«Es fasziniert mich so, mir die Gegend mit den Ohren anzusehen», sagt Wolfgang Fasser: «Je länger ich höre, desto schärfer wird für mich das Bild.» Er war nicht immer blind. Bereits als Kind litt er an der unheilbaren Krankheit Retina pigmentosa, die seine Seh-Fähigkeit schon damals einschränkte. Im Alter von 22 Jahren erblindete Fasser vollständig.
Im Garten der Klänge Regie: Nicola Bellucci, 85 min, Schweiz 2010; Info
mit: Wolfgang Fasser
Wenn Wörter aussprechen schwer fällt
Seine Gäste sind Kinder, die an einer so schweren geistigen oder körperlichen Behinderung leiden, dass bisher niemand ihnen beibringen konnte, sich in der Welt zurechtzufinden. Etwa der kleine Andrea: ein geistig behinderter Junge von etwa neun oder zehn Jahren, der große Schwierigkeiten hat, einfache Wörter auszusprechen.
Offizieller Film-Trailer
Angst-Anfall bei der Tür-Klingel
Andrea zeigt gleich zu Beginn eine enorme Empfindlichkeit gegenüber Klängen. Als die Türklingel ertönt, erleidet er einen Angstanfall – ein Ereignis, das sich wiederholt, als er zum ersten Mal die markanten Töne eines Akkordeons hört. Im Laufe des Films verliert der Junge nicht nur seine Furcht vor neuen Klängen; er agiert auch zunehmend selbstbewusster und lernt, sich verbal zu äußern.
«Soll ich es dir in die Hand sprechen?», fragt ihn der Therapeut bei einer ihrer zahlreichen Sprechübungen. Ein anderes Mal zeigen beide kindliche Freude, als der Junge ihre Rollen vertauscht und nun seinerseits Worte bildet, die Fasser ihm nachsprechen soll.
Unsicht- und -hörbares Film-Team
Regisseur Nicola Bellucci und sein Film-Team haben offenbar das Kunststück fertig gebracht, sich während der Dreh-Arbeiten vollkommen unsicht- und -hörbar zu machen. Nicht nur Wolfgang Fasser bewegt sich vor der Kamera so selbstverständlich, als seien sie gar nicht da. Auch die auftretenden Kinder und Jugendlichen scheinen sie in keinem Moment wahrzunehmen.
So können wir sie völlig unbeeinflusst beobachten: den autistischen, ungestümen Ermanno etwa, der unter Fassers Einfluss beginnt, eine weniger zerstörerische Beziehung zu Dingen und Menschen zu entwickeln. Oder die schwer körperbehinderte Jenny, die tanzt und dabei eine Augenbinde trägt. Diese soll ihr helfen, ihren Körper besser zu spüren, erläutert Fasser.
Natur-Klänge ähneln Kinder-Lauten
Während der Behandlung lernt Jenny, selbstständig zu laufen; am Ende des Films ist sie sogar in der Lage, gemeinsam mit ihren Freundinnen im Zug zur Schule zu fahren. Der Therapeut selbst sagt ganz schlicht, er wolle «den Kindern helfen, herauszufinden, wer sie sind».
Man sieht ihn oft draußen in der Natur, allein mit seinem Blinden-Hund, und immer wieder mit einem Aufnahmegerät. Die Laute der Natur, erklärt er, seien oft jenen Lauten ähnlich, die anfangs die Kinder von sich gäben, wenn sie zu ihm kommen. Sogar das rhythmische Klopfen des autistischen Ermanno finde sich in der Natur wieder.
Sich als Körper und Stimme entdecken
Diese Audio-Aufnahmen spielt Fasser den Kindern vor. Das versetzt sie gleichsam in eine vertraute Klangumgebung und bewirkt, dass sie sich mit ihren einfachen Laut-Äußerungen angenommen und als Teil eines Ganzen fühlen.
Wunderbarerweise erliegt der Film niemals der Versuchung, Wolfgang Fasser als Wunderheiler darzustellen. Der Therapeut hilft Kindern weder durch Handauflegen noch durch einen magischen Funken. Er ist ein bedächtiger Mann, der seinen Patienten Zeit und Raum gibt, sich als Person zu entdecken – und das heißt zunächst: als Körper und als Stimme.
Musik-Therapeut wird schwerhörig
Am Ende stellt sich heraus, dass der Gastgeber der Klänge selbst allmählich schwerhörig wird. Doch kein bisschen Bitterkeit ist zu spüren, als Wolfgang Fasser sein Hörgerät herzeigt und betont, wie dankbar er sei, es zu haben.
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit. Lesen Sie hier eine Besprechung des Dokumentarfilms "Die Thomaner" zum 800-jährigen Bestehen des Knaben-Chors.Hintergrund
Ein echter Ohren-Film
Es lohnt sich, hier sehr genau hinzuhören. Und nichtsdestoweniger die Augen aufmachen, um die gelösten Kindergesichter zu betrachten und in Naturaufnahmen zu schwelgen. Doch letztlich ist diese Doku ein echter Film für die Ohren.