Jun Li

Cloudy Mountain

Hong Yizhou (Zhu Yilong) seilt sich am Berg ab. Foto: © 2022 Plaion Pictures
(Kinostart: 1.12.) China als Hightech-Kaserne: Im Actionthriller von Regisseur Jun Li retten Vater und Sohn fast im Alleingang eine Großstadt vor einem Erdrutsch. Neben genreüblichen Übertreibungen breitet der Film die gegenwärtige quasimilitärische Ausrichtung des Landes aus.

Im Kino ist die Abkopplung von China längst vollzogen. Der Kinomarkt der Volksrepublik ist bereits seit einigen Jahren der größte der Welt – aber seine Produktionen sind im Westen nur noch sporadisch zu sehen. Allenfalls Autorenfilme in homöopathischen Dosen auf Festivals, doch chinesische Kassenschlager so gut wie gar nicht.

 

Info

 

Cloudy Mountain

 

Regie: Jun Li,

114 Min., China 2021;

mit: Yilong Zhu, Zhizhong Huang, Junyan Jiao 

 

Weitere Informationen zum Film

 

„The 800“ über die Schlacht um Schanghai 1937 war der weltweit erfolgreichste Film 2020, erschien aber hierzulande nur auf DVD. „The Battle of Lake Changjin“ über den Koreakrieg und „Hi, Mom“ über eine Mutter-Tochter-Beziehung, mit mehr als 900 bzw. 800 Millionen US-Dollar der zweit- bzw. dritterfolgreichste Film 2021, erzielten ihre Rekorderlöse allein auf dem Heimatmarkt. Zu viel Propaganda oder spezifisch chinesische Verhältnisse: Für westliche Verleiher ist das uninteressant.

 

Aktueller Stand in Xi Jinpings Reich

 

Es hat also Seltenheitswert, wenn nun mit „Cloudy Mountain“ ein chinesischer Actionfilm auf hiesige Leinwände kommt. In China spielte er rund 58 Millionen Dollar ein – für dortige Verhältnisse ein mäßiges Ergebnis, das trotzdem für den 58. Platz der internationalen Box-Office-Charts 2021 ausreicht. Exportfähig wirkt der Film, weil auf den ersten Blick Politik keine Rolle zu spielen scheint: Es geht um eine Naturkatastrophe. Der Kampf gegen sie erweist sich aber als äußerst aussagekräftig über den aktuellen Stand im Reich von Xi Jinping.

Offizieller Filmtrailer


 

Gebirge zuckt wie epileptischer Drache

 

Von Beginn an herrscht Alarmstimmung: Aus ungenannten Gründen bewegt sich die Indisch-Australische Kontinentalplatte, die an Chinas Ostküste grenzt, und erschüttert dadurch das Festland. In einer malerisch subtropischen Bergregion reißt dauernd das Gestein auf, und CGI-Felsen stürzen unentwegt zu Tal. Was viel Staub aufwirbelt, so dass öfter die Orientierung verloren geht – macht nichts: Etliche Passagen des Films spielen ohnehin unter Tage.

 

Dort sind Kumpel seit zehn Jahren damit beschäftigt, einen Eisenbahntunnel zu bauen; die Arbeiten stehen kurz vor dem Abschluss. Doch als der Geologe Yizhou Hong (Yilong Zhu) und seine Partnerin Xiaojin Lu (Junyan Jiao) Messungen vornehmen, bricht überraschend Wasser ein und überflutet die Baustelle. Das ist nur der Auftakt zu immer neuen Desastern. Das Gebirge scheint zu zucken wie ein epileptischer Drache, und die Prognosen der Experten ändern sich so schnell wie die hilflosen Gegenmaßnahmen – bis einer Großstadt droht, von monströsen Erdrutschen begraben zu werden.

 

Multitasking von Sino-Superhelden

 

Keine Frage: Auch ohne Tektonik-Kenntnisse wirkt dieses Szenario reichlich unglaubwürdig. Wie die Reaktionen der Hauptperson: Dass Yizhou im Geländewagen durchs Unterholz rasen und gleichzeitig auf seinem Laptop komplizierte Diagnose-Programme bedienen oder später als free climber ohne Hilfsmittel eine schier endlose senkrechte Felswand hochklettern kann – geschenkt. Für Superhelden ist Multitasking bekanntlich kein Problem.

 

Bemerkenswerter ist sein Vater Yunbing Hong (Zhizhong Huang) als Mit- und Gegenspieler. Der frühere Eisenbahnpionier will seinen Sohn besuchen, zu dem er ein gespanntes Verhältnis hat; angesichts der Katastrophe legt er mit der Parole „Ich war Eisenbahnpionier, ich kenne mich aus“ titanische Fähigkeiten an den Tag. Kaum ist er angekommen, öffnet sich eine Erdspalte, in die ein voll besetzter Bus stürzt – dessen Insassen der rüstige Yunbing quasi im Alleingang rettet. Wobei es die Schar in ein ausgedehntes Höhlensystem verschlägt, in dem sie zwischen zwei Abgründen Yizhou begegnet.

 

Opfergeist entscheidet, nicht Technik

 

Ein tränenreich aufgearbeitetes Kindheitstrauma später erklimmen beide die besagte senkrechte Felswand, um Dynamit für die ultimative Not-Explosion anzubringen. An einer besonders schwierigen Stelle kommt Yizhou nur weiter, wenn er auf Yunbings Rücken springt, wodurch dieser in den Abgrund fallen würde. Wozu der alte Herr sofort bereit ist; beim freien Fall nach unten salutiert er. „Auch ein alter Soldat wie ich kann dem Land noch einen Dienst erweisen“, lauten seine letzten Worte – eine Schlüsselszene.

 

Zwar strotzt der Film vor modernster Technik: Die Tunnelbau-Einsatzleitung sieht aus wie die NASA-Kommandozentrale, Geschwader von Helikoptern fliegen umher, Kohorten von bestens ausgerüsteten Feuerwehrleuten retten was das Zeug hält, und noch im hinterletzten Bergtal ist der Mobilfunk-Empfang ausgezeichnet. Doch letztlich entscheidet Opfergeist: Ab etwa der Mitte des Films überbieten sich die Protagonisten in Altruismus.

 

Von Arbeitsameisen zu Highspeed-Zügen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Il Buco - Ein Höhlengleichnis" – semidokumentarisches Re-enactment der Entdeckung einer Höhle in Süditalien 1961 von Michelangelo Frammartino

 

und hier eine Besprechung des Films "The 800" – neomaoistisches Monumental-Epos über die Schlacht um Schanghai 1937 von Hu Guan, weltweit kommerziell erfolgreichster Film 2020

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Great Wall"Historienfilm-Fantasy-Spektakel an der chinesischen Mauer von Zhang Yimou mit Matt Damon

 

und hier einen Bericht über den Film "Drachenmädchen" – Doku über den Drill an Chinas größter Kampfkunst-Schule von Inigo Westmeier.

 

Die Bauleitung, die anfangs noch auf Planerfüllung pocht, lässt sich im Nu überzeugen, dass zur Rettung der Stadt die Sprengung des fast fertigen Tunnels unumgänglich ist. Nach einer feurig-patriotischen Rede sind auch die widerspenstigen Arbeiter dazu bereit. Und wenn der Oberboss – der vermutlich nicht zufällig optisch Xi Jinping ähnelt – seinen Untergebenen befiehlt, sie dürften keine Zeit verlieren, springen alle auf, nehmen zackige Haltung an und schmettern: „Jawoll!“.

 

China als Hightech-Kaserne: „Cloudy Mountain” dürfte die Zukunftsvision des KP-Generalsekretärs treffend bebildern. Dafür bedarf es keiner kommunistischen Folklore mehr. Das zeigt der epische, fast zehn Minuten lange Abspann: Alte Wochenschau-Aufnahmen von fleißigen Arbeitsameisen in Mao-Anzügen, die Gräben ausheben, Brücken bauen und Schienen verlegen, gehen über in bunte Hochglanz-Bilder von Hochgeschwindigkeits-Zügen, die auf schwindelerregend hohen Trassen über Schluchten und Meeresbuchten rasen.

 

Vertraut einfach Partei + Regierung!

 

Dieses Fortschrittspathos kommt ganz theoriefrei daher. Stattdessen setzt es auf vermeintliche Generationen-Kontinuität seit Gründung der Volksrepublik, militärische Disziplin und Unterwerfung unter eine Autorität, die keiner Begründung bedarf. „Vertraut Partei und Regierung!“, heißt es während einer Massen-Evakuierung – das dürften die Bewohner von Städten im Covid-Lockdown oft gehört haben. Tausende Protestierer in Beijing und Schanghai geben pünktlich zum deutschen Kinostart kund, dass sie das nicht tun.