Jamie (Margaret Qualley) und Mariam (Geraldine Viswanathan) sind Freundinnen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Während die freigeistige Jamie ihre Tage und Nächte damit verbringt, ihre lesbische Sexualität auszuleben, arbeitet die stets auf korrekte Sprache bedachte Mariam in hochgeschlossenen Outfits in einem langweiligen Bürojob. Um der Tristesse ihres Alltags in Philadelphia vorübergehend zu entkommen, beschließt sie, eine Tante in Florida zu besuchen. Jamie, die ob ihrer andauernden Eskapaden von Partnerin Sukie (Beanie Feldstein) vor die Tür gesetzt wurde, lädt sich kurzerhand selbst ein, mitzufahren.
Info
Drive-Away Dolls
Regie: Ethan Coen,
84 Min., USA/ Großbritannien 2024;
mit: Margaret Qualley, Geraldine Viswanathan, Matt Damon
Weitere Informationen zum Film
Ehefrau als Co-Autorin
„Drive-Away Dolls“ ist der erste Film, bei dem Ethan Coen allein Regie führte. Bisher teilte er sich Regie und Drehbuch stets mit seinem Bruder Joel. Seit ihrem Debüt „Blood Simple“ (1983) haben die Brüder zahlreiche Meilensteine des amerikanischen Independent-Kinos geschaffen, darunter Filme wie „Fargo“ (1995), „The Big Lebowski“ (1998) oder „No Country for Old Men“ (2007). Anstelle des Bruders ist nun als Co-Autorin Coens Ehefrau Tricia Cooke mit von der Partie. Deren eigene Erfahrungen in der Queer-Szene der 1990er Jahre sollen in das Projekt mit eingeflossen sein.
Offizieller Filmtrailer
Atmosphäre aus dem Coen-Baukasten
Zum Vergleich: Joel Coen hat sich mit seinem ersten Film nach der Trennung der Brüder, „The Tragedy of Macbeth“ (2021), inhaltlich ganz auf Shakespeares Text zurückgezogen, diesem aber durch ein formales Ideenfeuerwerk neue Dimensionen eröffnet. Ethan Coen geht in eine entgegengesetzte Richtung. Sein seit etwa sieben Jahren angekündigter und immer wieder verschobener Film wirkt in erster Linie wie eine Rückbesinnung auf das, was das Kino der Brüder gerade in der Anfangszeit ausgemacht hat.
Das beginnt mit akkurat geradlinigen Kamerafahrten durch enge Bars und kontrastreich ausgeleuchtete Straßenschluchten und hört mit einer Montage von Gesichtern, die aus ganz unterschiedlichen Gründen schreien, noch lange nicht auf. So wird für die 1999 spielende Handlung eine aus dem Coen-Baukasten generierte Atmosphäre zwischen Lakonie und Hysterie erzeugt, die durch sexuelle Inhalte und queere Szenerie modernisiert wird.
Achterbahnfahrt mit Längen
Vor allem die reichlich skurrilen Dialoge und das Aufeinanderprallen von albernen und äußerst gewalttätigen Momenten sollen für eine Achterbahnfahrt der Gefühle sorgen. Doch selbst eine sich anbahnende Liebesgeschichte, die im Coen-Universum eine echte Innovation darstellt, verschafft dem Film nicht das nötige Gewicht. Zu sehr wirkt alles aus recycelten Motiven zusammengesetzt, als dass man es ernst nehmen könnte. Da helfen auch nicht die wie immer bis in die kleinsten Nebenrollen exzellent besetzten Darsteller. Zum Beispiel hat Matt Damon einen späten Auftritt als ultrakonservativer Senator auf Abwegen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Florida Project" – zauberhafte Prekariatsstudie von Sean Baker mit Willem Dafoe
und hier eine Besprechung des Films "Roads" – eindrucksvolles Roadmovie von Sebastian Schipper
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Sexploitation als Streckmittel
Unterbrochen und gestreckt wird die Handlung immer wieder durch schlaglichtartiges Einspielen von Filmausschnitten in Experimental- und Sexploitation-Ästhetik à la Russ Meyer. In einem dieser Übergänge hat Miley Cyrus einen Cameo-Auftritt. Im Abspann werden sie dem Groupie Cynthia Plaster Caster gewidmet, das einst Gipsabgüsse prominenter Genitalien anfertigte und als Kunst ausstellte.
Das ist natürlich alles auf eine kalifornische Weise cool. Den ganz woanders spielenden Film und sein Anliegen unterstützen diese Szenen aber nur sehr bedingt. Ethan Coen wendet sich mit seinem ersten Alleingang dem Anschein nach ausschließlich an den Humor der eigenen Fans. Relevanz stellt sich anders her. Potenzial hierfür böte der kulturelle Clash von Freigeistigkeit und Bigotterie vor dem Hintergrund des konservativ-reaktionären rollback im Amerika der ausgehenden Clinton-Ära. Zu dessen Entfaltung reicht es aber nicht, Klamauk aus Retro-Versatzstücken zusammenzusetzen.