
Kindergeburtstage sind eine nervliche und logistische Herausforderung – selbst für glückliche Familien. Die getrennt lebenden Eltern Matthias (Mark Waschke) und Anna (Anne Ratte-Polle) bringt der siebte Geburtstag ihres Sohnes Lukas (Kasimir Brause) völlig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – und zwischenzeitlich weit darüber hinaus. Der Überforderung, die sich daraus ergibt, die Wünsche des Kindes, Jobs und neue Lebenspartner unter einen Hut zu bringen, nähert sich der aus Uruguay stammende Regisseur Carlos A. Morelli in durchkomponierten Schwarzweißbildern voller Witz und Stilwillen.
Der Geburtstag Regie: Carlos Andrés Morelli, 80 Min., Deutschland 2019; mit: Mark Waschke, Anne Ratte-Polle, Finnlay Jan Berger Info
Alltägliches wird bedrohlich
Das „Versprochen!“, mit dem er Lukas, Anna und seine neue Freundin immer wieder hinhält, ist ein Synonym seines Scheiterns. Auch die übrigen Erwachsenen drohen permanent an den eigenen oder fremden Ansprüchen zu verzweifeln. So genügen schon ein plötzlicher Regenguss und ein zusätzlicher Gast bei der Geburtstagsparty, um die Situation ins Skurril-Bedrohliche kippen und Verständigung unmöglich werden zu lassen.
Offizieller Filmtrailer
Lustvolles Zitieren
Lern- und Erkenntnisprozesse können unter solchen Umständen offenbar nur über Umwege ablaufen – ausgelöst durch Schockmomente. Das eröffnet Morelli und seinem bis in die Nebenrollen glänzenden Ensemble die Möglichkeit, lustvoll Motive und Zitate aus der Literatur- und Filmgeschichte aufzurufen und miteinander zu vermischen. Als Matthias versucht, Lukas‘ neuen Freund Julius nach Hause zu bringen, nachdem ihn seine Mutter nicht von der Party abgeholt hat, erweitert sich die Klaviatur der Stilmittel.
Die nächtliche Autofahrt durch den Regen zitiert den Film Noir; bald schon werden überzeugend kontrastreiche Albtraumbilder beschworen, die an expressionistische Filme in der Weimarer Republik erinnern. Und neben dem aus der Romantik entliehenen Motiv des Doppelgängers gewinnt auch die Tiersymbolik zusehends an Bedeutung, vorgeführt an den Lieblingstieren von Julius.
Allegorie trifft Emotion
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Vorspiel" - intensives deutsches Drama von Ina Weisse mit Nina Hoss und hier einen Bericht über den Film "Das Auerhaus" - stimmungsvolles Verfilmung des Bestsellerromans von Leana Vollmar und hier einen Beitrag über den Film "Tschick" - herrlich anarchische Verfilmung des Jugendbuch-Bestsellers von Wolfgang Herrndorf durch Fatih Akin Hintergrund
Dabei kann Regisseur Morelli in Mark Waschke auf einen kongenialen Darsteller zählen. Dessen Matthias wird beinahe zerrissen von seinem Bemühen, seine Unruhe hinter einer Fassade entspannten Understatements zu verbergen, sogar vor sich selbst. Und auch die Kinder – allen voran Finnlay Berger, der Julius spielt – überzeugen.
Drehorte schaffen Atmosphäre
Als weiterer Pluspunkt kommen ansonsten selten gefilmte, sorgfältig ausgesuchte Drehorte in und um Halle an der Saale hinzu. Das trägt – ebenso wie die Ausstattung und Kostüme – zur besonderen Atmosphäre des Films bei. Nur der Umstand, dass sich am Ende alles doch ein wenig zu einfach auflöst, könnte verhindern, dass dieser schöne, kleine Film als zeitlose Perle in die Geschichte des deutschen Kinos eingeht – wie es etwa der in mancher Hinsicht ähnlichen Tragikomödie „Oh Boy“ (2012) von Jan-Ole Gerster gelang. Auf künftige Arbeiten von Carlos A. Morelli darf man auf jeden Fall gespannt sein.