Joaquin Phoenix + Lady Gaga

Joker: Folie à deux

Arthur Fleck/Joker(Joaquin Phoenix) und Harley Quinn/Harleen Quinzel (Lady Gaga). Foto: © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved
(Kinostart: 3.10.) Geteilter Wahn ist halbes Leid: In der Fortsetzung des „Joker“-Welterfolgs hat der Killer-Clown eine Knast-Affäre mit Lady Gaga. Joaquin Phoenix glänzt wieder in der Titelrolle – Regisseur Todd Phillips setzt Musical-Partien geschmeidig ein, doch seine Zeitdiagnose fällt düster aus.

Von allen Schurken des DC-Comic-Universums hat der Joker wohl die bemerkenswerteste Medienkarriere hinter sich. Der kriminelle Clown war von Anfang an die nervige Nemesis von Batman. So begleitete er den Dunklen Ritter von Gotham City durch die Jahrzehnte: von den ersten Cartoons über die ulkige TV-Serie in den 1960er Jahren bis zu den Kino-Abenteuern ab 1989 – deren Tonfall im Laufe der Zeit immer düsterer wurde.

 

Info

 

Joker: Folie à deux

 

Regie: Todd Phillips,

138 Min., USA 2024;

mit: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Catherine Keener, Brendan Gleeson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diverse Adaptionen gaben mehreren „Joker“-Darstellern Gelegenheit, als Horror-Clown zu brillieren; darunter Jack Nicholson und Heath Ledger. Mit dem „Joker“-Film von Regisseur Todd Phillips, der 2019 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, erreichte die Stimmung einen Tiefpunkt. Der Joker, von Joaquin Phoenix mit beängstigender Intensität gespielt, war kein schlagfertiger Superganove mehr, sondern ein armes Schwein namens Arthur Fleck.

 

Vorbild für Verlierer weltweit

 

Dieser Niemand mit Wahnvorstellungen, der als Möchtegern-Komiker und -Entertainer total versagte, erregte eher Mitleid – bis er begann, seine tatsächlichen und eingebildeten Peiniger zu ermorden. Dadurch wurde der Film zu einem internationalen Überraschungserfolg. Er traf einen Nerv: Viele seiner Fans feierten den Joker als underdog, der sich mit Gewalt gegen das System zur Wehr setzt – als Vorbild für Verlierer und Zukurzgekommene weltweit.

Offizieller Filmtrailer


 

Brandstifterin spendet Lebensmut

 

Die Fortsetzung „Folie à deux“ („Wahnsinn für zwei“) beginnt da, wo der Vorgänger endete: im Gefängnis, in dem Fleck auf seinen Prozess wartet, weil er vor laufender Kamera einen TV-Moderator erschossen hat. Ein bunt animierter Vorfilm rekapituliert die Ereignisse im naiven Cartoon-Stil der Batman-Frühzeit, um dann in die tristen Farben des Hauptfilms überzuleiten.

 

Im Arkham-Gefängnis ist Fleck wegen seiner TV-Präsenz eine Berühmtheit, wird aber weiterhin schikaniert. Seinem Prozess sieht er mit Indifferenz entgegen, wohl wegen täglich verabreichter Tabletten. Die Strategie seiner Anwältin (Catherine Keener), auf Schizophrenie und damit Schuldunfähigkeit zu plädieren, scheint er nicht zu verstehen. Erst als er im Gefängnis-Chor auf die Brandstifterin Harleen „Lee“ Quinzel (Lady Gaga) trifft, schöpft er wieder Lebensmut und setzt die Medikamente ab.

 

Grandiose Illusion + elende Realität

 

So tritt die andere Seite seiner Persönlichkeit wieder hervor. Diese Verwandlung äußert sich in Musical-Sequenzen, in denen Lee und Joker mit Witzen, nostalgischen Songs und Tanz sich eine gemeinsame Zukunft ausmalen. Dieses Ineinandergreifen von grandioser Illusion und elender Realität geschieht erstaunlich geschmeidig. Doch ihre Traumwelt erweist sich als brüchig.

 

Als der Prozess näher rückt, wird auch Lee zum Medienstar, weshalb Fleck sofort Verrat wittert. Bald findet er heraus, dass seine vermeintliche Komplizin und Seelenverwandte nur ein Groupie ist, das sich unter einem Vorwand ins Gefängnis eingeschlichen hat. Ihre folie à deux wird als eine weitere Illusion enthüllt. Daher mutiert der Film nicht zur Gewaltorgie eines Paares, das sich den Weg freischießt, etwa im Stil von „Bonnie und Clyde“ (1967) oder der „Natural Born Killers“ (1994), sondern bleibt am Boden eines Gerichtsdramas, das stetig absurder wird.

 

Potenzielle Amokläufer nun vernetzt

 

Dass der Richter es Fleck erlaubt, sich im Joker-Kostüm selbst zu verteidigen, scheint darauf hinzudeuten, dass die ganze Handlung womöglich eine einzige Wahnvorstellung ist. Der Joker nutzt diese Gelegenheit, für ein paar billige Lacher die Zeugen zu demütigen und, wenn sie verletzt verstummen, erbarmungslos nachzutreten.

 

Hintergrund

 

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und hier einen Berich über den Film "House of Gucci" – überdrehte Fashion-Familiensaga von Ridley Scott mit Lady Gaga.

 

Damit erscheint sein Charakter im Vergleich zum Vorgängerfilm gewandelt: Der Joker von 2019 stand noch für eine Schar einsamer, sich selbst bemitleidender Opfer, die sich so lange Rachefantasien ausmalen, bis sie eines Tages zu Tätern werden. Fünf Jahre später schildert „Joker: Folie à deux“, was passiert, wenn solche potenziellen Amokläufer sich vernetzen und der größte Narzisst unter ihnen die Bühne erobert. Unvereinbare Aufassungen von Wirklichkeit prallen aufeinander und Wahnvorstellungen schaukeln sich hoch, bis zum Gewaltausbruch.

 

Polit-Parabel für abgewürgtes Lachen

 

Man kommt kaum umhin, diesen Film nicht als Kommentar auf die aktuelle Stimmung in den USA zu verstehen. Schizophrenie, alternative Realitäten und zynische Verherrlichung roher Gewalt – das ist die Diagnose, die Regisseur Todd Phillips und sein Ko-Skript-Autor Scott Silver dem Land ausstellen. Ihr Film ist alles andere als Gute-Laune-Kino. Aber Metaphern und Symbole werden virtuos eingesetzt, und die politische Parabel gleicht einem langen, gut erzählten Witz, bei dessen Pointe einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

 

In ersten Joker-Film diente Robert De Niro in der Rolle des Star-Talkmasters Murray Franklin als Projektionsfläche für Flecks Wahn und notwendiges schauspielerisches Gegengewicht zu Phoenix’ mitunter erdrückender Präsenz. In „Folie à deux“ stellt sich Lady Gaga dieser Herausforderung mit Bravour; natürlich kann sie besser singen und tanzen als ihr Partner.

 

Abgang als Hoffnungsschimmer

 

Leider verschwindet Lee kurz vor dem Finale recht unspektakulär aus der Handlung. Aber auch dieser Anti-Klimax ist notwendig, um das Lügengebäude im Kopf von Arthur Fleck zusammenbrechen zu lassen. Ihr souveräner Abgang bietet den einzigen Hoffnungsschimmer des Films.