David Dietl

Berlin Bouncer

Sven Marquardt an der Ostsee. Foto: © Flare Film GmbH. Fotoquelle: farbfilm
(Kinostart: 11.4.) Berlin-Folklore statt Club-Soziologie: Der Regisseur David Dietl kommt mit seinem Porträt dreier Türsteher den Protagonisten sehr nahe. Über ihren Job im Nachtleben erfährt man aber wenig – die Doku klebt am Mythos der Partymetropole.

Harte Tür: So nennt man das, wenn an der Einlasspforte eines Etablissements für drei Viertel der hoffnungsvollen Möchtegern-Besucher, die vielleicht schon stundenlang in der Warteschlange standen, der Spaß wieder vorbei ist. Weil die Herren oder Damen Rausschmeißer finden, dass man irgendwie nicht dazugehört, die falschen Schuhe oder das falsche Gesicht hat und seine Jugend lieber woanders verschwenden soll.

 

Info

 

Berlin Bouncer

 

Regie: David Dietl,

87 Min., Deutschland 2019;

mit: Sven Marquardt, Frank Künster, Smiley Baldwin

 

Website zum Film

 

Das Clubleben ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der deutschen Hauptstadt. Zu einer Attraktion von internationaler Strahlkraft ist seit Jahren die notorisch lange Schlange vor dem Berliner Techno-Club Berghain samt der legendär harten Tür an ihrem Ende geworden. An der steht regelmäßig Sven Marquardt, der wegen seiner Gesichts-Tattoos und diverser Ohr-, Nasen- und Mundgehänge den Ehrentitel „der Eisenmann“ trägt.

 

Mythos-Cocktail Nachtleben

 

Nicht nur die „Bild“-Zeitung verschaffte ihm eine gewisse Mainstream-Prominenz. Schließlich ist Marquardt nicht nur der derzeit bekannteste Türsteher der Welt, sondern auch Künstler und Fotograf. Auf diesen Mythos-Cocktail aus Boulevard, Nachtleben und Berlin-Folklore setzt nun David Dietl mit einem Dokumentarfilm über Marquardt und dessen Kollegen Smiley Baldwin und Frank Künster.

Offizieller Filmtrailer


 

Bunte Diashow

 

Harte Tür? I wo! „Berlin Bouncer“ will es seinem Publikum so leicht wie möglich machen, in den Film reinzukommen. So leicht, dass einiges an Nervenkitzel verloren geht, vor allem wenn man an das eherne Clubgesetz im Hinterkopf behält: Wenn jeder rein darf, kann es drin so aufregend nicht sein. Eine der ersten Einstellungen: der Berliner Fernsehturm. Was sonst?

 

Danach eine Diashow mit einem bunten Allerlei aus der Ikonografie des Stadtmarketings. Es folgen ein paar historische Aufnahmen: der 9. November 1989, die frühe Techno-Szene, die Ahnung einer wilden Freiheit, der Berlin-Touristen heute nachspüren, wenn sie ihre nackten Hintern in die Kamera strecken. Im Geiste sieht man den Finanzsenator Matthias Kollatz vor sich, wie er sich die Hände reibt.

 

Bauchgefühl statt Metaebene

 

Beim Beruf des Türstehers geht es nicht nur um Selektion, um Ein- und Ausschluss, sondern auch darum, safe spaces für Gruppen zu schaffen, die im Alltag der Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sind, etwa aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Insofern hat der Beruf des Rausschmeißers nicht nur eine symbolische, sondern auch eine konkrete soziale Funktion.

 

Dietl handelt dieses grundsätzlich spannende Thema in einer Einstiegsfrage an seine drei Protagonisten ab: Wen lässt du eigentlich warum rein – und wen nicht? Jeder der drei Türsteher hat seinen eigenen, eher bauchgefühlig als rational begründeten Ansatz. Offensichtlich lässt sich der nicht so genau in Worte fassen. Und damit hat es sich auch schon mit der Metaebene.

 

Klischees werden bestätigt

 

Das ist schade, aber durchaus legitim. Tatsächlich lebt „Berlin Bouncer“ weniger von der dahinter stehenden Thematik als von den drei Porträtierten. Dietls Interesse gilt den Persönlichkeiten, vor allem den Unterschieden in Charakter und Temperament, die sich hinter der professionellen Fassade verbergen. Während Marquardt vor allem signalisiert, dass er dem Filmemacher und seinem Kamerateam die Grenzen setzt, bemüht sich Künster, jedes Klischee zu bestätigen, das sich zu einem BWL-Studienabbrecher, ewigen Schürzenjäger, Teilzeit-Künstler und Vollzeit-Lebemann assoziieren lässt.

 

Bei Baldwin, der Ende der 1980er Jahre als US-Soldat nach Westberlin kam, verhindert dagegen eine Überdosis guter Laune tiefer gehende Einsichten. Nach und nach gerät er etwas aus dem Fokus. Im Grunde könnte die drei auch ihre Tätigkeit als Busfahrer oder Fassadenkletterer verbinden. Das würde an diesem Porträtfilm wenig ändern, nur ginge die schöne Partymetropolen-Folklore verloren.

 

Sven Marquardt überall

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "So was von da" - mäanderndes Drama über die Hamburger Partyscene von Jakob Lass

 

und hier einen Beitrag über den Film "Victoria" - sportlich gefilmter Berlin-Nachtleben-Thriller von Sebastian Schipper

 

und hier einen Bericht über den Film "Café Belgica" - eindrucksvoll orgiastisches Nachtclub-Drama von Felix van Groeningen.

 

Eine weitere Dokumentation mit Marquardt-Bonus, ebenfalls aufgehängt an drei Protagonisten, hat fast zeitgleich Annekatrin Hendel abgedreht. Ihr Film „Schönheit & Vergänglichkeit“ feierte, wie auch „Berlin Bouncer“, bei der diesjährigen Berlinale Premiere. Der Kinostart steht noch nicht fest.

 

Hendel stellt die persönlichen Beziehungen von Marquardt zu zwei alten Wegbegleitern in den Vordergrund – und die Frage, was sie, einstige Außenseiter im DDR-Regime, aus ihren damaligen Lebensvorstellungen gemacht haben und wie diese sie immer noch prägen. Ihr Film ist das Porträt einer Freundschaft und erzählt nebenbei von der Stadt im Wandel.

 

Private Geschichten, keine Geschichte

 

Bisweilen kommt man in „Berlin Bouncer“ den Personen ähnlich nahe. Mal schaut man Sven Marquardt an der Ostsee beim Philosophieren über die Liebe zu, mal erhält man Einblicke in das ärmliche Leben von Smiley Baldwins Verwandten auf den Virgin Islands. Und Frank Künster erlebt man bei einem Klassentreffen in seinem Heimatort in NRW in schreiend komischen Situationen.

 

Trotz vieler Gemeinsamkeiten bleiben das jedoch drei nur lose verbundene Geschichten. Letztlich eint sie vor allem die Aufladung mit dem Mythos Berlin. Dem fügt dieser Film nichts Eigenes hinzu.