Schadensersatz, nachdem seine “Fettecke” in der Kunstakademie Düsseldorf vom Hausmeister weggeworfen worden war.

 

Hybride Dokufiktion mit Mini-Budget

 

Andererseits: Die meisten Kirchen und viele historische Gebäude sind Kollektiv-Schöpfungen. Im Lauf der Jahrhunderte haben zahlreiche Künstler daran mitgewirkt, Altes entfernt und Neues hinzugefügt, so dass sie heute Schichtkuchen gleichen – unter jeder Schicht verbirgt sich eine weitere. Welche davon bei Sanierungsarbeiten konserviert und welche abgetragen werden müssen, ist häufig sehr umstritten. Warum sollten moderne Gebäude von diesem intertemporalen Teamwork-Prinzip ausgenommen bleiben?

 

Für solche juristischen und kunsthistorischen Fragen interessiert sich das schweizerische Regie-Duo Beatrice Minger und Christoph Schau kaum. Ihrer “hybriden Dokufiktion” sieht man vor allem an, dass sie mit bescheidenen Mitteln realisiert worden ist. Zwar konnten sie einige Szenen in der – mittlerweile restaurierten – E.1027-Villa drehen; doch was deren Originalität in Aufbau und Ausstattung ausmacht, bleibt unerwähnt.

 

Papierene Dialoge aus Zitaten

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Kraft der Utopie – Leben mit Le Corbusier in Chandigarh" – Doku über die Punjab-Hauptstadt aus der Retorte von Thomas Karrer + Karin Bucher

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Lina Bo Bardi 100 – Brasiliens alternativer Weg in die Moderne" erste deutsche Werkschau der Architektin des International Style in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Ein Leben für die Architektur: Der Fotograf Julius Shulman" umfassende Werkschau des Foto-Chronisten des International Style im Architekturmuseum Schwaben, Augsburg

 

und hier einen Bericht über den Film Films "Kevin Roche: Der stille Architekt" Porträt des Modernisten und Pritzker-Preisträgers 1982 von Mark Noonan.

 

Die meisten Passagen spielen hingegen auf einer nahezu leeren Studiobühne; sie wird mit ein paar Requisiten und Diaprojektionen zum Allzweck-Schauplatz ausstaffiert. Dort darf die spröde und zugeknöpfte Eileen Gray (Natalie Radmall-Quirke) ausgiebig schweigen, während ihre Kommentare aus dem Off eingesprochen werden. Umso beredter parliert Jean Badovici (Axel Moustache), später sekundiert von Le Corbusier (Charles Morillon).

 

Weil die ganze Affäre recht voraussetzungsreich ist – es geht nicht nur um verschmähte Liebe und verletzte Eitelkeiten, sondern auch um verschiedene Konzeptionen von moderner Architektur – wird zudem die Vita und das künstlerische Selbstverständnis von Eileen Gray im Schnelldurchgang abgehandelt. Weitgehend anhand von Original-Auszügen aus ihren Schriften, was viele Dialoge recht papieren klingen lässt: Menschen sprechen gemeinhin nicht in Brief- oder Tagebuch-Zitaten.

 

Alphamann + Hypersensible

 

Zwar suggeriert die Regie, indem die Kamera meist Grays Perspektive einnimmt, ihr sei bitteres Unrecht durch zwei übergriffige Männer geschehen. Was im Falle von Le Corbusier durchaus plausibel ist: Als Alphamann der Architekturtheorie pflegte er Konkurrenten bedenklos wegzubeißen. Andererseits lädt auch Gray nicht zur Identifikation ein: Introvertiert und hochempfindlich, blieb sie offenbar am liebsten mit sich allein – Kompromisse scheinen ihr fremd gewesen zu sein.

 

Regisseur Christoph Schaub hat schon einige Dokus über moderne Architektur und ihre Schöpfer gedreht – etwa Santiago Calatrava (1999), das “Vogelnest” genannte Olympiastadion in Peking von Herzog & de Meuron (2008) oder “Architektur der Unendlichkeit” (2018) über Sakralbauten und Transzendenz. Doch dieses halbfiktionale Kammerspiel bleibt seltsam substanz- und ergebnislos. Wer wirklich wissen will, ob Le Corbusiers Fresken der Erhaltung wert sind, muss wohl nach Roquebrune-Cap-Martin reisen.