Behrooz Karamizade

Leere Netze

Die Arbeit mit den Fischern ist für Amir (Hamid Reza Abbasi) sehr schwer. Foto: © Ashkan Ashkani / Port au Prince Pictures
(Kinostart: 18.1.) Wasser als Rettung und Verhängnis zugleich: Junge Leute am Kaspischen Meer sehnen sich nach Veränderung – und sei es mithilfe der Kaviar-Mafia. Doch die Verhältnisse in der iranischen Provinz lassen ihnen keine Spielräume; das zeigt Regisseur Behrooz Karamizade schonungslos.

Wie Romeo und Julia am Kaspischen Meer – so etwa ergeht es Amir (Hamid Reza Abbasi) und Narges (Sadaf Asgari), einem jungen iranischen Paar. Wenn sie sich treffen, dann immer nur zu zweit; mal zum Baden an einem abgelegenen Strand oder mal auf einer stillgelegten Baustelle, wo sie niemand sehen kann. Ihre Liebe ist stark, aber geheim, weil sie eigentlich nicht sein darf und trotzdem ist.

 

Info

 

Leere Netze

 

Regie: Behrooz Karamizade,

101 Min., Iran/ Deutschland 2023;

mit: Hamid Reza Abbasi, Sadaf Asgari, Keyvan Mohamadi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Amir stammt aus ärmeren Verhältnissen, Nagres aus der Oberschicht. Das Problem ist, dass ihre Familie nach altem Brauch darauf besteht, dass ihr künftiger Gatte eine hohe Mitgift zahlen soll, wenn er um ihre Hand anhält. Das kann Amir jedoch nicht; sein Job als Kellner wirft nicht genug ab. Als er gefeuert wird, weil er sich gegen seinen Chef stellt, sieht die Lage noch schlechter aus.

 

Fischen für die Mitgift

 

Fest entschlossen, sich nicht entmutigen zu lassen, heuert Amir daraufhin bei einem kleinen Fischerei-Betrieb als Aushilfe an. Er ist ein guter Schwimmer, doch die stundenlange Arbeit im eiskalten Wasser ist hart und die Bezahlung schlecht. Um überhaupt etwas Gewinn zu machen, lässt er sich auf abendliche Wettkämpfe mit den anderen Fischern ein. Damit weckt er das Interesse von Ghasem (Behzad Dorani), der den Betrieb leitet und nebenbei ein illegales Kaviar-Geschäft betreibt. Bald lässt sich auch Amir davon anziehen. Die Störe fangen sie nachts, um deren Kavier an Nobelrestaurants in der Stadt zu verkaufen. Wie in jeder Mafia-Organisation sind die Aufgaben klar verteilt: Ghasem zieht die Fäden, seine Männer machen die Drecksarbeit.

Offizieller Filmtrailer


 

Die Träume zweier Männer

 

Wie sehr alles im Leben vom Geld abhängt, zeigt der deutsch-iranische Regisseur Behrooz Karamizad in seinem Regiedebüt sehr anschaulich. Er widmet dabei allen Figuren viel Aufmerksamkeit. Nicht nur Amir, auch sein Kollege Omid (Keyvan Mohammadi) braucht jeden Pfennig. Er ist Journalist und spart darauf hin, mit Ghasems Hilfe aus dem Iran zu fliehen. Doch die Aussicht auf Freiheit in Europa hat ihren Preis.

 

In einem Punkt unterscheiden sich aber die beiden jungen Männer: Omid hält an seinen Prinzipien fest, während Amir in seiner Verzweiflung immer skrupelloser agiert. Er versucht mit allen Mitteln, seinem niederen Stand zu entfliehen, und vergisst darüber alles andere. Auch Narges spürt, wie sehr sich ihre Beziehung verändert, je größer der Druck von außen wird.

 

Große Tragödie im Kleinen

 

Perspektivlosigkeit liegt wie dichter Nebel über Karamizades Drama. Zwar bleibt ein Rest Hoffnung, aber schon der Titel „Leere Netze“ deutet darauf hin, dass der Film nicht auf ein Happy End hinsteuert. Die Geschichte, die der Regisseur mit sicherer Hand und in ruhigem Tempo erzählt, ist im Kern eine Tragödie von Shakespearescher Wucht, im Kleinen inszeniert.

 

Gedreht hat Karamizade seinen Film ausschließlich im Iran. Dass ihm das gelungen ist, erstaunt, bedenkt man, wie kritisch er auf sein Land und die dortigen gesellschaftlichen Umstände blickt. Korruption und Tradition halten sich die Waage in einem System, das es der Jugend unmöglich macht, voranzukommen und ihre Träume zu verwirklichen.

 

Gedämpfte Töne, schwache Hoffnung

 

Dafür liefert die raue See dem Regisseur eine passende Metapher. Überhaupt ist der gesamte Film von Schwere und Melancholie durchzogen, die sich auch auf die Farben und die Musik überträgt. Dreckiges Grau, tiefes Blau – gedämpfte Töne beherrschen das Bild. Oft wirken die Figuren, als würden sie ewig im Schatten stehen.

 

Hintergrund

 

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Das gilt selbst für Szenen, in denen Hoffnung aufschimmert: Als Amir über Umwege endlich an genügend Geld kommt, um bei Narges‘ Vater vorzusprechen, fällt weiches Licht durch die dichten Gardinen. Doch weder die vermeintlich freundliche Atmosphäre noch die sanften Worte von Amirs Mutter können die standesbewussten Eltern davon überzeugen, dass der Junge eine gute Partie für Narges sei.

 

Meer als Rettung und Verhängnis

 

Auch in der Eingangssequenz ist das Unheil bereits angelegt. Wenn Amir spielerisch im Meer taucht, fürchtet Narges um ihren Geliebten. Sie spürt die potenzielle Bedrohung durch die aufgewühlte Strömung. Je länger er unter Wasser bleibt, desto ängstlicher wird ihr Blick. Das Wasser ist in „Leere Netze“ stets Rettung und Verhängnis zugleich. Gefährlich wird es für diejenigen, die versuchen, sich seiner Macht und Naturgewalt zu widersetzen.

 

Die Lage, in die Amir, Omid und Narges geraten, zwingt sie zu schwierigen, teils fatalen Entscheidungen im Kampf um eine bessere Zukunft. Die jungen Menschen treten auf der Stelle, weil die Widerstände scheinbar unüberwindbar sind, die Strukturen zu verkrustet, die Normen zu festgefahren. Dennoch spricht eine enorme innere Kraft aus Karamizades Film, weil seine Figuren unerbittlich weiterkämpfen bis zum Schluss.