Zwei blutsverwandte Halunken: Charlie Sisters (Joaquin Phoenix) liebt den Ruf, der ihm und seinem älteren Bruder Eli (John C. Reilly) vorauseilt – berühmt-berüchtigt und gefürchtet zu sein. Das ist für ihn, worum es im Leben geht. Die Gebrüder Sisters sind Auftragskiller und töten ohne Gnade oder Skrupel jeden, auf den sie ihr Arbeitgeber – der ominöse „Commodore“ – ansetzt. Dabei hinterlassen sie Berge von Leichen, verkohlte Ruinen und bisweilen auch brennende Pferde.
Info
The Sisters Brothers
Regie: Jacques Audiard,
121 Min., Spanien/ Rumänien/ Frankreich 2018;
mit: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal
Sinnfragen im Pferdesattel
Diese Entscheidung motiviert die Brüder zu ausführlichen Gesprächen über Gerechtigkeit und die Frage nach dem Sinn ihres Tuns; während langer Stunden im Pferdesattel haben sie viel Zeit dafür. Da liegt die Befürchtung nahe, Regisseur Jacques Audiard wolle das Spätwestern-Rezept von Quentin Tarantino kopieren und die Darstellung exzessiver Gewalt mit ironischen Dialogen kontrastieren, damit die Kinokassen klingeln.
Offizieller Filmtrailer
Familie, Kater + Vogelspinne
Die Sorge ist unberechtigt. Stattdessen liefert Audiard, der für seinen brillanten Sozial-Thriller „Dämonen und Wunder – Dheepan“ über Tamilen-Flüchtlinge in Cannes 2015 die Goldene Palme erhielt, eine so wuchtige wie nuancenreiche Nahansicht einer Bruderbeziehung in einer Western-Welt im Wandel. Im anarchischen Chaos aus Verbrechen, Rachegelüsten, Vergeltungsforderungen und neuen Morden nimmt er die gegensätzlichen Charaktere der Brüder ernst; sie verleihen ihrem Ringen um richtiges Handeln das nötige Gewicht.
Ein halbes Jahrhundert vor Freud und der Psychoanalyse kommen die Protagonisten in ihrem tief schürfenden Meinungsaustausch einander nah und gewinnen tatsächlich allgemeingültige Erkenntnisse. Etwa die, dass die Institution Familie wohl Ursprung der omnipräsenten Gewalt ist, die die Welt beherrscht. Unterbrochen wird ihr Diskurs durch Schießereien, Charlies Besäufnisse und anschließende Kater oder Elis Erkrankung, als ihn im Schlaf eine Vogelspinne beißt.
Zahnbürste als Symbol der Vernunft
Doch Audiard begnügt sich nicht mit dem genretypischen Fatalismus, geradlinig ein vorbestimmtes Schicksal zu erfüllen. Seine Filmerzählung macht die Charaktere allmählich mit Errungenschaften der Zivilisation vertraut, die in ihre archaische Welt einbrechen; insbesondere, als sie ihn San Francisco ankommen. Der aufgeschlossene Eli zeigt sich an vielem interessiert, was das Dasein angenehmer machen könnte – etwa neue Kulturtechniken wie das Zähneputzen. Sein ungelenkes Üben mit der Zahnbürste wird zum Symbol eines künftigen Lebensentwurfs, der vernünftiger sein könnte – wenn nur der Wille dazu vorhanden wäre.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Dämonen und Wunder - Dheepan" - brillanter Flüchtlings-Thriller von Jacques Audiard
und hier eine Besprechung des Films “Der Geschmack von Rost und Knochen” – Außenseiter-Drama mit Marion Cotillard von Jacques Audiard
und hier einen Beitrag über den Film "Unforgiven – Erbarmungslos" - klassischer Spätwestern von und mit Clint Eastwood
und hier einen Bericht über den Film "The Homesman" - hervorragender Spätwestern über Frauen-Gefangenen-Transport von und mit Tommy Lee Jones.
Quecksilber in Flusswasser kippen
Der besteht darin, Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed) zu liquidieren. Zuvor sollen die Brüder dem Chemiker noch die Formel seiner Entdeckung abpressen: Mit Quecksilber kann er Goldnuggets in Flusswasser sichtbar machen. Das Duo ist jedoch nicht allein auf Warms Spur. Ebenfalls auf ihn angesetzt ist der Detektiv John Morris (Jack Gyllenhaal); er vereint die nötige List und Brutalität mit einer gewissen Gepflegtheit und Bildung.
Doch Warm ist ebenso wenig auf den Mund gefallen und hat seine eigene Zukunftsvision. So geraten die vier Männer bald in eine Lage, in der sie gezwungen sind, ihre unterschiedlichen Vorstellungen vom besseren Leben gemeinsam zu verwirklichen; sie sind voneinander abhängig.
Star-Quartett erledigt Pathos
Zwar wird die kurzlebige Utopie von Gier zerstört und verwandelt sich in einen Alptraum aus Tod und Zerstörung – doch die Überlebenden haben etwas gelernt, wenn auch zu einem hohen Preis. Wobei Audiard am Ende seinem Hang zum Pathos frönt, was aber sein herausragendes Schauspielerensemble wettmacht; das Quartett spielt lässig darüber hinweg. In einem streckenweise betörenden Film über die Schönheit der Wildnis und Annehmlichkeiten der Zivilisation, Verlockungen des Exzess‘ und Chancen des Vernünftigwerdens.