Carey Mulligan

Promising Young Woman

Cassandra (Carey Mulligan) und Ryan (Bo Burnham). Foto: Merie Weismiller Wallace / Focus Features
(Kinostart: 19.8.) Gentleman oder Vergewaltiger? Regisseurin Emerald Fennell inszeniert den Rachefeldzug einer jungen Frau gegen übergriffige Männer ohne Unrechtsbewusstsein gekonnt als nuancierten Spagat zwischen Genrefilm und Drama.

Der Anfang wirkt wie eine schwarzhumorige, überdrehte Rache-Komödie. In einem Nachtclub beobachtet die Kamera männliche Unterleiber, die zu quietschigem Pop tanzen. An der Bar unterhalten sich derweil aufstrebende Manager anzüglich und herablassend über nicht anwesende Kolleginnen. Als sie eine offensichtlich sturzbetrunkene Frau entdecken, erregt das ihre volle Aufmerksamkeit. In den Augen der Männer bietet sie sich als Opfer an. Einer von ihnen übernimmt es, die hilflos Wirkende aus dem Club hinauszuführen.

 

Info

 

Promising Young Woman

 

Regie: Emerald Fennell,

113 Min., USA 2020;

mit: Carey Mulligan, Laverne Cox, Bo Burnham;

 

Weitere Informationen zum Film

 

Als er sie anschließend mit zu sich nach Hause nimmt, erlebt er eine faustdicke Überraschung. Cassandra (Carey Mulligan) ist nämlich keineswegs schwach, desorientiert und willenlos. Vielmehr hat sie, wie ihr Kavalier schnell bemerkt, alles unter Kontrolle – und bald auch ihn. Sie ist auf einem Feldzug gegen übergriffige Männer, die sich als Gentlemen präsentieren und überzeugt sind, selbst zu den nice guys zu gehören. Namenslisten in Cassies Notizbuch deuten an, dass ihr Fang an diesem Abend nur einer von vielen ist.

 

Leben im Leerlauf

 

Früher studierte Cassie Medizin und war auf dem besten Weg zum Erfolg. Doch dann warf sie der Selbstmord ihrer besten Freundin Nina aus der Bahn; diese hatte zuvor eine ungesühnte Vergewaltigung erlitten. Schritt für Schritt enthüllt der Film, warum Cassie seither ein Dasein im Leerlauf fristet: Sie wohnt mit 30 Jahren noch bei ihren Eltern, jobbt als Aushilfe in einem Café und vernachlässigt für ihre Rachemission alles andere.

Offizieller Filmtrailer


 

Hauptfigur mit Ambivalenzen

 

Dabei entwickelt der Film sich mehr und mehr vom bissigen Genrestück zum sensibel beobachteten Drama. Cassies persönliche Verletzungen werden aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet – ebenso wie die Folgen von sexueller Gewalt für die Betroffenen und ihre Familien. Wie gesellschaftliche Strukturen solche Übergriffe begünstigen, ist ebenfalls Thema. Dennoch wird daraus kein vorhersehbar schematischer Kampf der Geschlechter, was im Wesentlichen an der Finesse der Geschichte liegt.

 

Obwohl sie sich dem Thema mit großem Ernst nähert, baut Regisseurin Fennell auch komische und romantische Elemente in die Handlung ein. Nicht alle Männer werden negativ gezeichnet. Vor allem aber wirkt die Hauptfigur Cassie, von Carey Mulligan mit Verve und Präzision gespielt, charakterlich und moralisch so disparat, dass sie nicht gerade als Identifikationsfigur taugt. Der Zuschauer kann sich nicht einfach auf ihre Seite schlagen.

 

Bunte Oberfläche, dunkles Seelenleben

 

Ihre ambivalente Persönlichkeit erlaubt überraschende Wendungen, ohne dass die Stringenz der Erzählung darunter leiden würde. Im Gegenteil: Der Film gewinnt mit jedem neuen Haken an Wucht und Dramatik. Dafür bekam Regisseurin Fennell im April zurecht den Oscar für das beste Originaldrehbuch. Die Regiedebütantin ist dem Publikum vor allem durch ihre Rolle als Camilla Parker Bowles in der Netflix-Serie „The Crown“ (seit 2016) bekannt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Widows – Tödliche Witwen" - raffiniert konstruierter Frauen-Gangsterfilm von Steve McQueen

 

und hier ein Bericht über den Film "Bombshell – Das Ende des Schweigens" – Dokudrama über sexuelle Belästigung beim TV-Sender „Fox News“ von Jay Roach mit Charlize Theron + Nicole Kidman

 

und hier einen Beitrag über den Film  "Ocean’s 8" – Krimikomödie über eine rein weibliche Gangsterbande von Gary Ross mit Sandra Bullock, Cate Blanchett + Rihanna

 

und hier eine Besprechung des Films "Elle" – raffiniertes Psychodrama über Rache für Vergewaltigung von Paul Verhoeven mit Isabelle Huppert

 

Vom Design der Innenräume bis zu Cassies grellen Outfits kontrastiert die zuckrig bunte Ausstattung gelungen mit ihrem düsteren Innenleben. Dass mit ihrem einstigen Studienkollegen Ryan (unwiderstehlich sympathisch: Bo Burnham) plötzlich jemand auftaucht, der sich tatsächlich um sie bemüht, eröffnet die Aussicht auf einen anderen Umgang zwischen den Geschlechtern. Ryan lässt sich auch von Cassies Kratzbürstigkeit nicht abwimmeln. So entwickeln sich Momente voller Zartheit und Poesie, die zunächst teils überzogen erscheinen, aber als Gegengewicht zum anders gearteten Ende durchaus sinnvoll wirken.

 

Gelungener Genremix

 

Laut Schätzungen soll etwa jede fünfte Frau weltweit im Lauf ihres Lebens sexualisierte Gewalt erfahren. Zudem wird angenommen, dass die Covid-Pandemie  vielerorts zu einem Anstieg der Übergriffe in Partnerschaften geführt hat – von denen nur ein geringer Teil angezeigt und juristisch verfolgt wird.

 

Daher ist jede Auseinandersetzung mit diesem Problem begrüßenswert. Dass „Promising Young Women“ nicht nur für dieses wichtige Thema sensibilisiert, sondern gleichzeitig auf spannende und mitreißende Weise unterhält, macht diesen Mix aus Genre- und Arthousekino zum Ausnahmefilm.