Körper als Ware: begehrenswert, solange sie durch Kosmetika und Beauty-Produkte jung und knackig erscheint. Verfliegt aber deren Reiz, wirken die Leiber umso verbrauchter. Um dieses Dilemma dreht sich die Geschichte einer passabel gealterten Fernsehschönheit mit täglicher Aerobic-Show. Doch Elisabeth Sparkle (Demi Moore) wird von heute auf morgen vom schmierigen Chef Harvey (Dennis Quaid) gefeuert: Den Einschaltquoten zuliebe soll sie einer jüngeren Nachfolgerin mit strafferer Haut weichen.
Info
The Substance
Regie: Coralie Fargeat,
140 Min., Großbritannien/ USA/ Frankreich 2024;
mit: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid
Weitere Informationen zum Film
Jung + alt wie Dorian Gray
Dann naht rettende Hilfe: Eine mysteriöse Stimme am Telefon bietet ihr eine gleichsam magische Substanz an. Sobald sich Elisabeth das seltsame Zeug einverleibt, verhilft es ihr zu einem jüngeren Selbst. Mit ihm glänzt sie in der Außenwelt, während ihr bisheriger Körper leblos im Badezimmer liegt und über Infusionen künstlich ernährt wird: Wie einst Dorian Gray verdoppelt sich Elisabeth gewissermaßen in eine junge und eine alte Gestalt. Anders als Oscar Wildes Romanfigur von 1891 hat sie aber nur sieben Tage Zeit, bevor sie wieder eine Woche lang in ihren früheren Körper zurückschlüpfen muss.
Offizieller Filmtrailer OmU
Kampf gegen sich selbst im Alter Ego
Anfangs kostet Elisabeth den Jungbrunnen voll aus: Ihr sexy Alter Ego Sue (Margaret Qualley) wird prompt von Harvey als neue Fitness-Queen angeheuert und genießt den Rummel um ihre Promi-Person. Der macht süchtig: Bald will Elisabeth nicht mehr im Wochenrhythmus die Gestalt tauschen und verstößt gegen die Behandlungsregeln.
So wird Sue zu ihrer erbitterten Rivalin. Dabei altert Elisabeth rapide und erkennt zu spät: Ihr Wettstreit mit Sue ist ein Kampf gegen sich selbst. Da ist ihr Körper schon längst verstümmelt: Jede Abweichung vom vorgeschriebenen Verfahren wird mit einem verkümmerten Finger oder einem verstümmelten Bein bestraft.
Zaubertrank für Life-Science-Zeitalter
„The Substance“ will eine bitterböse Parabel über frauenfeindlichen Jugendwahn, Körperkult und -optimierung sein. Den naiven, aber nicht totzukriegenden Traum, mit der richtigen Frischzellenkur, Sauerstofftherapie und anderen Wundermittelchen ließe sich biologisches Altern aufhalten oder gar umkehren, überträgt der Film in die Life-Science-Gegenwart: Die seltsame, neongelbe Substanz ist eine Art Zaubertrank fürs Hightech-Zeitalter.
Anhänger und zugleich Opfer solcher Schimären sind vor allem Frauen, die mit offenem Sexismus in den Medien konfrontiert werden. Was Regisseurin Coralie Fargeat ätzend bloßstellt, indem sie einen der TV-Produzenten beim Vorsprechen für die Fitness-Show bedauern lässt, dass die Kandidatin „ihre Titten nicht mitten im Gesicht trägt“. Das ist ein Omen für den bevorstehenden Body-Horror, der erwartungsgemäß ins Extreme kippt.
Demi Moore als Idealbesetzung
Wobei die Besetzung der Hauptrolle kaum passender sein könnte: Die Höhen und Tiefen der Laufbahn ihrer Figur hat Demi Moore in der Filmbranche selbst erlebt. Ihre größten Erfolge feierte sie in den 1980/90er Jahren mit Filmen wie „Ghost – Nachricht von Sam“ (1990) oder „Ein unmoralisches Angebot“ (1993). Danach wurde es ruhiger um sie; 2008 beklagte sie in einem Interview mangelnde Job-Angebote.
Hintergrund
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Grelle Reize in kalten Räumen
Darunter leidet die Dramaturgie; sie erschöpft sich zusehends in abstoßenden Effekten und bleibt am Ende arg plakativ. Um im Bild zu bleiben: Der Story fehlt es an Subtilität und Substanz. Stattdessen setzt der Film auf grelle Oberflächenreize in klinisch kalten Räumen. Das Setting beschränkt sich auf überhell ausgeleuchtete Fernsehstudios, Elisabeths steril leere Wohnung und eine obskure Bruchbude, wo sie sich wie ein Junkie ihre Verjüngungs-Substanz beschafft.
Zum Überstilisierung tragen auch absurd artifizielle Details bei. Etwa eine überlebensgroße Plakatwand direkt vor dem Panoramafenster ihres Penthouses, auf der ein Blow-up-Poster ihres Alter Ego Sue prangt – als narzisstische Nabelschau in your face. Auch die Musik winkt akustisch mit dem Zaunpfahl: Anfangs überdrehter Gute-Laune-Pop weicht bedrohlich quietschenden Klängen, wenn Elisabeth ihre Sieben-Tage-Frist im jüngeren Ich überzieht.
Zu viel zu lange
Alles endet nach zweieinhalb Stunden – wie überraschend – buchstäblich im Blutbad-Rausch. Da haben die überzogenen und wenig variierten Splatter-Elemente längst jede Schockwirkung verloren. Nicht nur für Elisabeths Körper-Häutungen, sondern auch für den gesamten Film gilt: too much too long.