An einer kanadischen Grundschule passiert etwas Entsetzliches: Eine Lehrerin erhängt sich im Klassenzimmer – ein zwölfjähriger Schüler findet sie. Die Klasse ist traumatisiert; Schulleitung und Kollegium sind geschockt und ratlos, wie sie damit umgehen sollen. Man wählt den institutionalisierten Weg und zieht eine Psychologin von außen hinzu.
Info
Monsieur Lazhar
Regie: Philippe Falardeau, 94 Min., Kanada 2011;
mit: Mohamed Fellag, Sophie Nélisse, Émilien Néron
Trotz seltsam altmodischer Unterrichts-Methoden akzeptieren die Kinder ihren neuen Lehrer schnell. Mit menschlicher Wärme und Einfühlungsvermögen gewinnt Monsieur Lazhar ihr Vertrauen.
Offizieller Film-Trailer
Freundlicher deus ex machina
Wie ein freundlicher deus ex machina scheint Lazhar in diese nur äußerlich wohlgeordnete Welt einzudringen, in der die Menschen sich als unfähig erweisen, das Geschehene emotional aufzuarbeiten. Die anstrengende Krisen-Bewältigung wird an eine Psychologin delegiert. Das Kollegium selbst – angefangen mit der Direktorin – vermeidet es, über den Selbstmord der Lehrerin zu reden.
Bis die kleine Alice, ein Mädchen aus Lazhars Klasse, in einem Schul-Aufsatz der Verstorbenen Vorwürfe macht, weil sie sich ausgerechnet im Klassenzimmer erhängt hat. Damit spricht Alice ihren Klassenkameraden aus der Seele. Zugleich bricht sie ein unausgesprochenes Tabu, was bei der Direktorin für Empörung sorgt.
Mehr Kammerspiel als Film
Das Werk des franko-kanadischen Regisseurs Philippe Falardeau war einer von fünf Kandidaten des Academy Award für den besten fremdsprachigen Film. In dieser Kategorie werden häufig kammerspielartige Dramen ausgezeichnet – wie in diesem Jahr der iranische Film «Nader und Simin – eine Trennung» von Ashgar Farhadi.
Insofern war die Nominierung für den Auslands-Oscar gerechtfertigt, denn «Monsieur Lazhar» ist mehr Kammerspiel als Film – sogar etwas zu sehr. Man merkt dem Drehbuch an, dass ihm ein Theaterstück als Vorlage diente.
Alle Geheimnisse offen gelegt
Auf der Bühne agieren die Figuren stets in gewisser Distanz zu den Zuschauern; da kann es von Vorteil sein, wenn Charaktere eher etwas überdeutlich gezeichnet sind. Vor der Kamera ist das nicht nur unnötig, sondern auch störend: Vor allem, wenn wie hier ausgiebig mit Nahaufnahmen von Gesichtern gearbeitet wird.
Man würde ja gern in diesen Gesichtern lesen, um ihre Geheimnisse zu ergründen. Doch etwaige Geheimnisse werden ohnehin bereits recht explizit offen gelegt. Auch Lazhar verbirgt so manches – doch nicht vor uns, sondern lediglich vor seinen Mitmenschen. Dagegen wissen die Zuschauer ziemlich schnell recht gut Bescheid über ihn und die anderen – oder?
Anständig gemachtes Lehrstück
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Nahost-Psychodramas "Die Frau, die singt - Incendies" des franko-kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve.
Doch gelungene leise Dramen gehen unter die Haut, weil unter ihrer Oberfläche so allerlei mitschwingt, das zwar nicht offensichtlich ist, sich aber dennoch mitteilt. Bei «Monsieur Lazhar» aber schwingt nichts Unsichtbares: Zu sehen ist ein gut gemeintes und anständig gemachtes Lehrstück.