
Noch ein erstaunliches Drehbuch, dass das Leben selbst schrieb: Das Polit-Drama „Geheimnis eines Lebens“ erzählt sehr frei von der ungewöhnlichen Vita der Britin Melita Norwood. Sie wurde 1999 hochbetagt als langjährige Spionin für die Sowjetunion enttarnt.
Info
Geheimnis eines Leben
Regie: Trevor Nunn,
102 Min., Großbritannien 2019;
mit: Judi Dench, Sophie Cookson, Stephen Campbell Moore
In der Kommunisten-Gruppe
Im Verhör weist die Rentnerin jegliche Schuld von sich. Dennoch berichtet sie über ihren Werdegang, der fortan in Rückblenden entfaltet wird. Als junge, politisch engagierte Studentin gerät Joan (Sophie Cookson) über ihre Kommilitonin Sonya (Tereza Srbova) an eine Gruppe kommunistischer Aktivisten, in der sich vor allem Sonyas Bruder Leo (Tom Hughes) wortgewandt hervortut.
Offizieller Filmtrailer
Verschenktes Potenzial
Immer häufiger nimmt Joan an den Treffen teil und verliebt sich schließlich in den inbrünstigen Vorkämpfer für die Sache der Arbeiterklasse. Während des Zweiten Weltkriegs erhält die Physik-Absolventin eine Assistenz-Stelle bei Professor Max Davis (Stephen Campbell Moore), der ihren Sachverstand als Forscherin zu schätzen weiß.
Durch die Arbeit für ihn gewinnt Joan Einblick in ein geheimes Atomwaffen-Programm der britischen Regierung – was ihre alten Kommunistenfreunde auf den Plan ruft. Über sie leitet sie Jahrzehnte lang geheime Unterlagen nach Moskau weiter; damit hilft sie der Sowjetunion, ebenfalls Nuklearwaffen zu konstruieren. Der Film schildert das Hadern einer Frau zwischen der Loyalität zu ihrem Land und ihrer Sorge vor einem Vernichtungskrieg. Regisseur Nunn hat also reichlich Stoff für ein packendes Porträt, schöpft aber das Potenzial dieser Lebensgeschichte nur zum Teil aus.
Patt-Situation als Friedensgarant
Der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ließ die nukleare Auslöschung allen Lebens nicht abwegig erscheinen. Die Weitergabe wichtiger Informationen an die Sowjets könnte – so Joans Überlegung – dafür sorgen, dass die Großmächte in eine Patt-Situation geraten: Alle sind waffentechnisch auf dem gleichen Stand, niemand wagt einen Angriff. Das sollte später als Gleichgewicht des Schreckens im Kalten Krieg beschrieben werden.
Darüber hinaus reißt der Film auch andere Aspekte an; etwa die damalige Position der Frau im Berufsleben. Mehr als einmal sieht sich Joan im wissenschaftlichen Umfeld mit abschätzigen Kommentaren konfrontiert, die veranschaulichen, wie wenig einige Männer ihre studierte Kollegin achten. Dass sie als Tee kochende Schreibkraft unterschätzt wird, kann sie aber für ihre Spionagetätigkeit ausnutzen.
Viel Romantik, wenig Gewissen
Hintergrund
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Häufig hat die arrivierte Charakterdarstellerin wenig mehr zu tun, als gequält dreinzublicken, laut zu seufzen und als Stichwortgeberin zu fungieren. Dringlichkeit entwickeln fast ausschließlich die Streitszenen zwischen der plötzlich am Pranger stehenden Frau und ihrem Sohn Nick (Ben Miles). Der unterstützt seine Mutter zunächst tatkräftig. Doch als sich die Spionagevorwürfe konkretisieren, rückt er, entrüstet über den Vertrauensbruch, von ihr ab.
Routiniert, aber spannend
Hier deutet sich an, welche Belastung es sein mag, das ganze Leben ein solches Geheimnis mit sich herumzutragen: Außer ihrem Mann, der ihren Verrat missbilligte, wusste niemand davon. Judi Dench bekommt leider nicht genügend Raum für die Zweifel und Ängste, die Joan vermutlich all die Jahre begleitet haben. Sie hätten dem Film eine größere emotionale Wucht verleihen können.
Doch obwohl das Drehbuch einige Schwächen hat und die Inszenierung eher routiniert denn inspiriert wirkt, kurbelt der Regisseur in entscheidenden Momenten dennoch die Spannung an. Dass ihm das gelingt, hat vor allem einen Grund: Wie die von Melita Norwood inspirierte Hauptfigur als kleines Rädchen im Getriebe in weltpolitische Prozesse eingreift, ist für sich genommen bereits unglaublich reizvoll.