Paula Beer + Franz Rogowski

Transit

Georg (Franz Rogowski) hat sich in die geheimisvolle Marie (Paula Beer) verliebt. Foto: © Schramm Film/ Christian Schulz
(Kinostart: 5.4.) Endstation Marseille: Dort versuchten 1941/42 viele Flüchtlinge verzweifelt, den Nazis über das Meer zu entkommen. Anna Seghers' Roman adaptiert Regisseur Christian Petzold formal gewagt und gelungen – in der Hauptrolle beeindruckt Franz Rogowski.

1941/42 war die Flucht über Südfrankreich eine der letzten Optionen, um aus dem von den Nazis besetzten Kontinentaleuropa zu entkommen. Doch in Marseille war Endstation: Der sich langsam schließenden Falle konnte man nur mit einer Schiffspassage über den Atlantik entrinnen. Diese Situation hat die Schriftstellerin Anna Seghers in ihrem Roman „Transit“ geschildert. Sie schrieb das Buch im Exil; es wurde erstmals 1944 auf Englisch und Spanisch veröffentlicht.

 

Info

 

Transit

 

Regie: Christian Petzold

102 Min., Deutschland/ Frankreich 2018;

mit: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Barbara Auer

 

Website zum Film

 

Regisseur Christian Petzold macht daraus ein seltsam entrücktes und zugleich eindrückliches Drama. Darin verschlägt es den Deutschen Georg (Franz Rogowski) auf seiner Flucht in die französische Hafenstadt. Bisher versteckte er sich in Paris, doch die Hauptstadt ist vor kurzem von der Wehrmacht eingenommen worden.

 

Reisevisum eines Selbstmörders

 

Zuvor fielen Georg in Paris zufällig die Papiere und Manuskripte des Schriftstellers Weidel in die Hände – zu dieser Figur ließ sich Seghers vom realen österreichischen Autor Ernst Weiß inspirieren. Weidel hatte Selbstmord begangen; das ermöglicht Georg, nach Mexiko zu fliehen, denn für den Schriftsteller liegt ein Visum auf der Botschaft bereit. Also nimmt Georg Weidels Identität an.

Offizieller Filmtrailer


 

Hafenstadt wird Bahnhofs-Wartehalle

 

Weidels Ehefrau Marie (Paula Beer) befindet sich ebenfalls in Marseille; sie sucht rastlos nach ihrem Mann. Obwohl sie ihn eigentlich verlassen hatte, will sie dennoch nicht ohne ihn nach Amerika reisen. Eine andere Variante, die ihr Geliebter organisiert hat, der Arzt Richard (Godehard Giese), schlägt sie jedenfalls aus.

 

Die Wege von Georg, Richard und Marie kreuzen sich – wie viele Schicksale in dieser Bahnhofs-Wartehalle, zu der die Hafenstadt mittlerweile geworden ist, die zusammenlaufen und sich wieder verlieren. Da ist eine Frau, deren jüdische Freunde den Absprung in die Neue Welt geschafft haben; jetzt kümmert sie sich um deren Hunde, und muss doch selbst weg. Oder ein deutscher Dirigent auf dem Weg nach Venezuela: Er will in der Hauptstadt Caracas Werke der klassischen Moderne aufführen – in seiner Heimat geht das nicht mehr.

 

Historische Handlung im heutigen Marseille

 

Identitäten, die sich auflösen und neu konstituieren – sprich: Übergänge und die sie begleitenden Geister der Vergangenheit – interessieren den Filmemacher Petzold seit jeher. Zuletzt porträtierte er im Drama „Phoenix“ (2014) eine frühere KZ-Insassin, die nach einer Gesichtsoperation mit neuem Antlitz im Nachkriegs-Berlin ihren Mann wieder trifft, der sie an die Nazis verraten hatte. Im Film „Yella“ (2007) entpuppen sich die beiden Hauptfiguren erst am Ende als längst verstorben.

 

Diesmal geht Petzold bei dem Versuch, seine Figuren aus Raum und Zeit zu hebeln, noch einen Schritt weiter. Dafür bedient er sich eines so einfachen wie wirkungsvollen Kunstgriffs: Er verzichtet auf historisierende Kulissen. Seghers Geschichte versetzt er ins heutige Marseille, ohne Handlung und Akteure an die Gegenwart anzupassen. Dadurch sorgen Brüche für einen verfremdenden Effekt.

 

Zeitloser Schwebezustand

 

So freundet sich etwa Driss – ein kleiner Junge aus dem Stadtteil, in dem vorwiegend Einwanderer aus dem Maghreb leben – rasch mit Georg an; zugleich ist er Fan des Bundesligaklubs „Borussia Dortmund“. Im Hafen werden riesige Containerschiffe beladen. Und schwer bewaffnete Suchtrupps gleichen den „Compagnies républicaines de sécurité“ (CRS), der schnellen Eingreiftruppe der jetzigen französischen Polizei. Nur vereinzelte Requisiten – oder ihr Fehlen: Es gibt keine Mobiltelefone – verweisen auf die Vergangenheit.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Regisseur Christian Petzold über "Transit"

 

und hier eine Rezension des Films "Phoenix" – komplexes KZ-Überlebenden-Drama von Christian Petzold

 

und hier einen Bericht über den Film "Seefeuer - Fuocoammare" - Doku über Flüchtlinge auf Lampedusa + Berlinale-Siegerfilm 2016 von Gianfranco Rosi

 

und hier einen Beitrag über den Film "Westen" – packendes Drama über Flüchtlinge aus der DDR von Christian Schwochow

 

und hier eine Besprechung des Films "Ende der Schonzeit" – Melodram über deutsch-jüdische Dreiecksbeziehung 1942 von Franziska Schlotterer.

 

Diese Vermischung von Zeitebenen funktioniert gut. Sie sorgt für einen Schwebezustand, der das Universelle von Heimatverlust vermittelt, ohne platte Analogien zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen, etwa durch Verweise auf die aktuelle Flüchtlingsthematik. Alles andere wäre Petzold wohl auch zu plump.

 

Nüchternes Melodram hinterfragt

 

Stattdessen baut der Regisseur lieber noch weitere Stolpersteine ein, die dafür sorgen, dass man sich nicht einfach von dieser Geschichte absorbieren lässt: etwa Text-Bild-Scheren zwischen dem, was im Voice-Over mit Seghers Worten gesagt wird, und den Bildern auf der Leinwand. Alles wirkt hier leicht neben der Spur – ein treffende filmische Übersetzung für den Zustand des Auf-Der-Flucht-Seins, der ja nicht nur dramatische Momente mit sich bringt.

 

Geerdet wird das Ganze von Hauptdarsteller Rogowski, der sich als Idealbesetzung erweist. Einsam und zerbrechlich, zugleich stark und entschlussfreudig, verkörpert er eine Mischung aus Verlorenheit und Überlebenswillen. „Transit“ wirkt in vielen Elementen wie ein nüchternes Melodram, das eine berührende Geschichte erzählt – und zugleich dazu auffordert, das Geschehen fortlaufend zu hinterfragen.

 

Kitsch- und pathosfrei

 

Denn jeder Mensch muss sich irgendwie dort einrichten, wo er sich gerade befindet; auch wenn er unterwegs ist. Selbst in Not kämpft er nicht nur ständig ums nackte Überleben; jede Situation steckt voller Ambivalenzen. Solche tragen auch Georg und Marie mit sich herum, während sie im sonnendurchtränkten Marseille versuchen, ihre Zukunft zu organisieren. Dieser Blick auf Seghers‘ Roman macht Petzolds Adaption menschlich überzeugend, kitsch- und pathosfrei.