Tom Tykwer

Nairobi Half Life

Das Opfer ist ihm dicht auf den Fersen: Oti (Olwenya Maina) hat einer Passantin ihr Handy entwendet. Foto: One Fine Day Films
(Kinostart: 11.10.) Vom Tellerwäscher zum kriminellen Theater-Star: Ein junger Kenianer führt ein gefährliches Doppelleben. Regisseur Tosh Gitonga debütiert mit authentischen Einblicken in Afrikas Großstädte – produziert von Tom Tykwer.

Eine Coming-of-Age-Story, angelegt wie ein europäischer Bildungs-Roman – aber sie spielt in Kenia. In seinem Provinz-Nest hat der junge Mwas (Joseph Wairimu) kein Publikum für sein Schauspiel-Talent; also wandert er in die Hauptstadt Nairobi ab. Die wird ihrem Spitznamen Nairobbery gerecht: Kurz nach der Ankunft wird Mwas auf offener Straße ausgeraubt.

 

Info

Nairobi Half Life

 

Regie: Tosh Gitonga, 96 min., Kenia/ Deutschland 2012;
mit: Joseph Mairumu, Olwenya Maina, Nancy Wanjiku Karanja

 

Facebook-Seite zum Film

Ohne Habseligkeiten und Geld landet Mwas in Untersuchungs-Haft. Dort herrschen haarsträubende Zustände; Mithäftlinge demütigen und zwingen ihn, die völlig verdreckte Latrine zu putzen. Bis sich der Ganove Oti (Olwenya Maina) seiner annimmt und ihm den ersten Job verschafft: als Tellerwäscher.

 

Erst Teile, dann ganze Autos stehlen

 

Dann darf Mwas in Otis Gangster-Bande mitmischen – die schlägt sich mit Diebstahl und Schwarzhandel von Auto-Ersatzteilen durch. Der pfiffige Neuling überzeugt sie, mehr zu riskieren: Bald raubt die Gang mit Waffengewalt ganze Geländewagen. Am fetten Reibach fordern korrupte Polizisten ihren Anteil, die nicht zimperlich sind.


Offizieller Film-Trailer


 

Polizei mischt bei illegalen Geschäften kräftig mit

 

Zugleich verliert Mwas seinen Traum nicht aus den Augen: In einer Off-Theatergruppe ergattert er seine erste Rolle. Der Regisseur ist zwar von seiner Bühnen-Präsenz begeistert, doch ihm fällt es zunehmend schwer, sein Doppel-Leben durchzuhalten: tagsüber Bühnen-Proben, nachts Raubzüge. Kurz vor der Premiere kommt es zum blutigen showdown zwischen Otis Truppe und den Polizisten.

 

Der Plot spiegelt die Erfahrungen zahlloser Afrikaner wider: In der Hoffnung auf mehr Chancen und ein besseres Leben ziehen sie vom Land in übervölkerte Städte, wo ein raues Klima herrscht. Hier zählen traditionelle Tugenden und Ehrbegriffe nicht mehr viel; jeder muss sehen, wo er bleibt. Wer Opfer von Kriminalität wird, kann auf Hilfe der Ordnungshüter nicht zählen. Im Gegenteil: Sie mischen bei illegalen Geschäften kräftig mit und schöpfen die Gewinne ab.

 

Afrikanische Sichtweisen für internationalen Markt

 

Diese Atmosphäre flagranter Gesetzlosigkeit fängt «Nairobi Half Life» äußerst authentisch ein. Der Film wurde vom kenianischen Regisseur Tosh Gitonga mit einem lokalen Team gedreht, das der deutsche Regisseur Tom Tykwer unterstützt. Seine Produktionsfirma «One Fine Day Films» trainiert gemeinsam mit der Deutsche Welle Akademie vor Ort heimische Talente, um ihnen in Workshops handwerklich professionelle Praxis zu vermitteln.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Lobes-Hymne auf den Afrika-Film "Der Fluss war einst ein Mensch" von Jan Zabeil mit Alexander Fehling

 

und hier ein Beitrag über “Viva Riva! – zu viel ist nie genug” von Djo Tunda wa Munga, den ersten Spielfilm aus der DRC Kongo

 

und hier eine kultiversum-Besprechung des Films "Soul Boy" von Hawa Essuman über das Leben in Nairobis größtem Slum.

Ein gelungener Know-how-Transfer: So entstehen Filme, welche die Sicht von Afrikanern auf ihre Lebenswelt in einer Bildsprache darstellen, die den Ansprüchen des internationalen Markts genügen. Das Pilot-Projekt dieser deutsch-kenianischen Zusammenarbeit war der mittellange Jugend-Film «Soul Boy», der hierzulande 2010 ins Kino kam; nun folgt der erste abendfüllende Spielfilm.

 

Für Auslands-Oscar nominiert

 

Die Bewährungsprobe beim schwarzen Publikum hat er bestanden: «Nairobi Half Life» lief in Nairobis Kinos wochenlang vor ausverkauften Sälen und wurde als Kandidat für die Oscar-Verleihung an den besten ausländischen Film nominiert – als erste Produktion aus Kenia seit vier Jahren.

 

Auf dem Festival im südafrikanischen Durban wurde zudem Hauptdarsteller Joseph Wairimu als bester Schauspieler ausgezeichnet. Ähnlicher Erfolg wäre dem Film auch an hiesigen Kinokassen zu wünschen: Ein besserer Einblick in den Überlebenskampf auf den Straßen afrikanischer Großstädte ist kaum denkbar.