Wir sind Papst – nicht mehr: Josef Kardinal Ratzinger, 2005 als Benedikt XVI. zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt, trat im Februar 2013 von seinem Amt zurück. Ein fast einmaliger Vorgang: Zuletzt gab Ende des 13. Jahrhunderts Coelestin V. seine Papstwürde zu Lebzeiten freiwillig auf. Offensichtlich betrachtete sich Ratzinger als gescheitert.
Info
Verteidiger des Glaubens – das Scheitern eines Papstes
Regie: Christoph Röhl,
90 Min., Deutschland 2019;
mit: Klaus Mertes, Tony Flannery, Georg Gänswein
Dogmatik-Spezialist
1951 zum Priester geweiht, wurde er sieben Jahre daruf mit nur 31 Jahren zum Professor für Dogmatik an die Hochschule in Freising berufen. Er lehrte auch in Bonn, Münster und Tübingen; 1969 ging er an die Universität Regensburg. 1977 wurde er zum Erzbischof von München geweiht; vier Jahre später holte ihn Papst Johannes Paul II. nach Rom. Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre verteidigte Ratzinger nicht nur die offizielle Linie für das Zölibat, gegen Homosexualität und Befreiungstheologie in Lateinamerika, sondern setzte auch eine straffe innerkirchliche Ordnung durch.
Offizieller Filmtrailer
Klima geistiger Abschottung
Ein Experte der theologischen Debatten und herrschenden Lehre – aber weder Organisator noch Menschenfischer. Daher war die Überraschung groß, als er die Nachfolge des polnischen Papstes antrat. In Anbetracht seiner öffentlichen Auftritte: Dieser kleine, gebückt gehende und scheu lächelnde Gelehrte begeisterte die Masse der Gläubigen nicht; sie jubelte ihm eher pflichtschuldig zu. Dass ihm die Popstar-Qualitäten von Karol Woytila fehlten, wäre aber kein Anlass zum Rücktritt gewesen – den lieferte der lamentable Zustand der Kirchenführung.
Gegen die Herausforderungen in einer sich rasant wandelnden Welt wollten Woytila und seine rechte Hand Ratzinger die Kirche schützen, indem sie sich einigelten: Traditionen und Dogmen sind heilig, Veränderungen des Teufels. Hohe Ämter besetzten sie vorzugsweise mit orthodoxen Jasagern, die keine Diskussion duldeten. Dieses Klima geistiger Abschottung machte den Klerus zunehmend unfähig, auf Kritik und externe Schocks angemessen zu reagieren. Davon brachen während beider Amtszeiten mehrere über die Kirche herein.
Oberlegionär Christi zeugt Kinder
Ausführlich rollt der Film den Fall der erzkonservativen „Legionäre Christi“ auf; einer seit 1941 bestehende Kongregation mit rund 400 Priestern und mehr als 2000 Seminaristen. Ihr charismatischer Gründer, der Mexikaner Marcial Maciel, war in zahlreiche Drogen-, Korruptions- und Missbrauchs-Skandale verwickelt; trotz Zölibats zeugte er Kinder mit mehreren Frauen. 2006 zwang ihn der Vatikan, sein Priesteramt aufzugeben; doch verbrachte er noch zwei Jahre unbehelligt und in üppigem Komfort lebend, bis er starb.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Spotlight" - exzellenter Enthüllungs-Thriller über die Kindermissbrauch durch den katholischen Klerus von Tom McCarthy, prämiert mit dem Oscar als bester Film 2016
und hier eine Besprechung des Films "Zwingli - Der Reformator" - Biopic über den Martin Luther der Schweiz von Stefan Haupt
und hier einen Bericht über den Film "An ihrer Stelle - Fill the Void" von Rama Burshtein über die Last jüdisch-orthodoxer Traditionen für eine junge Frau
und hier einen Beitrag über den Dokumentarfilm "Die große Passion" von Jörg Adolph über die Passionsspiele in Oberammergau.
So langsam wie der Vatikan
Diese These belegt Regisseur Röhl durch ausgiebige Interviews mit zehn Klerikern und Journalisten, die dem Reformkatholizismus zuzurechnen sind. Ihre Kritik ist schlüssig und stimmig, bietet aber wenig Neues. Allenfalls Ratzingers Privatsekretär Georg Gänswein und sein Ex-Assistent, der Theologe Wolfgang Beinert, ergänzen das bekannte Bild des emeritierten Papstes um ein paar Nuancen. Dabei unterlegt Röhl diese Gespräche mit recht beliebigem Bildmaterial: Messfeiern, Prozessionen und Gläubige mit Fähnchen sehen so unverändert und zeitlos aus, wie sich der Papst seine Kirche wohl stets gewünscht hat.
Vergeblich: Sein Nachfolger Papst Franziskus krempelt die weltgrößte Religionsgemeinschaft kräftig um. Ein Ausblick, inwieweit er gegen die von Ratzinger hinterlassenen Missstände vorgeht, hätte diesem Film gut getan. Der endet nämlich im Jahr 2013; schon davor will Regisseur Röhl mit der Recherche begonnen haben. Da fragt man sich, warum die Fertigstellung dieser soliden, aber biederen Doku so lange gedauert hat – fürs Kino sollte man fixer sein als der verknöcherte Apparat im Vatikan.