Die Filme von Yorgos Lanthimos sind Versuchsaufbauten. Kühl und abgeklärt bringen der griechische Regisseur und sein Ko-Autor Efthymis Filippou ihre Figuren in absonderliche Situationen und untersuchen das menschliche Verhalten wie Forscher unter einem Mikroskop. Es geht immer um große Themen: Leben, Liebe, Sex, Rache, Tod.
Info
The Killing of a Sacred Deer
Regie: Yorgos Lanthimos,
121 Min., Irland/ Großbritannien 2017;
mit: Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan
Idee statt Film ausgezeichnet
Es ist kein Wunder, dass viele der Auszeichnungen, die Lanthimos‘ auf Festivals erhielt, Drehbuchpreise waren: Sie prämierten eher die Idee als den fertigen Film. Ihre demonstrative Emotionslosigkeit und die Weigerung, das Obskure erklären zu wollen, machen Lanthimos‘ Filme wenig zugänglich. Sie sind kein sinnliches Vergnügen, sondern ein intellektuelles.
Offizieller Filmtrailer
Regisseur bleibt sich treu
Lanthimos’ und Filippous jüngstes Werk „The Killing of a Sacred Deer“ steht ganz in der Tradition seiner Vorgänger. Aber trotz der Besetzung mit Stars wie Colin Farrell und Nicole Kidman ist dieser Film in seiner Verbindung von übernatürlichem Horror und Motiven der antiken Tragödie womöglich noch unzugänglicher.
Farrell spielt den Herzchirurgen Steven Murphy, den eine zunächst ungeklärte Beziehung mit dem unterprivilegierten 16-jährigen Martin (Barry Keoghan) verbindet. Er trifft ihn häufig, macht ihm unangemessen teure Geschenke und lädt ihn schließlich zu sich nach Hause ein. Martin macht den Eindruck eines wohlerzogenen, zuvorkommenden jungen Mannes: Er bringt Stevens Frau, der Augenärztin Ann (Nicole Kidman), Blumen mit und freundet sich mit den Kindern an – dem 12-jährigen Bob und der 14-jährigen Kim, die sich in Martin verliebt.
Nur Opfer kann Leben retten
Martin hat aber auch etwas Bedrohliches. Während er sich allmählich als stalker entpuppt, klärt sich der Ursprung der seltsamen Beziehung: Steven hatte einst in betrunkenem Zustand Martins Vater operiert, der dabei verstarb. Bald kippt die Geschichte ins Unerklärliche: Bob und Kim leiden an körperlichen Lähmungs-Erscheinungen, die offenbar einem Fluch Martins ausgelöst wurden. Der Junge erläutert Steven schließlich Folgendes: Der Fluch könne nur gebrochen werden, wenn Steven als Ausgleich für den Tod von Martins Vater eines seiner eigenen Familienmitglieder opfere – andernfalls müssten sie alle sterben.
Das beruht auf einem griechischen Mythos des antiken Dramatiker Euripides in seiner Tragödie „Iphigenie in Aulis“: Weil der griechische Heerführer Agamemnon die heilige Hirschkuh der Artemis getötet hat, schickt die Jagdgöttin der griechischen Flotte, die zum Krieg gegen Troja aufgebrochen war, eine Windstille. Sie kann nur beendet werden, indem Agamemnon seine eigene Tochter Iphigenie opfert.
Dramatischer Gehalt verpufft
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Lobster" - surreale Paarungs-Parabel von Yorgos Lanthimos mit Colin Farrell
und hier einen Bericht über den Film "Die Verführten" - US-Bürgerkriegs-Drama mit Colin Farrell und Nicole Kidman von Sofia Coppola
und hier einen Beitrag über den Film "Vor ihren Augen" - Rachethriller-Remake mit Nicole Kidman von Billy Ray.
Obwohl die Rollen gut besetzt sind: Colin Farrells Männlichkeit steht grundsätzlich auf wackeligen Beinen, seine Selbstüberschätzung kaschiert nur mühsam den erbärmlichen Wicht, den er verkörpert. Und dem jungen Barry Keoghan gelingt es bestens, hinter der netten Fassade das Unheimliche seiner Figur durchscheinen zu lassen.
Extremes Unbehagen
Der Eindruck extremen Unbehagens ist Lanthimos allerdings ausgesprochen gut gelungen: Farblose Räume, seltsam verschobene Kamerapositionen und eine beunruhigend wirkende Musik addieren sich zu einem verstörenden Effekt. Der Film endet mit einer Art russischem Roulette, bei dem sich das Schicksal der Familie entscheidet. Das immerhin blieb Iphigenie erspart: Im letzten Moment hatte Artemis Mitleid mit ihr und entführte sie als zukünftige Priesterin in einen ihrer Tempel. Geopfert wurde eine Hirschkuh.