Wes Anderson

The French Dispatch

Cheery Writer (Wally Wolodarsky), Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) und Herbsaint Sazerac (Owen Wilson). © 2020 Twentieth Century Fox Film Corp.
(Kinostart: 21.10.) All the Stories That’s Fit to Print: Seine detailverliebte Hommage an die goldenen Zeiten des Magazin-Journalismus verlegt Regisseur Wes Anderson in ein Ideal-Paris zwischen Hemingway und Mai 1968 – voller Anspielungen für prädigitale Frankophile.

Der Tag, an dem Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) stirbt, markiert das Ende einer Epoche. Der Sohn eines Zeitungsmoguls aus Kansas ist nach dem Ersten Weltkrieg nach Europa gekommen und hat in Ennui-sur-Blasé – etwa: „Langeweile an Blasiertheit“ – den „French Dispatch“ gegründet. Dafür hat er die Crème de la Crème der schreibenden US-Expats in Europa verpflichtet – das Blatt mausert sich schnell zum hippen Magazin. Mit seinem Tod, so verfügt Howitzer in seinem Testament, soll die Zeitung eingestellt werden.

 

Info

 

The French Dispatch

 

Regie: Wes Anderson,

108 Min., USA 2021;

mit: Bill Murray, Tilda Swinton, Owen Wilson, Frances McDormand

 

Weitere Informationen zum Film

 

„The French Dispatch“ ist Wes Andersons so opulent wie detailverliebt inszenierter Abgesang auf die mythische Epoche des Zeitungswesens – der legendäre „New Yorker“ ist das Vorbild. Darüber hinaus verabschiedet er mit einer tiefen Verbeugung und einigem Augenzwinkern die Welt des Prädigitalen. In ihr soll es ein Europa gegeben haben, das mit seiner Kunst, seinen Bars und Straßencafés vor allem ein Abenteuerspielplatz für US-Amerikaner und ihr Geld gewesen ist.

 

Großkünstler und Gangster

 

Andersons Ennui-sur-Blasé ist ein akribisch imaginiertes Paris, das die Zeiten Hemingways und Gertrude Steins mit ihren Großkünstlern und Absinthräuschen, aber auch die der Studentenunruhen um 1968 heraufbeschwört. Bevölkert wird es von Flaneuren, jungfräulichen Studentenführerinnen und Manifest-Verfassern, Gangstern und kulinarisch veranlagten Polizeichefs.

Offizieller Filmtrailer


 

Comicartige Haltungs-Repräsentanten

 

Der Blattmacher und seine Schreiberlinge werden vor allem durch ihre Prinzipien charakterisiert – die sie scheinbar vor allem verfechten, um sie selbst zu missachten oder gegen andere zu richten. Journalistische Neutralität? Fehlanzeige. Starreporterin Lucinda Krementz (Frances McDormand) optimiert die Slogans der Jugendrevolte am liebsten selbst, und zwar im Bett des unsicheren Revolutionsführers Zeffirelli (Timothée Chalamet). Der wichtigste Grundsatz des Herausgebers lautet denn auch „Don’t cry!“ – der Chef verweist ungerührt darauf, wenn er etwa dem Überbringer einer schlechten Nachricht fristlos kündigt.

 

Anderson entwirft sein Europa als skurrile Klischeewelt. Natürlich sind die Figuren – wie in allen seinen Filmen – comicartig überzeichnet und vor allem Repräsentanten von Haltungen. Alles ist Oberfläche, Zitat, Kommentar und Witz, allerdings in einer bisher nicht dagewesenen Meisterschaft in  Detailversessenheit und Liebe zum Material.

 

Die Muse des Doppelmörders

 

Der Film setzt sich aus mehreren Stories zusammen wie die Ausgabe eines Magazins, das die Leser gern von vorn bis hinten durchblättern – und dessen Geschichten sie aufsaugen, um sich von ihnen gefangen nehmen lassen. Anderson-Stammschauspieler Owen Wilson führt zunächst als radelnder Lokalreporter Herbsaint Sazerac in die Welt von Ennui-sur-Blasé ein, deren Stadteile Namen wie Hovel District oder Flop Quarter – Armenviertel oder Versagerdistrikt – tragen.

 

Die erste große Geschichte fällt in die Rubrik Kunst. Benicio del Toro gibt als knurrendes Urviech den als Doppelmörder verurteilten Maler Moses Rosenthaler, der in der Gefängniswärterin Simone (Léa Seydoux) seine Muse findet: Ihre beeindruckende Fähigkeit, stillzustehen, setzt er in wilde Abstraktionen um. Auf diese gründen der Galerist Julien Cadazio (Adrien Brody) und die Kunstkritikerin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton) nicht nur die moderne Kunst, sondern auch ihren eigenen Ruhm.

 

Satire à la Tati + Schwarze Serie

 

Hintergrund

 

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Es folgt eine ergreifende Reportage von Lucinda Krementz über den Pariser Mai 1968, die mit ihren Kamerafahrten, akkuraten Einstellungen und entschlossen rezitierenden Revolutionären aus bourgeoisen Familien wie ein Best-of früher Filme von Jean-Luc Godard wirkt.

 

Am erstaunlichsten entwickelt sich allerdings die Geschichte über die Gastrokritik des Roebuck Wright (Jeffrey Wright) – seine Figur ist von James Baldwin inspiriert. Andersons Darstellung eines Gourmetmenüs beim Polizeichef entwickelt sich zunächst zur Unübersichtlichkeitssatire à la Jacques Tati – und dann zur wüsten Gangsterstory nach dem Vorbild der „Schwarzen Serie“ der 1940/50er Jahre. Am Ende nimmt sie stilistisch gar die Gestalt französischer Comics an.

 

Ohnehin wechselt der Film immer wieder seinen Look, nutzt Schwarzweißbilder und unterschiedlich bunte Farbästhetiken, wandelt sich vom schmalen 4:3-Seitenverhältnis zum Breitwandformat – aber nie, ohne dafür einen Anlass zu haben. Dazu passt der präzise Einsatz der Musik, die wie ein guter Wein zum Essen den cineastischen Genuss abrundet.