Ruben Östlund

Triangle of Sadness

Stets Zeit für ein Smartphone-Foto: Dimitry (Zlatko Buric) knipst Ludmila (Carolina Bynning). Foto: © Fredrik Wenzel/AlamodeFilm
(Kinostart: 13.10.) Bermudadreieck der Traurigkeit: Der schwedische Regisseur Ruben Östlund versenkt einen Luxusliner voller dekadenter Zeitgenossen – und lässt auf einer Robinson-Insel die Klassengesellschaft wieder auferstehen. Für die herrlich ätzende Parabel gab es die Goldene Palme 2022.

Gutes Aussehen ist wichtig im Kampf um gesellschaftliches Ansehen. Wie es in der Mode- und Schönheitsindustrie zu Geld gemacht wird, regelt ein komplexes System aus Journalisten, Juroren, Casting-Agenten und Artdirektoren. Sie müssen weder selbst schön sein noch über guten Geschmack verfügen. Aber sie haben die Deutungshoheit und entscheiden, welcher Model-Stern aufgehen soll und welcher sich bereits im Sinkflug befindet.

 

Info

 

Triangle of Sadness

 

Regie: Ruben Östlund,

147 Min., Schweden/ Deutschland/ Frankreich/ Großbritannien 2022;

mit: Harris Dickinson, Charlbi Dean, Iris Berben, Woody Harrelson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Bei einem Model-Casting wird der durchtrainierte Blondschopf Carl (Harris Dickinson) ermahnt, er müsse lernen, sein „Triangle of Sadness“ – die bei ihm kaum ausgeprägte Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen – zu kontrollieren. Das deutet darauf hin, dass seine Karriere ihren Höhepunkt bereits überschritten hat. Was einer der Gründe sein dürfte, warum das Thema Geld zwischen ihm und seiner Freundin Yaya (Charlbi Dean) immer wieder Spannungen auslöst.

 

Leben als Endlos-Fotostrecke

 

Denn Yaya ist nicht nur Model, sondern auch erfolgreiche Influencerin. Ihr gesamtes Leben verwandelt sie in eine nicht abreißende Fotostrecke für ihre dankbaren Follower. Sollte sie eines Tages keine Fotoshooting-Aufträge mehr bekommen, bliebe ihr immer noch der Ausweg, sich als „Trophäenfrau“ in die Arme eines Superreichen zu werfen, sagt sie. Das dürfte für Carl, der sowieso weniger verdient als sie, keine Option sein.

Offizieller Filmtrailer


 

Fröhliche Massen vs. Luxus-Arroganz

 

Mit seiner schwachen Stellung steht er im Werk des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund nicht allein da. Bereits in seinem Debütfilm „Höhere Gewalt“ (2014) über einen Familienvater, der Frau und Kinder im Stich lässt, hatte Östlund männliches Versagen in beklemmend amüsante Tableaus übersetzt. Auch der Museumsdirektor in „The Square“ (2017) war eine eher klägliche Figur; diese Kunstbetriebs-Satire rutschte allerdings in eine Reihe klamaukiger Szenen ab, die auf Dauer ermüdeten. Trotzdem gewann der Film den Wettbewerb von Cannes.

 

Das ist Östlund im Mai mit „Triangle of Sadness“ erneut gelungen; diesmal erscheint die Auszeichnung mit der Goldenen Palme tatsächlich hoch verdient. Schon in der Eingangsszene wird Carl samt einem Dutzend halbnackter Kollegen eine absurde Inszenierung abverlangt, die in Erinnerung bleibt. Sie sollen abwechselnd passende Haltungen für zwei Modemarken einnehmen: für den Massenproduzenten H&M fröhliche Lebenslust, für das Hochpreis-Label Balenciaga einen arrogant-abweisenden Ausdruck. So symbolisieren sie mit ihrer Mimik und Körperhaltung das Image der jeweiligen Marke beim Zielpublikum.

 

Zwei-Klassen-Gesellschaft an Deck

 

Fortan taucht der Film mit jeder Szene tiefer in soziale Mechanismen ein, in denen alle Interaktionen bis zu den privatesten durch die Macht des Geldes vermittelt werden. Dabei jagt abermals eine schräge Idee die andere – doch anders als in der Skizzensammlung von „The Square“ fügen sich die einzelnen Handlungsstränge diesmal zur schlüssigen Gesellschaftssatire. Sie kippt mitunter ins übertrieben Drastische, aber meist erheitert ihr ätzender Witz.

 

Als Abwechslung vom stressigen Model-Dasein gönnen sich Yaya und Carl eine Luxuskreuzfahrt, die von einem Werbekunden gesponsert wird. Hier liest die Crew den Passagieren alle Wünsche von den Augen ab; an Deck zu rauchen oder gar im Pool zu baden, ist den Angestellten dagegen streng verboten. Zudem müssen sie exzentrische Wünsche und Eifersüchteleien der Gäste ertragen, ob beim Sonnenbaden oder den allabendlichen Diners.

 

Soziale Umwälzung durch Sturm + Piraten

 

Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft ist bunt zusammengewürfelt: vom schrulligen britischen Waffenproduzenten-Paar über den russischen Milliardär Dimitry, der mit Düngemitteln stinkreich geworden ist, bis zum trinkfesten marxistischen Kapitän (großartig: Woody Harrelson), der sich mit Dimitry ein Wettsaufen samt Marx- und Lenin-Zitaten liefert. Er überlässt die Steuerung des Schiffes der Offizierin Paula (Vicky Berlin), die ihren ganzen Ehrgeiz in Regelbefolgung legt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Square" - gallige Kunstmarkt-Satire aus Schweden von Ruben Östlund, prämiert mit Goldener Palme 2017

 

und hier ein Interview mit Ruben Östlund über "The Square"

 

und hier eine Besprechung des Films "Höhere Gewalt" - eindrucksvolles Familien-Drama im alpinen Hochgebirge von Ruben Östlund

 

Dann zieht ein Sturm auf und lässt das Captain’s Diner im Chaos untergehen. Zudem kapern Piraten den Luxusliner und versenken ihn; damit sorgen sie für die unfreiwillige Überwindung aller bestehenden Ungleichheiten. Einige Schiffbrüchige werden an den Strand einer Tropeninsel gespült – dort spielt ihr bisheriger Standesdünkel keine Rolle mehr.

 

Mitreißend illustriertes Machtgefälle

 

Auf dem vermeintlich menschenleeren Eiland bilden die Überlebenden – mit Anleihen bei William Goldings Robinsonade-Klassiker „Herr der Fliegen“ (1954) – eine provisorische Gemeinschaft. Angeführt und befehligt wird sie von der früheren Toilettenfrau Abigail (Donna de Leon): Als einzige kann sie Fische fangen und Feuer machen, also das Überleben sichern. Ihre Führungsposition erlaubt ihr, daraus Vorteile zu ziehen und sich zu nehmen, was sie haben will. Doch auch in dieser neuen Realität macht sich optische Attraktivität bezahlt.

 

So beschreibt „Triangle of Sadness“ mit spielfreudigem Ensemble, raffinierten Tempowechseln in der Spannungskurve und gelungen grotesken Einfällen die Klassenunterschiede zwischen Armutsmigration und obszöner Verschwendung in der heutigen Welt. Selten wurde die These, dass zum gegebenen Machtgefälle menschlicher Beziehungen keine Alternative denkbar scheint, mitreißender illustriert – und komischer.