
Eine Künstlerin schießt sich frei: Mitte der 1950er Jahre montierte Niki de Saint Phalle (1930-2002) Farbbeutel und Sprühdosen auf Leinwände und feuerte mit einem Luftgewehr darauf, bis sie platzten. Derartige Bilder waren voller bunter Spritzer, Klekse und Farbnasen, als hätte jemand sie zum “Bluten” gebracht. Diese eigenwillige Methode war Saint Phalles Eintritt in die Kunstwelt – als Angriff gegen die patriarchalische Ordnung der Welt.
Info
Niki de Saint Phalle
Regie: Céline Sallette,
98 Min., Frankreich/ Belgien 2025;
mit: Charlotte Le Bon, John Robinson, Damien Bonnard, Judith Chemla
Weitere Informationen zum Film
Enkelin verweigerte Mitarbeit
Weder die provokativen Schießbilder noch die berühmten “Nanas” sind im Debütfilm von Regisseurin Céline Sallette zu sehen, obwohl er nach Niki de Saint Phalle benannt ist. Die Enkelin und Nachlassverwalterin der Künstlerin, Bloum Cardenas, hat jegliche Mitarbeit verweigert. Das nötigte die Regisseurin, ihren Film ohne Kunstwerke zu realisieren.
Offizieller Filmtrailer
Krisen-Biografie wird schöngemalt
Er ist kein gewöhnliches Biopic, sondern beschreibt stattdessen das Drama, wie sich eine traumatisierte Frau zur Künstlerin entwickelte. Sallette rechtfertigt ihre Vorgehensweise mit einer Umkehrung des Blickwinkels: „Ich sagte mir: Dann mache ich den Film eben aus der Perspektive des Werks, das Niki beobachtet.”
Was allerdings spannender klingt, als das Ergebnis ausfällt. Zwar deklariert die Regisseurin die Zwänge, denen sie unterlag, zur Inspirationsquelle um – doch ihre Inszenierung wirkt befangen und konventionell. Schon die Eröffnungsszene deutet darauf hin, dass hier eine von Schmerzen und Krisen geprägte Biografie zugunsten der Breitenwirksamkeit kaschiert und schöngemalt wird.
Vom Gatten in Psychatrie geschickt
Alles beginnt mit dem Bild einer weißgepuderten Prinzessin samt feuerroten Lippen und funkelnder Krone auf dem Kopf: Charlotte Le Bon verkörpert eine junge Aristokratin, die als Mannequin arbeitet. Aber Niki de Saint Phalle – geboren in der Nähe von Paris, aufgewachsen in den USA, streng katholisch erzogen – will Anfang der 1950er Jahre weder Adlige noch Model sein.
Ihr glamouröses Leben, in dem sie nebenbei schauspielert, langweilt und belastet die junge Frau zusehends. Als ihr erster Mann, der Schriftsteller Harry Matthews (John Robinson), eines Tages eine Messersammlung unter der Matratze ihres Ehebetts findet, liefert er seine vermeintlich mental überforderte Gattin zum Schutz der gemeinsamen Kinder und seiner selbst kurzerhand in die Psychiatrie ein. Unter dem Motto: Ruhe und Abstand einer Kur werde ihr guttun.
Statuen-Genitalien rot beschmiert
Tatsächlich war de Saint Phalles Vorliebe für Messer und Waffen eine Reaktion auf ihre traumatische Kindheit. Im Alter von 64 Jahren machte die Künstlerin publik, dass sie als Elfjährige von ihrem Vater missbraucht worden war: Seither liege die Erinnerung daran wie ein Schatten über ihrem Leben und Werk.
Regisseurin Sallette wird nicht müde, diesen grausamen Ursprung ihrer psychischen Probleme zu betonen. Plumpe Rückblenden weisen auf die schrecklichen Erlebnisse und ihre Folgen hin, indem sie zeigen, wie die spätere „Terroristin der Kunst“ bereits als Mädchen etwa bei einem Schulausflug die Genitalien von Statuen in einer Kunstgalerie mit roter Farbe beschmierte.
Skizzenhaft oberflächliche Darstellung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "POWER UP" über "Female Pop Art" mit Werken von Niki de Saint Phalle in Wien und Bietigheim-Bissingen
und hier eine Besprechung der Doku "Jean Tinguely" von Thomas Thümena – informatives Film-Porträt des Maschinen-Künstlers und Ehemanns von Niki de Saint Phalle
und hier einen Bericht über den Film "Eva Hesse" – facettenreiche Doku über die 1970 verstorbene US-Künstlerin, die neue Werkstoffe wie Polyester + Glasfaser verwendete, von Marcie Begleiter
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Pacific Standard Time" über "Kunst in Los Angeles 1950 - 1980" mit Werken aus neuen Materialien wie Polyester + Fiberglas im Martin-Gropius-Bau, Berlin.
Doch häufige Zeitsprünge führen dazu, dass man der Erzählung nur schwer folgen kann – und bald das Interesse verliert. Vor allem bleibt die Darstellung zu skizzenhaft und oberflächlich. Es fällt leicht, de Saint Phalles einnehmendes Wesen und ihren starken Willen zu bewundern. Doch die Regisseurin ist offenbar allzu begeistert von ihrer verführerisch-rebellischen Protagonistin. Immer wieder rückt sie Charlotte Le Bon in den Mittelpunkt, zeigt sie wütend, verletzlich, sanft und aufbrausend; deckt also das ganze Spektrum ihrer Persönlichkeit ab.
Durch Wahnsinn zur Kunst
Aber die Resultate ihres Ausdruckswillens, die explosiven Werke, sind eben nie zu sehen. Was zur problematischen Leerstelle wird, um die der Film kreist, während er beharrlich zeigen will, wie die Künstlerin sich durch kreative Praxis von den Belastungen befreit, die ihr durch Herkunft und Werdegang aufgebürdet wurden.
„Durch den Wahnsinn habe ich die Kunst gefunden“, hat de Saint Phalles selbst einmal gesagt: Über ihre innere Zerissenheit und ihr komplexes Denken würde man gern mehr erfahren. Allein die Filmmusik deutet den Akt der Selbstbefreiung zumindest akustisch an. Darüber hinaus wirkt dieses hübsch ausgestattete, aber bieder affirmative Biopic wenig aufschlussreich.