
Jan Henrik Stahlberg, Filmemacher und Hauptdarsteller in einer Person, stellt „Muxmäuschenstill X“ zwei Schrifttafeln voran. Auf der ersten heißt es: „In Zeiten wie diesen rät man uns zu einem Disclaimer, dass es sich um eine Satire handelt. Wir kommen dem hiermit nach.“ Auf der zweiten: „Disclaimer: Dies ist eine Satire.“
Info
Muxmäuschenstill x
Regie: Jan Henrik Stahlberg,
99 Min., Deutschland 2024;
mit: Jan Henrik Stahlberg, Tilman Vellguth, Henriette Simon
Weitere Informationen zum Film
Das muxistische Manifest
Denn die Zeit, die seit dem ersten Film vergangen ist, soll der „faschistoide Irre“ (Produzent Martin Lehwald) im Wachkoma verbracht haben. Dabei hat der Mann, der einst mit seiner „Gesellschaft für Gemeinsinnpflege“ die Welt mit autoritären Mitteln erziehen wollte, jedoch keineswegs geschlafen. Nein: Er hat ein Manifest des Muxismus verfasst. Mit dem will er nun als „Fremder im eigenen Land“ die Revolution von Ostdeutschland aus über ganz Europa verbreiten.
Offizieller Filmtrailer
Der selbsternannte Prophet ist am mächtigsten allein
Mit seinem Langzeitpfleger und Adjutanten Karsten (Tilman Vellguth) begibt er sich zunächst in seinen Heimatort, wo die Familie ihn zurück in ihren Schoß nimmt. Schwester Vera (Bettina Hoppe) unterstützt ihn, indem sie ihm Vorträge darüber hält, wie er zunächst seine Zielgruppen definieren und seine Kommunikationsstrategie schärfen müsse. Doch bevor Mux sich seine Revolution verwässern lässt, geht er lieber seinen eigenen Weg.
Den zeigt der Film in dokumentarisch anmutenden Episoden. Ununterbrochen und in lethargischen Tonfall hält ein Off-Text die Filmhandlung um den selbsternannten Propheten zusammen. Weitere wiederkehrende Stilmittel sind lange Schwarzblenden und elegische Klaviermusik, als lege es Stahlberg darauf an, sein Publikum in einen Zustand müder Passivität zu versetzen.
Klassenkampf in der Bahn
Mit Haustür-Missionierung, Supermarkt- und Festzelt-Agitation will Mux die Menschen davon überzeugen, dass „die Mächtigen“ den Geist des Neoliberalismus aus der Flasche gelassen haben. Darunter hätten nun die braven, kleinen Leute zu leiden. Vom selbst um seine Pfründe besorgten Mittelstand seien sie nicht bloß abgehängt, sondern würden auch verachtet. Getreten werde schließlich immer nach unten.
Mux ist geschickt darin, Ungerechtigkeiten in zunächst besonnenen Worten darzulegen, sie dann hartnäckig weiterzutreiben und schließlich mit Ressentiments und Rachefantasien kurzzuschließen. Ein frühes Beispiel für seinen Kampf um Gerechtigkeit ist ein spontaner Miniaturaufstand gegen die Verhaltensregeln in der allzeit verspäteten Bahn. Hier führt Mux verärgerte Fahrgäste, die sich in der zweiten Klasse drängen, in die halbleeren Waggons der ersten Klasse, wo einige Bessergestellte sich zunächst gegen die Störung ihrer Behaglichkeit wehren.
Mit vorgehaltener Pistole gegen die da oben
Dabei kommt erstmals Mux‘ Pistole als Drohung zum Einsatz. Kurz darauf sitzen die überwältigten Privilegierten mit denunzierenden Pappschildern um den Hals da und müssen Selbstkritik üben. Dass sie sich selbst als „asozial“ bezeichnen, reicht Mux nicht: Er verlangt, dass ihre Selbstverleugnung für alle Umstehenden glaubwürdig klingt. NS- und SED-Staat lassen gleichermaßen grüßen.
Hintergrund
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Propaganda für Wutbürgertum aller Art
„Worauf warten wir?“, fragt Mux: „Der Widerstand ging immer von denen aus, die nichts mehr zu verlieren haben!“ Bevorzugtes Publikum für seine Ansprachen sind Kinder, die ihm nach dem Mund reden und seine Argumente weitertragen; aber auch wütende Männer, die aufgrund der allgemeinen Ungerechtigkeit alles verloren haben. Mit ihnen rennt er im Schutz von Anonymus-Masken durch die Gegend, stiftet zu Chaos an und bleibt doch selbst allzeit moderat im Ton.
So eignet sich „Muxmäuschenstill X“ als Propagandafilm für praktisch jede Wutbürgerpartei. Anders als es der Disclaimer zu Beginn behauptet, versprechen sich die Filmemacher von ihrem Produkt allerdings doch eine Menge mehr: Sie wollen auf einer Tour durch ländliche Gebiete im Osten Deutschlands Menschen wachrütteln und für den Kampf für ein lebenswertes Europa nach Mux‘ Vorstellungen gewinnen.