Alexandra Maria Lara

Und der Zukunft zugewandt

Voller Hoffnung auf ein neues Leben in der jungen DDR: Antonia Berger (Alexandra Maria Lara), ihre Tochter Lydia (Carlotta von Falkenhayn) und Konrad Zeidler (Robert Stadlober). Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 5.9.) Stalins Paranoia trifft DDR-Aufbauhelfer: Regisseur Bernd Böhlich erzählt von einer begeisterten Sozialistin, die vor dem Leben in der DDR in einen Gulag musste. Großes Geschichtskino bietet die behäbige Inszenierung jedoch nicht.

Die DDR, vor allem ihr nahendes Ende und die Nachwendezeit, ist auf der großen Leinwand schon in unterschiedlichsten Schattierungen behandelt worden. Besonders erfolgreich war das Komödienformat, mit „Sonnenallee“ (1999) und „Goodbye Lenin“ (2003), ebenso wie das Stasidrama „Das Leben der Anderen“ (2006). Obwohl die Letztgenannten international viel Anerkennung fanden, gab es auch Vorbehalte gegen die eingenommene Perspektive – waren doch beide von Filmemachern aus dem Westen geschrieben und inszeniert.

 

Info

 

Und der Zukunft zugewandt

 

Regie: Bernd Böhlich,

108 Min., Deutschland 2019;

mit: Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober, Stefan Kurt

 

Weitere Informationen

 

Dreißig Jahre nach dem Mauerfall ist die Zeit offenbar reif für eine differenziertere Sichtweise, wie sie etwa Andreas Dresen mit der Filmbiografie „Gundermann“ (2018) gelang. Wie Dresen hat auch der Regisseur Bernd Böhlich eine Ost-Sozialisation. Mit der Geschichte seines neuen Films „Und der der Zukunft zugewandt“ hat er sich lange getragen. Entgegen dem Trend spielt sie in den Anfangsjahren der DDR.

 

Vom Gulag in die bessere Zukunft

 

Im Jahr 1952 kommt die überzeugte Kommunistin Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) nach langen Jahren der Gefangenschaft in einem sowjetischen Gulag nach Fürstenberg. Man empfängt sie herzlich in der jungen DDR, stellt ihr eine schöne Wohnung zur Verfügung und gibt ihr eine Stelle als Kulturleiterin. Zudem wird ihr kranke Tochter angemessen versorgt. Alles sieht nach einer besseren Zukunft aus.

Offizieller Filmtrailer


 

Erzwungenes Schweigen

 

Eins darf sie allerdings nicht: über ihre Zeit im Gulag sprechen. Das Ansehen des zweiten und – wie viele glauben – besseren deutschen Staats soll nicht untergraben werden. Der zu Paranoia neigende sowjetische Diktator Josef Stalin hatte viele in die DDR emigrierte Westdeutsche unter den Generalverdacht der Spionage gestellt und nach Sibirien verfrachten lassen. „Wahrheit ist das, was uns nützt“, so bewertet der Parteisekretär Silberstein (Stefan Kurt) das. Argwöhnisch wacht er über die Einhaltung des vereinbarten Schweigegebots.

 

Einzig mit ihren einstigen Leidensgefährtinnen kann Berger sich hinter vorgehaltener Hand austauschen. Obwohl sie sich voller Elan in die Arbeit stürzt und zudem vom Kinderarzt ihrer Tochter hofiert wird, nagt das Erlebte an der überzeugten Kommunistin. Der Besuch einer alten Freundin (Barbara Schnitzler, Tochter des DDR-Fernsehideologen Karl-Eduard von Schnitzler), die sich dem Schweigegelübde nicht unterwerfen wollte und in den Westen ging, bringt ihr fragiles inneres Gleichgewicht ins Wanken.

 

Empathiefreie Erfüllungsgehilfen

 

„Und der Zukunft zugewandt“ zitiert die zweite Zeile der DDR-Nationalhymne und ist ein Herzensprojekt von Bernd Böhlichs. Seine Hauptfigur ist ein Destillat ähnlicher realer Schicksale. Antonia Berger steht exemplarisch für viele, die nach dem Zweiten Weltkrieg gewillt waren, für ein anderes Deutschland fast jeden Preis zu zahlen. Dass die schöne Utopie von Beginn an von Kleingeistern verwaltet wurde, zeigt Böhlich am Beispiel der Funktionäre, denen Berger begegnet. Die wirken größtenteils eindimensional und bedienen das Klischee vom rückgratlosen Erfüllungsgehilfen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Kind 44" - authentisches Paranoia-Drama über Sowjet-Geheimdienstler unter Stalin von Tom Hardy

 

und hier einen Bericht über den Film "Leviathan" - fesselnde Tragödie über Staatswillkür in Russland unter Putin von Andrej Swjaginzew

 

und hier einen Beitrag über den Film "Hotel Lux" - brillante Stalinismus-Satire von Leander Haußmann mit Michael "Bully" Herbig

 

Etwas mehr Kontur bekommt ihre neue Liebe, der Kinderarzt Konrad Zeidler (Robert Stadlober). Der hat die etablierte Hamburger Praxis seines Vaters verlassen, um die DDR mit aufzubauen. Nicht zuletzt seinetwegen bricht Berger ihr Schweigegelübde. Die Repräsentanten des Staats, mit denen sie es daraufhin zu tun bekommt, stellen ihr Leid in Frage: So ein bisschen Sibirien sei doch nichts, verglichen mit einem Konzentrationslager. Sie wird angebrüllt, man spricht ihr jegliche Integrität und Würde ab.

 

Tragische Figuren, ernsthaft betrachtet

 

Die resultierende Verbitterung zeichnet sich dann auch auf dem Gesicht der gealterten Frau ab, die man im Herbst 1989 vor dem Fernseher sitzen sieht. Böhlich hat versucht, mit hervorragender Besetzung einen großen Historienfilm zu drehen. Leider ist die Dramaturgie und Bildsprache so simpel wie behäbig und erinnert eher an eine mittelmäßige Fernsehproduktion.

 

Warum sie alles klaglos erträgt, warum sie die DDR nicht verlässt, wird Berger mehr als einmal gefragt. Ihre Antwort lautet: „Weil dann alles umsonst war“ – das Leid, die Selbstverleugnung, eigentlich ihr ganzes Leben. Sie ist eine aus heutiger Sicht tragische Figur. Böhlich bringt ihr die verdiente ernsthafte Betrachtung entgegen; schließlich gab es solche Menschen wirklich.

 

Wie ein Fremdkörper

 

Allerdings erweist sich Lara nur bedingt als passende Hauptdarstellerin – auch wenn es vielleicht durchaus beabsichtigt ist, dass sie in dieser biederen Umgebung wie ein Fremdkörper wirkt. Die überzeugte Parteisoldatin nimmt man ihr nur bedingt ab, die Verzweiflung schon eher. Trotzdem scheint sie vor allem als historische Figur interessant; auf emotionaler Ebene berührt ihr Schicksal kaum. Statt dessen wünscht man sich, mehr über ihre Leidensgefährtinnen zu erfahren, die leider nur kurze Auftritte haben.