Emad Aleebrahim Dehkordi

Chevalier Noir

Iman (Iman Sayad Borhani) und sein Bruder Payar (Payar Allahyari) sind unzertrennlich. Foto: © Copyright: INDIE PROD • UPRODUCTION • 2PILOTS • ALI MOSAFFA PRODUCTIONS • BIBI FILM TV SRL • TAKE SHELTER 2022
(Kinostart: 6.7.) Bikes, Drugs & Dancefloor Music: Iman ist Zweirad-Drogenkurier in Teheran, sein Bruder wird Profiboxer – beide wollen den sozialen Abstieg aufhalten. Regisseur Dehkordi porträtiert eine illusionslos zynische Jugend im Iran, die sich trotz ihres Hedonismus nach Freiheit sehnt.

Dark Easy Rider: Iman (Iman Sayad Borhani) kurvt auf seinem Motorrad durch die Teheraner Nacht, immer rastlos auf der Suche nach Zerstreuung oder dem nächsten Geschäft. Sein Revier ist der Stadtteil Shemroon im Norden, der wie eine Festung auf einem Hügel liegt. Dessen Straßen sind schummrig beleuchtet und menschenleer; von hier aus kann man die übrige Stadt überblicken. Als einsamer Reiter in schwarzer Lederkluft findet er immer einen Weg – er kennt sich aus, auch im übertragenen Sinne.

 

Info

 

Chevalier Noir

 

Regie: Emad Aleebrahim Dehkordi,

102 Min., Frankreich/ Deutschland/ Iran 2022;

mit: Iman Sayad Borhani. Payar Allahyari, Masoumeh Beygi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Seit dem Tod der Mutter bildet er mit seinem Vater und dem jüngeren Bruder nur noch eine Zweckgemeinschaft in der Familienwohnung. Jeder geht anders mit der Trauer um; Iman mit rastloser Umtriebigkeit. Der jüngere Payar (Payar Allahyari) trainiert intensiv für seine Karriere als Profiboxer, während der kranke Vater (Behzad Dorani) sich gehen lässt und im Haus vor sich hin brütet. Abwechslung vom Alltag bringen nur alte Freunde auf Heimaturlaub; etwa Payars alte Flamme Hanna (Masoumeh Beygi), die inzwischen in Paris lebt.

 

Sich keine Handwerker leisten können

 

Iman ist ein charmanter, gutmütiger Schlawiner. Er versucht immer, aus jeder Situation das Beste für sich zu machen; so wie die meisten seiner Freunde, die in Teheran geblieben sind. Sie leben in Häusern oder großen Wohnungen, die einst schön waren, können sich aber wie ihr Vater nicht einmal Handwerker für Reparaturen leisten. Die meisten zehren vom Besitz ihrer alteingesessenen Familien, der zusehends schwindet und häufig von neureichen Spekulanten übernommen wird.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Vertraut westliche Freiräume in Teheran

 

Imans Wunsch, um jeden Preis rasch an viel Geld heranzukommen, ist dadurch bedingt: Er will ein liebgewordenes Grundstück mit alten Bäumen retten, das einer Straße weichen soll. Dafür ist das Angebot eines alten Bekannten, in seiner partywütigen Clique Drogen zu verkaufen, nur Mittel zum Zweck. Dabei schreckt Iman nicht vor illegalen Mitteln zurück, worunter sein Bruder leiden wird.

 

In seinem Spielfilmdebüt greift Regisseur Emad Aleebrahim Dehkordi, der zwischen Paris und Teheran pendelt, eine wahre Geschichte aus seinem erweiterten Freundeskreis auf. Diese nutzt er für ein differenziertes, unverbrämtes Sittenbild einer wohlhabenden Großstadtjugend, die sich trotz Repression des Regimes ihre westlich orientierten Freiräume im Verborgenen schafft – dadurch entsteht paradoxerweise ein vertrauteres Bild von Teheran als sonst in iranischen Filmen.

 

Nur Heimaturlauber sind wirklich frei

 

Diese jungen Leute feiern Partys, trinken Alkohol und nehmen alle Arten von Drogen. Ihre privaten Freiräume scheinen jedoch nur nachts zu existieren, was ihnen eine klaustrophobische Komponente verleiht – obwohl sich die Figuren um die Attitüde von Normalität bemühen. Man simuliert ein gut situiertes, individualistisches Leben in modern eingerichteten Wohnungen, und geht etwa mit Freunden in chinesischen Restaurants essen.

 

Echte Freiheit gibt es aber nur in den Erzählungen von Heimaturlaubern wie Hanna. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn angereist, um ihm die Welt ihrer Herkunft zu zeigen, und zupft immer wieder genervt am vorgeschriebenen Kopftuch. Vordergründig ist das unpolitischer als in den meisten iranischen Filmen, die hierzulande ins Kino kommen – etwa denen von Regisseur Ashgar Farhadi: So ist das Paar in „Nader und Simin“ (2011) mit einem dysfunktionalen Staatsapparat konfrontiert.

 

Auswandern oder sich anpassen

 

Dehkordi porträtiert jedoch sehr detailliert und ungeschönt einen Freundeskreis junger Menschen, die noch nicht ihren Platz im Leben gefunden haben. Sie möchten sich ausprobieren und mussten sich daher auch noch nicht wirklich mit den Einschränkungen der klerikalen Diktatur arrangieren; dadurch entsteht ein ungewohntes, in warme und satte Farben getauchtes Bild von Teheran.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Holy Spider" - packender Thriller über Prostituierten-Morde im Iran von Ali Abbasi

 

und hier eine Besprechung des Films "Sun Children" - facettenreich einfühlsame Milieustudie über Drogenhandel + Straßenkinder in Teheran von Majid Majidi

 

und hier einen Beitrag über den Film "Untimely" - eindrucksvoll stilisiertes Sozialdrama über Unterschichts-Kindheit im Südost-Iran von Pouya Eshtehardi.

 

Neben dem hedonistischen Aspekt geht es auch um den Niedergang der früheren Eliten. Sie harren zwar mangels Alternativen im Land aus, haben aber als Perspektive für ihre Kinder nur eine Alternative: entweder auszuwandern oder sich wie Peyar bedingungslos anzupassen. Imans entschiedene Weigerung, das letzte Terrain des früheren Landbesitzes der Familie zu verkaufen, ist also auch ein verzweifelter Kampf um einen Rest Würde, der offenbar mit dem Tod der Mutter verloren gegangen ist.

 

Schutzvogel kann nicht fliegen

 

Eine weitere Metapher stellen große Vögel dar, die immer wieder auftauchen – mal in Alpträumen, mal als Unfallopfer oder auf einem Gemälde von Imans Künstlerfreund. Sie heißen in der persischen Mythologie Simorgh und sollen als Schutzvögel mit übernatürlichen Kräften zur Selbsterkenntnis führen – unter den herrschenden Umständen haben sie indes keine Chance zur Entfaltung.

 

Angesichts des illusionslosen Zynismus dieser Generation denkt man als hiesiger Zuschauer unwillkürlich an die immer noch stattfindenden Proteste im Iran – gedreht wurde der Film allerdings vor ihrem Beginn. Dennoch illustriert er möglicherweise sehr gut, was die Demonstranten motiviert: Sie haben wie seine Protagonisten außer einem gewissen Wohlstand nicht viel zu verlieren, ersehnen aber eine freiere und bessere Zukunft.