Brandon Cronenberg

Infinity Pool

Auf James (Alexander Skarsgård) warten allerlei Demütigungen. Foto: © Universal Pictures
(Kinostart: 20.4.) Postkolonialer Horrorfilm: Im exotischen Ferienparadies können sich Urlauber von jeder Straftat freikaufen – wenn sie Klonen und Tod ihres Doppelgängers bezahlen. Wie sein Vater David frönt Regisseur Brandon Cronenberg dem Body-Horror – samt Francis-Bacon-Masken und Drogensex.

Der Schatten berühmter Väter mag für manche eine lebenslange Bürde sein – der kanadische Regisseur Brandon Cronenberg dagegen scheint vom Werk seines Vaters David eher beflügelt zu werden. „Infinity Pool“ ist nach „Antiviral“ (2012) und „Possessor“ (2020) der dritte Langfilm des 1980 geborenen Regisseurs. Wie seine beiden Vorgänger lässt er sich dem Subgenre „Body Horror“ zuordnen – es wurde quasi für Werke seines Vaters wie „Videodrome“ (1983) oder „Die Fliege“ (1986) erfunden.

 

Info

 

Infinity Pool

 

Regie: Brandon Cronenberg,

118 Min., Kanada/ Kroatien/ Ungarn 2023;

mit: Alexander Skarsgård, Mia Goth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert

 

Weitere Informationen zum Film

 

Vor allem gestalterisch drängen sich Parallelen auf. „Infinity Pool“ nutzt Original-Schauplätze in Osteuropa, um das diffuse Bild einer künftigen oder parallelen Welt zu skizzieren. In diesem Fall dient die kroatische Adriaküste als Spielort; sie soll die fiktive Inselrepublik „Li Tolqa“ darstellen, die wohl im Südpazifik zu verorten ist. In einem streng vom Rest der Insel abgeschirmten All-inclusive-Ressort urlaubt dort der Schriftsteller James Foster (Alexander Skarsgård), der unter einer Schreibblockade leidet, mit seiner vermögenden Frau Em (Cleopatra Coleman) – zwischen beiden kriselt es.

 

Femme fatale langt intim zu

 

Als sich die junge Schauspielerin Gabi Bauer (Mia Goth) als sein Fan outet, ist James geschmeichelt. Er und seine Gattin werden von ihr und ihrem Mann Alban (Jalil Lespert) zu einem Ausflug ins Umland überredet – dabei wird die Femme fatale insgeheim handgreiflich. Nach dem Fehltritt folgt die Strafe: Als James betrunken einen Einheimischen überfährt, wird er festgenommen und mit den drakonischen Gesetzen des Landes vertraut gemacht.

Offizieller Filmtrailer


 

Tourismus für Nahtod-Erlebnisse

 

Eigentlich droht ihm der Rache-Tod durch den Sohn des Unfall-Opfers. Allerdings, erklärt ihm der Kriminalbeamte (Thomas Kretschmann) eines kafkaesken Polizeireviers, kennt das Justizsystem der Insel eine Ausnahmeregel: Betuchte Straftäter können sich gegen eine hohe Gebühr klonen lassen – inklusive ihrer Erinnerungen. Der auf diese Weise hergestellte Doppelgänger wird als Sündenbock geopfert, währenddessen der Täter dabei zusehen muss.

 

Der damit beabsichtigte Abschreckungseffekt hat sich aber längst ins Gegenteil verkehrt. Einige Verurteilte suchen geradezu den Kick dieses Nahtod-Erlebnisses und kehren dafür jedes Jahr zurück – im Wissen, sich von jeder Strafe freikaufen zu können. Der Zaun und das streng bewachte Tor des Ressorts sind also nicht zum Schutz der Gäste da, sondern im Gegenteil: zum Schutz der Inselbewohner vor entfesselten Touristen.

 

Doppelgänger weckt Tier in sich

 

Nachdem seine Frau Em abgereist ist, gerät James in eine Gruppe zügelloser Müßiggänger, die einer Art Todeskult frönen. Das inszeniert Cronenberg rasant und einfallsreich, wobei er gleich mehrere Lieblingsthemen seines Vaters aufnimmt – etwa das Motiv des „Dunklen Doppelgängers“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Crimes of the Future" – fantasievolle Body-Horror-Dystopie von David Cronenberg

 

und hier eine Besprechung des Films "The Northman" – düster faszinierendes nordisches Heldenepos von Robert Eggers mit Alexander Skarsgård als Berserker

 

und hier einen Beitrag über den Film "Triangle of Sadness" – brillant ätzende Klassengesellschafts-Satire auf All-inclusive-Luxusliner von Ruben Östlund, prämiert mit Goldener Palme 2022

 

 und hier einen Bericht über den Film "A Cure for Wellness" – glänzend gruseliger Mystery-Horror-Thriller im Kurbad von Gore Verbinski.

 

In „Infinity Pool“ kämpft der Intellektuelle James am Ende mit seinem Alter Ego. Dafür muss Hauptdarsteller Alexander Skarsgård das Tier in sich wecken; diese Fähigkeit hat er bereits als nordischer Berserker im Film „The Northman“ bewiesen. Als Mit- und Gegenspielerin glänzt Mia Goth, die sich derzeit zur Königin des aktuellen US-Horrorkinos entwickelt.

 

Projektionsfläche für Begierden + Ängste

 

All das bereitet Regisseur Cronenberg als Schlachtfest der Sinne zu; mit Körpersäften, Stichwunden, halluzinogenem Sex und allerlei Transgressionen. Zerknautschte Gummimasken der Terror-Touristen bei ihren Streifzügen erinnern an die deformierte Porträtmalerei von Francis Bacon. Auch die übrige Ausstattung wurde sorgfältig gestaltet: Bizarre Schriftzeichen, die vage dem Georgischen ähneln, postindustrielle Ruinen in üppiger Natur, altmodische Autos aus sozialistischer Herstellung – die universal-exotische Insel „Li Tolqa“ dient als Projektionsfläche für westliche Begierden und Ängste in den Tropen.

 

Der Film spielt damit auch satirisch auf Scheinheiliges im Nord-Süd-Gefälle an, vom Elendstourismus bis zu dubiosen Deals mit autokratischen Regimes. Dabei mag die bizarre heimische Klonungs-Technik symbolisch für die Fähigkeit von Drittwelt-Bewohnern stehen, trotz widrigster Umstände ständig neues Leben zu produzieren. Der Neid darauf lockt die so reichen wie dekadenten Stammgäste und weckt ihre niedersten Instinkte. Diese Motive spielt Cronenberg geschickt und mit grimmigem Humor in einem postkolonialen Horrorfilm aus.