
Der Anfang wirkt wie eine schwarzhumorige, überdrehte Rache-Komödie. In einem Nachtclub beobachtet die Kamera männliche Unterleiber, die zu quietschigem Pop tanzen. An der Bar unterhalten sich derweil aufstrebende Manager anzüglich und herablassend über nicht anwesende Kolleginnen. Als sie eine offensichtlich sturzbetrunkene Frau entdecken, erregt das ihre volle Aufmerksamkeit. In den Augen der Männer bietet sie sich als Opfer an. Einer von ihnen übernimmt es, die hilflos Wirkende aus dem Club hinauszuführen.
Info
Promising Young Woman
Regie: Emerald Fennell,
113 Min., USA 2020;
mit: Carey Mulligan, Laverne Cox, Bo Burnham;
Weitere Informationen zum Film
Leben im Leerlauf
Früher studierte Cassie Medizin und war auf dem besten Weg zum Erfolg. Doch dann warf sie der Selbstmord ihrer besten Freundin Nina aus der Bahn; diese hatte zuvor eine ungesühnte Vergewaltigung erlitten. Schritt für Schritt enthüllt der Film, warum Cassie seither ein Dasein im Leerlauf fristet: Sie wohnt mit 30 Jahren noch bei ihren Eltern, jobbt als Aushilfe in einem Café und vernachlässigt für ihre Rachemission alles andere.
Offizieller Filmtrailer
Hauptfigur mit Ambivalenzen
Dabei entwickelt der Film sich mehr und mehr vom bissigen Genrestück zum sensibel beobachteten Drama. Cassies persönliche Verletzungen werden aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet – ebenso wie die Folgen von sexueller Gewalt für die Betroffenen und ihre Familien. Wie gesellschaftliche Strukturen solche Übergriffe begünstigen, ist ebenfalls Thema. Dennoch wird daraus kein vorhersehbar schematischer Kampf der Geschlechter, was im Wesentlichen an der Finesse der Geschichte liegt.
Obwohl sie sich dem Thema mit großem Ernst nähert, baut Regisseurin Fennell auch komische und romantische Elemente in die Handlung ein. Nicht alle Männer werden negativ gezeichnet. Vor allem aber wirkt die Hauptfigur Cassie, von Carey Mulligan mit Verve und Präzision gespielt, charakterlich und moralisch so disparat, dass sie nicht gerade als Identifikationsfigur taugt. Der Zuschauer kann sich nicht einfach auf ihre Seite schlagen.
Bunte Oberfläche, dunkles Seelenleben
Ihre ambivalente Persönlichkeit erlaubt überraschende Wendungen, ohne dass die Stringenz der Erzählung darunter leiden würde. Im Gegenteil: Der Film gewinnt mit jedem neuen Haken an Wucht und Dramatik. Dafür bekam Regisseurin Fennell im April zurecht den Oscar für das beste Originaldrehbuch. Die Regiedebütantin ist dem Publikum vor allem durch ihre Rolle als Camilla Parker Bowles in der Netflix-Serie „The Crown“ (seit 2016) bekannt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Widows – Tödliche Witwen" - raffiniert konstruierter Frauen-Gangsterfilm von Steve McQueen
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und hier eine Besprechung des Films "Elle" – raffiniertes Psychodrama über Rache für Vergewaltigung von Paul Verhoeven mit Isabelle Huppert
Gelungener Genremix
Laut Schätzungen soll etwa jede fünfte Frau weltweit im Lauf ihres Lebens sexualisierte Gewalt erfahren. Zudem wird angenommen, dass die Covid-Pandemie vielerorts zu einem Anstieg der Übergriffe in Partnerschaften geführt hat – von denen nur ein geringer Teil angezeigt und juristisch verfolgt wird.
Daher ist jede Auseinandersetzung mit diesem Problem begrüßenswert. Dass „Promising Young Women“ nicht nur für dieses wichtige Thema sensibilisiert, sondern gleichzeitig auf spannende und mitreißende Weise unterhält, macht diesen Mix aus Genre- und Arthousekino zum Ausnahmefilm.