François Ozon

In ihrem Haus

In Freude am Voyeurismus vereint: Schüler Claude (Ernst Umhauer, li.) und Lehrer Germain (Fabrice Luchini). Foto: © Concorde Filmverleih GmbH
(Kinostart: 29.11.) Curiosity killed the cat: Ein Lehrer wird süchtig nach Geschichten seines Schülers und reitet sich damit in den Ruin. François Ozon zieht alle Register seiner Regie-Kunst für ein raffiniertes Spiel mit der Wahrnehmung.

Schau-Lust ist stets ein wenig Grenzverletzung: Interessieren wir uns nicht alle für die kleinen Geheimnisse, die wir selbst hüten und bei Anderen hinter verschlossenen Türen vermuten? Um diese Neugier dreht sich «In ihrem Haus» von François Ozon, einem der vielseitigsten französischen Autorenfilmer der Gegenwart.

 

Info

 

In ihrem Haus

 

Regie: François Ozon, 105 min., Frankreich 2012;
mit: Fabrice Luchini,
Ernst Umhauer,
Kristin Scott Thomas

 

Website zum Film

 

Diesmal bietet er mit enormer Freude an Illusion und Irreführung einen heimlichen Blick durchs Schlüsselloch auf das Leben fremder Leute. Als eine Art reality show auf höchstem Niveau: mit hervorragenden Schauspielern und geschliffenen Dialogen. Mit seiner verspielten Lust an Spannung und Verwirrung lässt der Film viel Raum für eigene Phantasie – Kopf-Kino, das beflügelt.

 

Schlechteste Klasse aller Zeiten

 

Germain (Fabrice Luchini), ein verhinderter Schriftsteller, ist Französisch-Lehrer an einem normalen Gymnasium. Und frustriert: Seine Schüler verschmelzen in seinen Augen zu einer gleichförmigen Masse. Er macht sich Sorgen um Frankreichs Zukunft, denn in diesem Jahr plagt ihn «mal wieder die schlechteste Klasse, die er je hatte».

Offizieller Filmtrailer


 

Pikante Schüler-Aufsätze

 

Dann reißen ihn die Aufsätze des 16-jährigen Claude (Ernst Umhauer) aus seiner Routine: Sie sind sehr gut geschrieben und haben pikanten Inhalt. Claude berichtet über seinen Mitschüler Rapha Artole, dessen Eltern – und wie er sich endlich Zugang zu deren Haus verschafft hat.

 

Seine Texte sind voller Ironie und Spott, intimer Details und unverhohlenem erotischen Interesse an Madame Artole (Emmanuelle Seigner). Mit seiner angekündigten Grenzüberschreitung weckt Claude das Interesse des Lehrers und dessen Frau Jeanne (Kristin Scott Thomas): an seiner Person wie am Fortgang der Geschichte.

 

Publikum wird zum Komplizen

 

Jeder Aufsatz endet mit einem verheißungsvollen «Fortsetzung folgt»: Als Zuschauer wird man vom Film genauso geködert wie das Ehepaar von Claudes Erzählungen. Germain nimmt sich des Jungen an, gibt ihm Nachhilfe in Schreibtechniken und ermutigt ihn, Familie Artole weiter zu besuchen und darüber zu berichten.

 

Damit ist der große Reigen aus Erfindungen, Spekulationen, Begehren und Verleumdungen eröffnet. Das wird mit viel Spielfreude so überzeugend vorgeführt, dass es das Publikum unweigerlich in das Geschehen hineinzieht: Als Komplizen von Germain lassen wir uns von Claude ebenso unterhalten wie hinters Licht führen – und füllen die Lücken seiner Aufsätze mit unseren Vorstellungen.

 

Weder harm- noch folgenloses Verwirrspiel

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau
bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine kultiversum-Besprechung des Films "Potiche - Das Schmuckstück"
von François Ozon mit Catherine Deneuve

 

und hier einen Beitrag über den Film "Rückkehr ans Meer" von François Ozon

 

sowie eine Rezension des Films "Lachsfischen im Jemen" von Lasse Hallström mit Kristin Scott Thomas.

 

Das fördert Regisseur Ozon, indem er die Realitäts-Ebenen so weit wie möglich vermischt. Claudes Erzählungen gehen unvermittelt in Spielfilm-Szenen über – in denen plötzlich Germain auftaucht, um Kritik anzubringen und einen anderen Handlungs-Verlauf zu fordern. Derweil beträgt sich Claude immer merkwürdiger und mysteriöser: Was will er eigentlich von Germain?

 

Dieses virtuose Verwirr-Spiel mit der Wahrnehmung bleibt weder harm- noch folgenlos. Dass Voyeurismus dem Objekt seiner Begierde immer auch etwas Gewalt antut, spielt der Film in manchen Genres durch: hier ein Schuss Krimi, da eine Prise Liebes-Drama, versetzt mit allerlei Experimenten.

 

Selten spannender Alltag

 

Dabei bleibt der Film ein reines Seh-Vergnügen wegen seiner fabelhaften Akteure: Kristin Scott Thomas und Fabrice Luchini wirken als Ehepaar so authentisch, als würde man beide schon seit Jahren kennen. Wobei Ozon alle Verstrickungen bis zum Schluss kunstvoll in der Schwebe hält – selten war Alltag so spannend.