Emin Alper

Burning Days

Emre (Selahatti̇n Paşali, l.) und Murat (Eki̇n Koç, r.). Foto: @ Cinemien
(Kinostart: 28.9.) Auf Sand gebaut: Mit seinem beklemmenden Thriller über Umweltzerstörung in einer anatolischen Kleinstadt inszeniert Regisseur Emin Alper zugleich eine düstere Parabel auf die Türkei – in Erdfarben zeichnet er das Bild eines Landes am Abgrund.

Es gibt keine Gewissheiten, alles ist verschwommen und beliebig neu interpretierbar – das ist die Grundlage jedes guten Thrillers. Doch während man im Alltag irgendwann lernt, die Ungewissheiten des Lebens zugunsten der eigenen geistigen Gesundheit zu ignorieren, holt der Thriller dieses negative Gefühl vorsätzlich zurück ins Bewusstsein.

 

Info

 

Burning Days

 

Regie: Emin Alper,

127 Min., Türkei 2023;

mit: Selahatti̇n Paşali, Eki̇n Koç, Erdem Şenoca, Erol Babaoğlu

 

Weitere Informationen zum Film

 

So stellt „Burning Days“ von Anfang an klar, dass der junge Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali), der seinen ersten Job in der fiktiven anatolischen Kleinstadt Yaniklar antritt, sehr vorsichtig und geschickt auftreten muss. Andernfalls droht er selbst in einem der Löcher zu versinken, die sich in der Gegend ständig auftun.

 

Der Grund so weich wie Treibsand

 

Diese Sinklöcher habe es schon immer gegeben, lässt ihn der Bürgermeister wissen. Dagegen könne man nichts machen. Sie hätten auch nichts mit der verstärkten Ausbeutung des Grundwassers zu tun, die den steigenden Bedarf der Bewohner decken soll. „Der Grund hier ist weich wie Treibsand“, warnt dagegen der Journalist Murat (Ekin Koç), als er Emre beim Baden in einem vermeintlich abgelegenen See überrascht.

Offizieller Filmtrailer


 

Demokratie als Ritual

 

Es gibt keine wirkliche Privatsphäre in Yaniklar, alle haben ihre Augen überall. Und es laufen sich ständig dieselben Menschen über den Weg. So ist der schleimige Anwalt Şahin (Erol Babaoglu), der Emre zusammen mit einem Kumpanen seine Aufwartung macht, gleichzeitig der Sohn des Bürgermeisters. Sein Geprotze über seine Jagdkünste ist unschwer als Drohung zu erkennen.

 

Als in der Stadt die Bürgermeisterwahlen anstehen, ist der Wassernotstand das Wahlkampfthema Nummer Eins. Dabei scheint der Ausgang von vornherein festzustehen. Demokratie ist in Yaniklar eine Verhandlungssache zwischen den Mächtigen, nicht das Resultat einer öffentlichen Entscheidungsfindung. Die Wahlen dienen entsprechend eher als Ritual, ohne je wirklich etwas zu ändern.

 

Eine Falle für den Staatsanwalt

 

Wohl auch deswegen zögert Emre, der von allen mit „Herr Staatsanwalt“ angeredet wird, lange damit, auf die wiederholten privaten Einladungen des Bürgermeisters einzugehen. Als er irgendwann doch nachgibt, wird es ein langer Abend mit starkem Raki, Musik, Tanz und Machogehabe. Am folgenden Morgen erwacht Emre mit schwerem Kopf, verschwommenen Erinnerungen und geröteten Hautstellen, die verdächtig an Knutschflecken erinnern. 

 

Die Vergewaltigung eines Roma-Mädchens wird angezeigt, auch sie war auf der Party zugegen. Der Staatsanwalt ist sich sicher, wer die Schuldigen sind und leitet die entsprechenden Schritte ein – ohne Rücksicht auf die lokalen Machtstrukturen. Das kann natürlich nicht gut gehen, wie schon der Score aus düsteren Streicherklängen von Beginn an deutlich macht.

 

Parabel in Erdfarben

 

Die Atmosphäre wird zunehmend klaustrophobisch, die Hitze unerträglich. Man entkommt ihr nicht, und auch für das Auge gibt es kaum Abwechslung von den Erdfarben, in die Landschaft und Stadt gleichermaßen getaucht sind. Das enge Geflecht an persönlichen Verstrickungen und Abhängigkeiten lässt den Menschen kaum Luft zum Atmen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Eine Geschichte von drei Schwestern"beeindruckende Sozialstudie eines archaischen anatolischen Bergdorfes von Emin Alper

 

und hier eine Besprechung des Films "Abluka – Jeder misstraut jedem"Polit-Thriller über die Türkei als Polizeistaat von Emin Alper

 

und hier einen Beitrag über den Film "Müll im Garten Eden" – engagierte Doku von Fatih Akin über einen Umwelt-Skandal an der türkischen Schwarzmeer-Küste

 

und hier eine Kritik des Films "Grain – Weizen" – türkische Öko-Science-Fiction-Dystopie auf Sufismus-Basis von Semih Kaplanoğlu.

 

 

Mitunter fragt man sich, ob es nicht etwas viel Verstrickungen sind, die Regisseur Emin Alper, der selbst aus Anatolien stammt, hier auffährt. Überdeutlich wird, dass es sich bei „Burning Days“ um eine düstere Parabel auf den Zustand der türkischen Gesellschaft handelt, in der das Recht des Stärkeren gilt. Allerdings wirkt das Szenario weit subtiler und realistischer als noch in „Abluka“ (2015), in dem die Türkei unverhohlen als Polizeistaat dargestellt wird.

 

Gesellschaft am Abgrund

 

So ist Emre kein strahlender Held, sein Vorgehen enthüllt eher eine Mischung aus jugendlichem Ehrgeiz und Selbstgerechtigkeit. Die nur wenige Jahre ältere Richterin Zeynep (Selin Yeninci) – neben dem Vergewaltigungsopfer übrigens die einzige Frauenfigur im Film – gibt ihm zu verstehen, dass brachiale Direktheit wenig bringt, wenn er etwas verändern will in dieser Welt der fest im Sattel sitzenden Männerbünde. Auch die Agenda des Journalisten Murat wirkt uneindeutig.

 

Die homoerotische Anziehung zwischen ihm und Emre wird nur angedeutet als Möglichkeit ohne Raum zur Entfaltung. Wie alles andere hat sich die Sexualität den traditionellen Machtstrukturen unterzuordnen. Diese Beschränkung der Individualität durch die Gesellschaft war auch Thema von Alpers letztem Film „Die Geschichte von drei Schwestern“ (2019). Das Schlussbild von „Burning Days“ ist so beklemmend wie eindeutig: Justiz und Presse stehen am Abgrund, und die Gesellschaft droht in die Löcher zu fallen, die sie sich selbst gegraben hat.