Einen waschechten Kostümfilm ohne doppelten Boden kann man von Giorgios Lanthimos kaum erwarten. Schließlich hat sich der griechische Regisseur mit Filmen wie „Dogtooth“ (2009) oder „The Lobster“ (2015) als Regisseur zeitgenössischer Satiren einen Namen gemacht; seine Filme sind so hellsichtig wie bitterböse.
Info
The Favourite –
Intrigen und Irrsinn
Regie: Giorgos Lanthimos,
119 Min., Irland/ Großbritannien 2018;
mit: Emma Stone, Rachel Weisz, Olivia Colman
Hasen als Kindersatz
Anfang des 18. Jahrhundert regiert – zumindest nominell – Königin Anne (Olivia Colman) das Königreich. Doch die Regentin plagen allerlei Krankheiten. Statt um die Regierungsgeschäfte kümmert sie sich lieber um ihre bunte Galerie von Hasen, 17 an der Zahl: Genauso viele Kinder hatte Anne. Die endeten entweder als Fehlgeburten oder starben im Kindbett.
Offizieller Filmtrailer
Konkurrierende Bettgefährtinnen
Ihre engste Vertraute ist die Hofdame Lady Sarah Churchill (Rachel Weisz); sie manipuliert allerdings Anne gemäß ihrer eigenen Interessen. Schließlich ist Sarah die Gattin von Lord Marlborough (Mark Gatiss), seines Zeichens Kommandant der britischen Armee. Die befindet sich gerade im Krieg gegen Frankreich, was auch ein paar finanzielle Vorteile für das Ehepaar mit sich bringt.
So gesichert Sarahs Position in Annes Leben – und in ihrem Bett – scheint: Mit der Ankunft von Sarahs Cousine Abigail Hill (Emma Stone) ändert sich alles. Einst war sie ebenfalls eine Lady; durch die Spielschulden ihres Mannes ist sie jedoch in Ungnade gefallen. Trotzdem versteht Abigail es, das Vertrauen der Königin zu gewinnen.
Historisch belegt
Bald hat sie Sarah als Vertraute und Geliebte von Anne ersetzt – und versucht nun ebenfalls, ihre Interessen durchzusetzen. Auch Harley (Nicholas Hoult) – Anführer der Partei der Tories, die sich gegen eine Steuererhöhung aussprechen – will durch Abigail die Staatsgeschicke beeinflussen.
Man mag es kaum glauben, doch weite Teile der Handlung von Giorgios Lanthimos‘ Drama sind historisch belegt: Die Intrigen am Hof von Königin Anne, auch die Rolle ihrer Hofdamen Sarah Churchill (direkte Vorfahrin des legendären Premierministers während des Zweiten Weltkriegs ) und Abigail Hill, die erbittert um den Einfluss auf die Regentin stritten. Alles ist aktenkundig – bis auf die lesbischen Beziehungen zwischen dem Trio. Darüber wurde offenbar weidlich spekuliert, es gibt aber keine Belege dafür.
Männer sind schmückendes Beiwerk
Es überrascht nicht, dass seit 20 Jahren versucht wurde, „The Favourite“ auf die Leinwand zu bringen, das aber erst jetzt gelang – nun passt es zum Zeitgeist. Ähnlich wie der vor einer Woche gestartete Film „Maria Stuart. Königin von Schottland“ von Josie Rourke wählt auch „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ eine zeitgenössische, feministisch geprägte Perspektive auf die Vergangenheit. Der Film funktioniert gleichzeitig als historische Rekonstruktion und moderne Projektion.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Maria Stuart - Königin von Schottland"- opulentes Historien-Drama über ihren Konflikt mit Elisabeth I. von Josie Rourke
und hier einen Beitrag über den Film "The Lobster" - grotesk surreale Beziehungs-Dystopie von Giorgos Lanthimos mit Rachel Weisz
und hier eine Besprechung des Films "The Killing of a Sacred Deer" - absurder Familien-Psychothriller von Giorgos Lanthimos mit Colin Farrell
und hier eine Kritik des Films "Attenberg" - krude Coming-of-Age-Parabel von Athina Rachel Tsangari mit Giorgos Lanthimos
und hier einen Beitrag über den Film "Mary – Königin von Schottland" – exzellent inszenierter Historienfilm über Mary Stuart von Thomas Imbach.
Erinnerung an „Barry Lyndon“
Den satirischen Charakter seines Films verstärkt Giorgios Lanthimos durch stilistische Entscheidungen. Vor allem die extrem mobile Handkamera, bestückt mit Weitwinkel-Objektiven, lässt die Figuren noch karikaturenhafter erscheinen, als sie es durch ihre exaltierten Kostüme und Masken ohnehin sind.
Vieles an „The Favourite“ erinnert an Stanley Kubricks Historienfilm „Barry Lyndon“ (1975): Seine Adaption eines Romans von William Makepeace Thackeray war eine ähnlich bitterböse Satire, die mit großer Schärfe das Geschehen zu Hofe sezierte. Doch Lanthimos geht noch weiter.
Spiegel der Gegenwart
Wie schon in seinen früheren Filmen von „Dogtooth“ über „Alpis“ (2011) und „The Lobster“ bis „The Killing of a Sacred Deer“ (2017) führt der griechische Regisseur auch diesmal Machtspiele und Manipulationen vor, die fraglos als Spiegelbild der Gegenwart fungieren sollen.
Bezüge zur Trump-Administration mag man ebenso finden wie Verweise auf die Eitelkeiten der Schönen und Reichen, denen in der heutigen Medienwelt viel zu viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Kaum ein gutes Haar lässt Lanthimos an der Welt, die er vorführt. Trotz aller Absurditäten und Abgründe – oder vielleicht gerade deswegen – wirkt „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ am Ende zutiefst menschlich.