„The Look of Love“ war 1982 der einzige Welthit der Synthie-Popband ABC. Zwar gibt es auch Burt Bacharachs gleichnamige Schnulze von 1967, die diesem Film den Namen lieh, doch der ABC-Song klingt viel besser: ein himmelwärts stürmendes Mini-Melodram in drei Minuten, das Martin Fry mit dem volltönenden Pathos einer verwundeten Seele schmettert.
Info
The Look of Love
Regie: Michael Winterbottom
99 Min., Großbritannien 2012
mit: Steve Coogan, Imogen Poots, Tamsin Egerton
500 Millionen Pfund in Immobilien
Er war eine blendende Erscheinung, die jederzeit Champagner-Korken knallen ließ. Der Playboy-Mogul konnte sich protziges Auftreten leisten: Ihm gehörten in London ganze Straßenzüge. Anfang der 1990er Jahre soll er der reichste Mann in Großbritannien gewesen sein – das war noch vor den Boni-Exzessen der Finanzbranche. Als er 2008 starb, hinterließ er Immobilien im Wert von mehr als einer halben Milliarde Pfund.
Offizieller Film-Trailer
Mehr als simple Strip-Clubs
Sein Vermögen hatte er allein auf nackter Haut aufgebaut. 1958 eröffnete Raymond im Rotlicht-Viertel Soho eine „Revue-Bar“ nur „für Mitglieder“. Der erste Nachtclub, in dem Mädchen hüllenlos tanzten, konnte sich vor Zulauf kaum retten; in rascher Folge machte er ähnliche Läden auf.
Diese Etablissements waren mehr als simple Strip-Clubs; sie boten Erotik-Shows mit prachtvollen Kostümen und ausgefeilten Choreographien. Solche schlüpfrige Unterhaltung passte perfekt ins swinging London der 1960er Jahre. Ab 1971 gab Raymond außerdem Softporno-Zeitschriften wie „Men Only“ in Millionen-Auflagen heraus.
Erotik-Kolumnistin als Geliebte
Seinen schillernden Werdegang hat Michael Winterbottom nun verfilmt – als Familiendrama. Denn abgesehen von wechselnden Gespielinnen an seiner Seite prägten drei Frauen das Leben von Paul Raymond (Steve Coogan): Gattin Jean (Anna Friel), seine Geliebte Fiona (Tamsin Egerton) und Tochter Debbie (Imogen Poots).
Mit Jean baute er sein Unternehmen auf und kultivierte einen luxuriösen Lebensstil. Nach zehn Jahren verließ er sie für Fiona, mit der er die Früchte seines Erfolgs voll auskostete. Sie wurde Star-Kolumnistin von „Men Only“, aber irgendwann der ewigen Exzesse überdrüssig und ging.
Tochter stirbt an Überdosis
Sein Erotik-Imperium hätte Raymond gern seiner Lieblingstochter Debbie vermacht. Er verhätschelte die labile Schulabbrecherin und finanzierte ihr teure Gehversuche auf der Show-Bühne. Doch 1992 starb sie an einer Drogen-Überdosis; um ihren Vater wurde es einsam.
Als Regisseur ist Michael Winterbottom das genaue Gegenteil seiner Filmfigur: Sein Markenzeichen ist, dass er keinen Stil hat. Sobald ein Drehbuch vorliegt, dreht er es mit kleinem Team rasch herunter. Das funktioniert manchmal ausgezeichnet wie bei „In this world“: Die beklemmende Flucht junger Afghanen erhielt 2002 zurecht den Goldenen Bären.
Mit coolem Esprit auf der Überholspur
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung der Doku "The Big Eden" - über den Playboy Rolf Eden von Peter Dörfler
und hier eine Lobeshymne auf den Film "La Grande Bellezza - Die große Schönheit" - Porträt eines dekadenten Reporter-Dandys in Rom von Paolo Sorrentino
und hier einen Beitrag über den Film "Magic Mike" - über männliche Stripper von Steven Soderbergh
Raymond war eben weder Zuhälter noch Pornograf, sondern ein king of entertainment: nie vulgär oder brutal, immer smart und stilvoll, dabei natürlich gerissen und skrupellos. Ein Spieler, der die Grenzen des Erlaubten auslotete und zu seinen Gunsten verschob. Womit er zugleich die Gesellschaft verändert hat: Das sexuelle laissez-faire der Gegenwart wäre ohne Pioniertaten von ihm und seinesgleichen undenkbar.
Stets ein Bonmot auf Schampus-Lippen
Hierzulande ist nur Rolf Eden mit ihm vergleichbar: Auch er verdiente im Nachtleben ein Vermögen und steckte es in Immobilien, wagte aber keine halbseidenen Geschäftsmodelle. Die erotische Grundversorgung in der Fläche übernahm derweil die biedere Beate Uhse und ihr Clan.
Einen so schillernden Lebemann wie Raymond, stets ein Bonmot auf den mit Schampus benetzten Lippen, kennt die deutsche Sittengeschichte nicht. Seine Klasse lässt dieses Biopic samt look and feel der 1960er bis 1980er Jahre in jeder Einstellung spüren: It’s fingerlickin‘ good.