Joaquin Phoenix + Robert De Niro

Joker

Arthur Fleck/Joker (Joaquin Phoenix) will eigentlich immer nur Lächeln. Foto: Warner Bros. Pictures Germany
(Kinostart: 10.10.) Wie "Taxi Driver" für das 21. Jahrhundert: Keiner lacht über die Witze des traurigen Clowns Arthur Fleck – bis er ausrastet. Sein Psychodrama erzählt Regisseur Todd Phillips mit einem brillanten Joaquin Phoenix; der Bezug zu Batman fällt fast flach.

Anfang September war die Überraschung bei den Filmfestspielen in Venedig perfekt: „Joker“ von Regisseur Todd Phillips wurde mit dem Goldenen Löwen prämiert. Als erste Comic-Adaption überhaupt gewann der Film den Hauptpreis eines A-Festivals. Bereits vorher hatte es nach der Premiere im Wettbewerb minutenlange standing ovations gegeben.

 

Info

 

Joker

 

Regie: Todd Phillips,

122 Min., Kanada/ USA 2019;

mit: Joaquin Phoenix, Zazie Beetz, Robert De Niro 

 

Weitere Informationen

 

„Joker“ erzählt zwar die Genese des Erzrivalen von Batman, einer der seit den 1940er Jahren prominentesten Comic-Figuren weltweit. Doch bis auf wenige Anspielungen hat der Film kaum etwas mit dem Superhelden-Genre und seinen Fortsetzungs-Serien zu tun. Dafür wäre Ausnahmeschauspieler Joaquin Phoenix wohl auch nicht zu gewinnen gewesen. Stattdessen haben Phillips und Phoenix ein atmosphärisch dichtes Psychodrama geschaffen: Es schildert, wie sich ein immer wieder gedemütigter Mann wandelt, bis er getrieben von Rachegelüsten zum brutal mordenden Psychopathen wird.

 

Horrorclowns als Wutbürger

 

Vor dem Hintergrund einer zusehends gespaltenen Gesellschaft mit Eliten, die in die eigene Tasche wirtschaften, und von ihnen im Stich gelassenen Massen, die dagegen immer wütender protestieren, zeichnet „Joker“ ein düsteres Bild. Zugespitzte Verhältnisse produzieren Horrorclowns und Wutbürger auf allen Ebenen: Unter diesen Voraussetzungen führt der Traum von Glück und Erfolg direkt ins Unheil.

Offizieller Filmtrailer


 

Mit Mama in Kleinwohnung

 

Denn Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), der in Stresssituationen von einem nicht zu unterdrückenden gackernden Lachen geplagt wird, hat einen Traum, den das allgegenwärtige Fernsehen speist: Obwohl nie jemand über seine Witze lacht, möchte er nichts lieber als ein Comedy-Star werden.

 

Dabei ist er von jedem Erfolg denkbar weit entfernt. Mit seiner kranken Mutter fristet er in einer kleinen Wohnung sein Dasein als drittklassiger Clown, der es kaum schafft, Kinder auf Krankenstationen aufzuheitern. Bei einem lächerlichen Werbeeinsatz auf der Straße wird er zusammengeschlagen, verliert danach seinen Job, und seine Therapeutin kann ihn nicht mehr behandeln, weil das Gesundheitssystem zurückgefahren wird.

 

Verbeugung vor Scorsese-Klassiker

 

Nur am Abend kann Artur abschalten und träumen, wenn er mit seiner Mutter im TV die „Murray Franklin Show“ ansieht. Diesen Franklin, einen alten zynischen Showmaster, hat Phillips mit Robert De Niro besetzt; damit verhilft er ihm nach gefühlten Ewigkeiten wieder zur einer Rolle, in der er an alte Größe anknüpft. Der Regisseur betont damit, dass sein Werk auch eine tiefe Verbeugung vor dem US-Autorenkino eines Martin Scorsese ist.

 

Fast wirkt „Joker“ mit seinem Loser in der Hauptrolle, der nach zahllosen Enttäuschungen zuschlägt, wie ein Remake von Scoreses größtem Erfolg „Taxi Driver“ (1976) mit De Niro als Vietnam-Veteranen, der sich in New York auf einen Amoklauf vorbereitet – aber ein Remake auf der Höhe heutiger Produktionsmittel. Die in Venedig versammelten Filmgrößen dürften sich mit dem Goldenen Löwen für „Joker“ auch selbst dafür gefeiert haben, dass einer ihrer Klassiker als gelungene Blockbuster-Produktion für die Gegenwart aktualisiert worden ist.

 

Wasser auf „Incel“-Mühlen

 

Filmisch funktioniert das nicht zuletzt wegen des herausragenden Joaquin Phoenix durchaus gut. Regisseur Phillips – der zuvor eher burleske Schwänke wie die „Hangover“-Trilogie über Buddy-Saufgelage gedreht hat – setzt in „Joker“ nicht auf grelle Effekte, sondern lässt sich einfühlsam auf den Protagonisten ein. Selten wurden durchgängiges Scheitern an anderen und sich selbst samt der tragischen Folgen gnadenloser auf die Leinwand gebracht.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Maria Magdalena" - Biopic über die Gefährtin Jesu von Garth Davis mit Joaquin Phoenix

 

und hier ein Beitrag über den Film "Inherent Vice – Natürliche Mängel" – Verfilmung des Späthippie-Romans von Thomas Pynchon durch Paul Thomas Anderson mit Joaquin Phoenix

 

und hier einen Bericht über den Film "Red Lights" – Parapsychologie-Thriller von Rodrigo Cortés mit Robert De Niro.

 

Dennoch liegt die Befürchtung nahe, dass ein emotional derart aufgeladener Antihelden-Film Wasser auf die Mühlen all derer leitet, die sich ungerecht behandelt fühlen und selbst diffuse Rachegefühle hegen. In den USA wird derzeit diskutiert, ob „Joker“ gar eine Welle von „Incel-Violence“ auslösen könne. Als „Incels“ bezeichnet man unfreiwillig zölibatär lebende Männer, die Frauen die Schuld an ihrem unbefriedigenden Dasein geben und sich in Internet-Foren gegenseitig in Misogynie und Hass bestärken.

 

Realer Amoklauf 2012

 

Zum US-Kinostart von „Joker“ warnte das FBI gar vor möglichen Amokläufen ähnlich demjenigen 2012 im Städtchen Aurora. Dort erschoss ein Attentäter, der sich selbst bei seiner Festnahme als Joker bezeichnete, bei der Premiere des Batman-Films „The Dark Knight Rises“ 12 Kinobesucher und verletzte rund 60 weitere teils schwer. Solche Debatten bringen „Joker“ werbeträchtige Medien-Aufmerksamkeit; sein Erfolg an den Kinokassen gilt als gewiss.

 

Unabhängig von der Qualität des Films stellt er jedoch einmal mehr die Frage in den Raum, wie oft die altbekannte Geschichte der Selbstermächtigung eines narzisstischen Underdog eigentlich noch erzählt werden soll. Und wie weit dafür die Grenzen der Darstellung von Gewalt und Bösartigkeit noch verschoben werden müssen, damit das Resultat Anspruch auf Echt- und Ernsthaftigkeit erheben darf.