Jan Henrik Stahlberg

Muxmäuschenstill X

Mux (Jan Henrik Stahlberg) vor Schülerinnen, die für Klimaschutz demonstrieren. Foto: Mux Filmproduktion/RalfNoack
(Kinostart: 1.5.) Die Rückkehr des Muxismus: 21 Jahre nach seinem Überraschungserfolg lässt Jan Henrik Stahlberg wieder den Selfmade-Revoluzzer Mux von der Leine. Einmal mehr schlägt dessen gerechte Empörung regelmäßig in selbstgerechten Autoritarismus um - zur Ermüdung seines Publikums.

Jan Henrik Stahlberg, Filmemacher und Hauptdarsteller in einer Person, stellt „Muxmäuschenstill X“ zwei Schrifttafeln voran. Auf der ersten heißt es: „In Zeiten wie diesen rät man uns zu einem Disclaimer, dass es sich um eine Satire handelt. Wir kommen dem hiermit nach.“ Auf der zweiten: „Disclaimer: Dies ist eine Satire.“ 

 

Info

 

Muxmäuschenstill x

 

Regie: Jan Henrik Stahlberg,

99 Min., Deutschland 2024;

mit: Jan Henrik Stahlberg, Tilman Vellguth, Henriette Simon

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diese Art Witz durchzieht den gesamten Film: In raunendem Ton wird Staunen über den Zustand einer Welt inszeniert, die unzumutbare Forderungen stellt. Anschließend wird das durch auftrumpfende Überdeutlichkeit konterkariert. 21 Jahre nach „Muxmäuschenstill“, seinem Kino-Debüt als Drehbuchautor, hat Stahlberg, der diesmal für Buch und Regie verantwortlich zeichnet, seine Figur Mux (ebenfalls Stahlberg) zu neuem Leben erweckt – und zwar ziemlich wörtlich. 

 

Das muxistische Manifest

 

Denn die Zeit, die seit dem ersten Film vergangen ist, soll der „faschistoide Irre“ (Produzent Martin Lehwald) im Wachkoma verbracht haben. Dabei hat der Mann, der einst mit seiner „Gesellschaft für Gemeinsinnpflege“ die Welt mit autoritären Mitteln erziehen wollte, jedoch keineswegs geschlafen. Nein: Er hat ein Manifest des Muxismus verfasst. Mit dem will er nun als „Fremder im eigenen Land“ die Revolution von Ostdeutschland aus über ganz Europa verbreiten.

Offizieller Filmtrailer


 

Der selbsternannte Prophet ist am mächtigsten allein

 

Mit seinem Langzeitpfleger und Adjutanten Karsten (Tilman Vellguth) begibt er sich zunächst in seinen Heimatort, wo die Familie ihn zurück in ihren Schoß nimmt. Schwester Vera (Bettina Hoppe) unterstützt ihn, indem sie ihm Vorträge darüber hält, wie er zunächst seine Zielgruppen definieren und seine Kommunikationsstrategie schärfen müsse. Doch bevor Mux sich seine Revolution verwässern lässt, geht er lieber seinen eigenen Weg.

 

Den zeigt der Film in dokumentarisch anmutenden Episoden. Ununterbrochen und in lethargischen Tonfall hält ein Off-Text die Filmhandlung um den selbsternannten Propheten zusammen. Weitere wiederkehrende Stilmittel sind lange Schwarzblenden und elegische Klaviermusik, als lege es Stahlberg darauf an, sein Publikum in einen Zustand müder Passivität zu versetzen.

 

Klassenkampf in der Bahn

 

Mit Haustür-Missionierung, Supermarkt- und Festzelt-Agitation will Mux die Menschen davon überzeugen, dass „die Mächtigen“ den Geist des Neoliberalismus aus der Flasche gelassen haben. Darunter hätten nun die braven, kleinen Leute zu leiden. Vom selbst um seine Pfründe besorgten Mittelstand seien sie nicht bloß abgehängt, sondern würden auch verachtet. Getreten werde schließlich immer nach unten.

 

Mux ist geschickt darin, Ungerechtigkeiten in zunächst besonnenen Worten darzulegen, sie dann hartnäckig weiterzutreiben und schließlich mit Ressentiments und Rachefantasien kurzzuschließen. Ein frühes Beispiel für seinen Kampf um Gerechtigkeit ist ein spontaner Miniaturaufstand gegen die Verhaltensregeln in der allzeit verspäteten Bahn. Hier führt Mux verärgerte Fahrgäste, die sich in der zweiten Klasse drängen, in die halbleeren Waggons der ersten Klasse, wo einige Bessergestellte sich zunächst gegen die Störung ihrer Behaglichkeit wehren.

 

Mit vorgehaltener Pistole gegen die da oben

 

Dabei kommt erstmals Mux‘ Pistole als Drohung zum Einsatz. Kurz darauf sitzen die überwältigten Privilegierten mit denunzierenden Pappschildern um den Hals da und müssen Selbstkritik üben. Dass sie sich selbst als „asozial“ bezeichnen, reicht Mux nicht: Er verlangt, dass ihre Selbstverleugnung für alle Umstehenden glaubwürdig klingt. NS- und SED-Staat lassen gleichermaßen grüßen.

 

Hintergrund

 

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Unter Berufung auf Martin Luther, den er als großen Mann und Revolutionär feiert, eint Mux seine Bewegung der Ohnmächtigen gegen den Feind: die übermächtigen Anderen, großen Firmen und Strukturen, die „uns“ im Weg stehen. Ziel ist die Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums an die underdogs, denen er gestohlen worden sein soll; so wie übrigens auch ihre Heimat.

 

Propaganda für Wutbürgertum aller Art

 

„Worauf warten wir?“, fragt Mux: „Der Widerstand ging immer von denen aus, die nichts mehr zu verlieren haben!“ Bevorzugtes Publikum für seine Ansprachen sind Kinder, die ihm nach dem Mund reden und seine Argumente weitertragen; aber auch wütende Männer, die aufgrund der allgemeinen Ungerechtigkeit alles verloren haben. Mit ihnen rennt er im Schutz von Anonymus-Masken durch die Gegend, stiftet zu Chaos an und bleibt doch selbst allzeit moderat im Ton.

 

So eignet sich „Muxmäuschenstill X“ als Propagandafilm für praktisch jede Wutbürgerpartei. Anders als es der Disclaimer zu Beginn behauptet, versprechen sich die Filmemacher von ihrem Produkt allerdings doch eine Menge mehr: Sie wollen auf einer Tour durch ländliche Gebiete im Osten Deutschlands Menschen wachrütteln und für den Kampf für ein lebenswertes Europa nach Mux‘ Vorstellungen gewinnen.