Nina Hoss

Das Vorspiel

Anna Bronsky (Nina Hoss) unterrichtet Alexander Paraskevas (Ilja Monti). Foto: Copyright: Judith Kaufmann / Port au Prince Pictures
(Kinostart: 23.1.) Als Solistin gescheitert, nun zerfressen von Ehrgeiz: Regisseurin Ina Weisse porträtiert so subtil wie aufwühlend eine Geigenlehrerin, die ihren Schüler mit ihren Ambitionen überfordert – Nina Hoss spielt die Hauptrolle fulminant.

Nicht nur im Sport, auch in der Kunst reicht Talent allein oft nicht aus. Wer große Erfolge feiern will, muss hart trainieren, unablässig üben und zuweilen die eigenen Grenzen überschreiten – was zum psychischen oder körperlichen Zusammenbruch führen kann. Vor allem das scheint Filmemacher brennend zu interessieren.

 

Info

 

Das Vorspiel

 

Regie: Ina Weisse,

99 Min., Deutschland 2019;

mit: Nina Hoss, Simon Abkarian, Jens Albinus, Sophie Rois

 

Website zum Film

 

So porträtierte beispielsweise der US-amerikanische Regisseur Darren Aronofsky 2010 in „Black Swan“ eine überehrgeizige Ballerina, die für eine anspruchsvolle Doppelrolle ihre dunkle Seite auslotet. Damien Chazelle erzählte wiederum in „Whiplash“ (2014) von einem Schlagzeuger, der von seinem Lehrer mit sadistischen Methoden zu Höchstleistungen angetrieben wird. An diesen Film fühlt man sich bei Ina Weisses zweiter Regiearbeit „Das Vorspiel“ erinnert. Im Zentrum steht die an einem Berliner Konservatorium unterrichtende Anna Bronsky (Nina Hoss).

 

Schüler wichtiger als Sohn

 

Nach dem frühzeitigen Ende ihrer Bühnenkarriere als Geigerin hat sie es sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen zu fördern. Während ihre Kollegen die Fähigkeiten des schüchternen Alexander (Ilja Monti) in Zweifel ziehen, sieht sie großes Potenzial in dem Jungen und setzt sich für seine Aufnahme am Musikgymnasium ein. Da ihr eigener Sohn Jonas (Serafin Mishiev) die Lust am Geigenspiel zusehends verliert, steckt Anna all ihre Energie in den neuen Schüler. Darüber vernachlässigt sie ihre eigene Familie.

Offizieller Filmtrailer


 

Subtil angedeutete Neurosen

 

Alexander soll die Zwischenprüfung mit Bravour bestehen; diesem Ziel ordnet Anna alles unter. Dass der aufgebaute Druck verheerende Folgen haben wird, lässt sich schon früh erahnen. Die Regisseurin begeht allerdings nicht den Fehler, blindlings in den Eskalationsmodus zu schalten. Vielmehr baut das Drehbuch langsam, Schritt für Schritt, ein bedrohliches Spannungsfeld auf.

 

Schroff und übertrieben streng wirken anfangs eher die anderen Lehrer am Konservatorium. Anna hingegen achtet zunächst darauf, ihren Schützling nicht zu überfordern. Kleine Bemerkungen und Verhaltensweisen deuten jedoch darauf hin, dass sie von Neurosen zerfressen ist. In einem Restaurant kann sich Anna nur schwer entscheiden, wo sie sitzen und was sie essen will. Der Gedanke, mit ihrem Liebhaber Christian (Jens Albinus) ein Konzert zu geben, beunruhigt sie.

 

Große Kunst von Nina Hoss

 

Immer wieder rasselt sie zudem mit ihrem Sohn zusammen. Der scheint zunehmend unwillig, ihre unerfüllten Ambitionen stellvertretend für sie zu schultern. Streit gibt es auch mit Ehemann Philippe (Simon Abkarian), dem ihre zunehmende Verbissenheit immer mehr Kopfzerbrechen bereitet. Szenen mit Annas Vater (Thomas Thieme) offenbaren überdies einen ungemütlichen, von Härte geprägten familiären Hintergrund.

 

Hintergrund

 

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Regisseurin Ina Weisse – den meisten Zuschauern dürfte sie als Schauspielerin bekannt sein, unter anderem aus verschiedenen „Tatort“-Episoden – setzt nach und nach das Bild einer getriebenen, an den eigenen Ansprüchen scheiternden Frau zusammen. Einer Frau, mit der man Mitleid entwickeln kann, die einen aber auch verstört zurücklässt. Wirklich große Kunst ist die Performance von Nina Hoss, ohne die „Das Vorspiel“ nur halb so gut wirken würde.

 

Spröde und komplex

 

Jeder Blick, jede Geste und jedes Wort bringt einem das Seelenleben ihrer Figur näher. Grandios gespielt ist, wie sich Frustration und Ungeduld zunehmend in Annas Gebaren schleichen –  und wie sie sich dabei immer übergriffiger verhält. Trumpfte J. K. Simmons als Musiklehrer in „Whiplash“ von Anfang an als grausamer Choleriker auf, entfesselt Hoss die innere Furie ihrer Figur nur allmählich.

 

Die Wucht, mit der ihre Ausbrüche in der zweiten Hälfte über Alexander hereinbrechen, reißt dann aber nicht nur dem Jungen, sondern auch dem Zuschauer den Boden unter den Füßen weg. Gelegentlich mag der schnörkellos inszenierte Film etwas spröde erscheinen; zudem sind nicht alle Konflikte vollends ausgefeilt. Das komplexe Charakterbild der Protagonistin und Hoss‘ nuanciertes Spiel sorgen jedoch dafür, dass man diese Abwärtsspirale bis zum bitteren Schlussakkord gebannt verfolgt.