
Ein Großmarkt erwacht zum Leben; durch seine Gänge rollt ein einsamer Gabelstapler. Dazu erklingt der beschwingte Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss. Da hat sich der Leipziger Regisseur Thomas Stuber ein großes Vorbild ausgesucht, in dessen Fußstapfen er musikalisch tritt: Regisseur Stanley Kubrick verwendete diese Melodie bereits 1968 für seinen Science-Fiction-Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“. Dagegen handelt „In den Gängen“ von ganz und gar irdischen Dingen: Einsamkeit, Arbeit, Zusammenhalt – und einer Ahnung von Liebe.
Info
In den Gängen
Regie: Thomas Stuber,
125 Min., Deutschland 2018;
mit: Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth
Zwielichtige am Rand der Gesellschaft
Regisseur Stuber übernimmt in seiner Verfilmung einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer dessen verknappten Erzählstil, der gerade durch Auslassungen die Fantasie des Lesers anregt. „In den Gängen“ ist nach dem Kurzfilm „Von Hunden und Pferden“ und dem Boxer-Porträt „Herbert“ – ebenfalls mit Peter Kurth in der Hauptrolle – bereits die dritte Zusammenarbeit der beiden Leipziger. Meyer und Stuber interessieren sich vor allem für mehr oder minder zwielichtige Figuren am Rande der ostdeutschen Gesellschaft.
Offizieller Filmtrailer
Solidarische Brigade-Mentalität
Der raubeinige, aber väterliche Bruno führt Christian in die Geheimnisse der Warenverräumung und des Gabelstaplerfahrens ein. Dabei begegnet der Neuling auch der unglücklich verheirateten Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwaren-Abteilung. Vor einer Fototapete mit Palmenmotiv im Pausenraum entspinnt sich ein zarter Flirt zwischen Beiden, der ihren Kollegen nicht verborgen bleibt.
Überhaupt hält diese eingeschworene Gemeinschaft zusammen. Nicht, dass sie sich einander offenbaren würden, aber die Angestellten stehen auch ohne viele Worte füreinander ein. Zum Feierabend verabschiedet der Chef am Ausgang jeden Mitarbeiter mit Handschlag. Die solidarische Brigade-Mentalität aus ostdeutschen Großbetrieben lebt offenbar im Refugium dieses Großmarkts weiter. Wie sich im Verlauf der Handlung zeigt, bewahrt jedoch auch sie nicht vor dem Sturz in die Verzweiflung.
Zarte Annäherung in Sibirien
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Transit" - prägnantes Flüchtlings-Melodrama von Christian Petzold mit Franz Rogowski
und hier einen Bericht über den Film "Toni Erdmann" - eigenwillige Familien-Dramödie von Maren Ade mit Sandra Hüller
und hier einen Beitrag über den Film "Als wir träumten" - mitreißendes Drama von Andreas Dresen um eine Leipziger Jugendclique nach einem Roman von Clemens Meyer.
Stuber zelebriert geradezu die Melancholie dieser Unorte. Dabei erliegt er durchaus der Faszination seines Objektes; auf die Dauer wirken die langen Kameraeinstellungen etwas redundant. Trotzdem folgt man seinen Figuren gern bei ihren nächtlichen Arbeiten: sei es beim Sortieren diverser Nudelsorten oder beim Einräumen im „Sibirien“ genannten Tiefkühllager, wo sich Marion und Christian vorsichtig näherkommen.
Kaum in Nachwendezeit angekommen
Das liegt vor allem an den wunderbaren Schauspielern, die bis in die Nebenrollen sehr markant besetzt sind. Ihre knappen Dialoge künden von der schwierigen Lebensrealität der Charaktere; die wenigsten scheinen in der Nachwendezeit wirklich angekommen zu sein. Beim nächsten Besuch in einem dieser überdimensionalen Konsumtempel wird man wohl zwangsläufig an „In den Gängen“ denken – und sich zwischen den Regalen vielleicht an die stille Poesie dieses Films erinnern.