Talal Derki

Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats

Al-Nusra-Rebellenführer Abu Osama im Kreis seiner Söhne. Foto: © Port au Prince Pictures
(Kinostart: 21.3.) Die Banalität des islamistischen Bösen: Filmemacher Talal Derki beobachtet inkognito die Familie eines Führers der syrischen Al-Nusra-Front. Seine Homestory der etwas anderen Art verstört dadurch, wie beiläufig das Abgründige erscheint.

Zu Beginn des Films findet ein kleiner Junge einen verletzten Vogel. Was damit tun, wie ihn aufpäppeln? Besorgt und etwas hilflos berät er sich mit seinen Geschwistern;  soweit, so gewöhnlich. Später erfährt der Zuschauer: Schließlich hat der Junge dem Vogel den Kopf abgeschnitten. Nun ja: Mitunter quälen Kinder Tiere – aus Neugierde, Unwissenheit, Sadismus, was auch immer.

 

Info

 

Of Fathers and Sons -
Die Kinder des Kalifats

 

Regie: Talal Derki,

99 Min., Syrien/ Deutschland/ USA 2017;

mit: Abu Osama, Ayman Osama, Osama Osama

 

Website zum Film

 

Dass der Junge jedoch seinem Vater stolz davon berichtet und prahlt, er habe es ihm nun gleichgetan, weil der bewunderte Vater auch schon einem Mann den Kopf abgeschnitten habe: Puh! Willkommen bei einer Dschihadisten-Familie in Nordsyrien! Dieser Familienvater heißt Abu Osama und ist ein Mitbegründer der Al-Nusra-Front; bis zur Abspaltung 2016 war sie der syrische Ableger der Terrororganisation Al Qaida.

 

Als Kriegsfotograf getarnt

 

Seine Familie – genauer: nur ihren männlichen Teil – lernen wir kennen, weil Talal Derki zweieinhalb Jahre mit ihr verbracht hat. Der syrische Filmemacher zeichnete 2013 in seinem Langfilmdebüt „Homs – Ein zerstörter Traum“ den Weg zweier Freunde in den bewaffneten Widerstand gegen das Assad-Regime nach. Seit 2014 lebt Derki in Deutschland, doch für diese Doku ist er in seine zerstörte Heimat zurückgekehrt. Das Vertrauen des Milizenführers Abu Osama gewann er, indem er sich Kriegsfotograf ausgab, der mit dem Islamismus sympathisiere.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Allumfassende Liebe zu Bin Laden

 

In diese Welt gewährt Regisseur Derki einen durch und durch deprimierenden Einblick; oft ist allein das Zuschauen schon schwer erträglich. Im Mittelpunkt des Films steht die Entwicklung der beiden ältesten Söhne: Der 13-jährige Osama – der nach Osama bin Laden benannt ist – scheint ein aufgeweckter, verschmitzter Junge zu sein; der zwölfjährige Bruder Ayman offenbar ein Sensibelchen. In die Schule schickt der Vater seine Kinder nicht mehr.

 

Sie haben also viel Zeit totzuschlagen und tun, was Kinder so machen, teilweise jedoch in einer ziemlich verrohten Spielart. Darüber hinaus hängen Osama, der Älteste, und seine Geschwister am liebsten an den Lippen des Vaters. Was der so von sich gibt, wird in manchen Momenten geradezu surreal bizarr; etwa, wenn er auf fast hippieske Weise von seiner Zuneigung für den Terror-Drahtzieher Osama Bin Laden schwärmt und von allumfassender Liebe spricht.

 

Nichts ist süßer als Märtyrertod

 

Allzu tiefe Einblicke in Abu Osama Denkweise vermittelt der Film nicht. Derki erklärt nicht, woher seine Ansichten kommen, und stellt keine Fragen, die ihn oder seine Familie misstrauisch machen könnten: Es wäre fatal, wenn seine Tarnung aufflöge. Seine Rolle in diesem Gefüge ist die eines stillen Beobachters. Frauen bleiben abwesend; sie dürfen wohl nicht vor die Kamera kommen. Ab und zu hört man eine Frauenstimme aus dem Off; auch das wird nicht thematisiert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Milan Protokoll" - komplexer Nahost-Politthriller von Peter Ott

 

und hier ein Beitrag über den Film "Innen Leben - Insyriated" - beklemmendes Syrienkriegs-Drama aus Zivilisten-Perspektive von Philippe Van Leeuw

 

und hier einen Bericht über den Film "Der Himmel wird warten" über vom "Islamischen Staat" rekrutierte Jugendliche in Frankreich von Marie-Castille Mention-Schaar

 

und hier eine Besprechung des Films "Timbuktu" - brillant lakonisches Drama über islamistischen Terror in Nordafrika von Abderrahmane Sissako.

 

Im Umgang mit den Kindern gibt es nicht nur Drill. Zwischen dem Vater und den Kindern besteht bisweilen durchaus eine Nähe, die man als zärtlich und liebevoll bezeichnen kann. Einmal abgesehen von der grundsätzlichen Pervertierung, dass Abu Osama sich nichts Schöneres vorstellen kann, als seine Söhne als Märtyrer sterben zu sehen. Daher bereitet er sie stetig auf ihre Rolle als Kämpfer für das Kalifat vor.

 

Training im Taliban-Boot-Camp

 

Dann verliert Abu Osama beim Entschärfen einer Mine einen Fuß; als heroischer Kämpfer fällt er fortan aus. Diese Fackel sollen nun die Söhne weiter tragen: So werden die beiden Ältesten in eine Art Taliban-Boot-Camp geschickt. Ayman hält nicht durch und kehrt zur Familie zurück. Sein Bruder Osama leidet in dem Trainingslager zwar offenkundig auch, doch für ihn gibt es keine Alternative zu dem Weg, den sein Vater für ihn vorgesehen hat.

 

Solche Einblicke, die der Film bietet, verstören schon allein dadurch, dass sich viele Abgründe ganz und gar beiläufig auftun; sie erscheinen fest in den Alltag integriert. Damit konfrontiert der Regisseur sein Publikum roh und unverhüllt mit einer Realität, die in Syrien ebenso wie in manchen anderen Teilen der islamischen Welt besteht. Zwar hat Talal Derki viel riskiert, um diesen Film zu drehen – trotzdem vermittelt er wenig Erkenntnisgewinn. Stattdessen führt er lediglich einmal mehr vor Augen, dass das Böse recht banal daherkommen kann.