Catherine Deneuve

Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein

Patchwork-Familie auf Franko-Tschechisch: Jaromil (Milos Forman), Madeleine (Catherine Deneuve) + Vera (Chiara Mastroianni, v.li.). Foto: Senator Filmverleih
(Kinostart 3.5.) Regisseur Christopher Honoré belebt die französische Musical-Komödie wieder. Sein Mehrgenerationen-Melodram um Mutter und Tochter zwischen zwei Männern ist so herzensklug wie weltweise – und glänzend besetzt.

Für die Titel seiner Filme hat Christophe Honoré keine glückliche Hand. Sie heißen «Meine Mutter» (2004), «In Paris» (2006), «Chanson der Liebe» (2007) oder «Die schöne Person» (2008) – belanglosere Allerwelts-Bezeichnungen sind kaum denkbar. Bei «Die Liebenden» verkehrt die deutsche Version zudem den Sinn des französischen Originals ins Gegenteil: «Les bien-aimés» lieben nicht aktiv, sondern werden passiv geliebt.

 

Info

Die Liebenden – von der Last, glücklich zu sein –
Les bien-aimés

 

Regie: Christophe Honoré, 135 min., Frankreich/ Tschechien 2011;
mit: Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni, Louis Garrel

 

Website zum Film

Solche nichtssagenden Titel kaschieren die einzigartige Handschrift des Regisseurs, die im zeitgenössischen Kino ihresgleichen sucht. Keine griffige Überschrift könnte seinen sehr speziellen Regie-Stil vermitteln. Versucht es der Verleih im Untertitel dennoch, kommen absurde Paradoxien heraus wie «von der Last, glücklich zu sein». Was der paradoxen Qualität von Honorés Filmen enspricht: universell gültig und zugleich exklusiv französisch zu sein.

 

Deneuve 1964 und 48 Jahre später

 

Wie «Die Liebenden»: Nach «Chanson der Liebe» belebt er abermals das Genre der Musical-Komödie in seiner französischen Variante. Deren klassisches Vorbild ist Jacques Demys «Die Regenschirme von Cherbourg» von 1964: eine alltägliche Geschichte durchschnittlicher Charaktere als zeitlose Parabel. Darin feierte die 21-jährige Catherine Deneuve als Geneviève ihren Durchbruch – 48 Jahre später spielt sie in «Die Liebenden» als Madeleine eine der beiden Hauptrollen.

Offizieller Film-Trailer


 

Milos Forman als Opportunist in Prag

 

Die andere – ihre Tochter Vera – übernimmt Chiara Mastroianni; im realen Leben ist sie die Deneuves Tochter aus ihrer Beziehung mit Marcello Mastroianni. Ihren Ex- und Immer-mal-wieder-Geliebten Clément mimt Louis Garrel, der in «Chanson der Liebe» die Hauptfigur des Ismaël gab. Mit jungenhaft schlaksigem Auftreten, mürrischer Mine und ewig unentschiedenem Gefühlsleben wirkt Garrel wie eine Reinkarnation von Jean-Pierre Léaud; tatsächlich ist der Lieblings-Schauspieler der Nouvelle Vague Garrels Taufpate.

 

Die Nebenrolle von Madeleines Ex-Mann und Distanz-Geliebten Jaromil, der am Ende des Prager Frühlings opportunistisch in der Tschechoslowakei bleibt, besetzt Honoré mit Milos Forman – darauf muss man erst einmal kommen! Der Star-Regisseur emigrierte 1968 nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in die USA; als mittlerweile 80-Jähriger spreizt er sich genießerisch in seiner Rolle als quallig verlebter Hallodri.

 

Keine hermetische Zitate-Orgie

 

Doch diese kühne Mixtur aus Kino-Kosmos und Wirklichkeit läuft keineswegs auf eine hermetische Zitate-Orgie hinaus. Im Gegenteil: Die Anspielungen für Cineasten lassen sich getrost ignorieren. «Die Liebenden» setzt 1964 ein und wird chronologisch erzählt: Der jungen Schuh-Verkäuferin Madeleine (Ludivine Sagnier) bietet ein Mann Geld für Sex an, wodurch sie auf den Geschmack kommt. Bis sich die lebenslustige Hobby-Hure in den Tschechen Jaromil verliebt, der sie nach Prag entführt und mit ihr Vera zeugt.

 

Zwischen Lehrer und schwulem Drummer

 

Als er sie betrügt, kehrt Madeleine mit ihrer Tochter in die Heimat zurück und heiratet den braven Gendarmen François. Trotzdem lässt Jaromil sie nicht los: Kommt er nach Paris, gehen sie miteinander ins Bett und spielen mit dem Gedanken, gemeinsam durchzubrennen. François toleriert das; erst als der Nebenbuhler ihn 1997 auffordert, sich scheiden zu lassen, wirft er ihn hinaus.

 

Wie ihre Mutter steht die inzwischen erwachsene Vera zwischen zwei Männern: Ihrem Lehrer-Kollegen Clément, der eine feste Bindung scheut, und dem Amerikaner Henderson, Drummer in einer Rock-Band. Doch die Zeiten haben sich verdüstert: Henderson ist schwul und hat AIDS. Während Madeleine zwanglos Ehe und Dauer-Affäre miteinander verbinden kann, gelingt ihrer Tochter keins von beidem: Nach Aussprache und Liebesnacht mit dem chronisch Kranken am 11. September 2001 endet sie tragisch.

 

Küsse als welthistorische Ereignisse

 

Diese knappe Inhalts-Angabe deutet nicht annähernd den emotionalen Reichtum an, den Regisseur Honoré in seinen Film packt. Den Irrungen und Wirrungen der Gefühle seiner Figuren folgt er bis in feinste Verästelungen, ohne je den roten Faden zu verlieren. Wobei er Schlüssel-Szenen so unnachahmlich beiläufig inszeniert, wie sie im richtigen Leben ablaufen, und ungeniert mit dem Gang der Weltgeschichte kurzschließt: Sind nicht der erste und der letzte Kuss für jeden Einzelnen die wahren welthistorischen Ereignisse?

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine kultiversum-Besprechung des Films "Das Schmuckstück - Potiche" von François Ozon mit Catherine Deneuve.

Ein Dutzend Gesangs-Einlagen, punktgenau platziert, lassen den Zuschauer aufmerken, welche emotionalen Umwälzungen er gerade miterlebt. Wie der Chor in der antiken Tragödie kommentieren die Protagonisten sich selbst: ihre Trauer um verpasste Chancen und ihr Schwärmen für Illusionen, welches das deutsche Wort Sehn-Sucht so treffend ausdrückt.

 

Nicht leben, ohne Dich zu lieben

 

«Ich kann ohne Dich leben, aber nicht, ohne Dich zu lieben», resümiert Madeleine alias Deneuve: So herzensklug und weltweise, so liebevoll nachsichtig mit menschlichen Schwächen und unerbittlich mit Lebenslügen umspringend wie dieses Mehrgenerationen-Melodram war schon lange kein Film mehr. Ein zauberhaftes Kino-Wunder, ganz im Heute verankert und zugleich völlig aus der Zeit gefallen: Da griffe jeder Titel zu kurz.