
Jeder wäre wohl auf ein solches Arbeitszimmer neidisch: frei auf der Kuppe eines Hügels gelegen, mit Blick auf den Himmel und den vor saftigem Grün strotzenden Regenwald. Bis sie ihre Luxus-Schreibstube genießen kann, muss die Dichterin Elizabeth Bishop (Miranda Otto) einen weiten Weg zurück legen – nicht nur geografisch.
Info
Die Poetin –
Reaching for the Moon
Regie: Bruno Barreto,
110 Min., Brasilien 2013;
mit: Miranda Otto, Glória Pires, Tracy Middendorff
Freundin lebt mit Frau zusammen
Außerdem lebt Mary mit einer Frau zusammen, der bekannten Architektin Lota de Macedo Soares (Glória Pires). Zu dieser Zeit ist das in Brasilien noch sehr ungewöhnlich und sogar gefährlich, aber Lota zählt zur high society: Sie kann sich viel mehr Freiheiten erlauben als Normalbürger.
Offizieller Filmtrailer
Farbloser Fremdkörper in Brasilien
Zunächst will die Dichterin nur ein paar Tage bleiben; daraus werden schließlich 15 Jahre. Obwohl sich Lota und Elizabeth anfangs nicht ausstehen können, werden sie ein Paar: Gegensätze ziehen sich an. Lota ist selbstsicher, großzügig, pragmatisch, energisch, von vielen Freunden umgeben und trägt mit Vorliebe Anzüge in satten Farben.
Elizabeth hingegen ist scheu, hat trotz ihrer Erfolge als Autorin wenig Selbstvertrauen, ein Alkoholproblem und bevorzugt Kleidung in fahlen Unfarben. Schon allein damit wirkt sie in Brasilien wie ein Fremdkörper. Sie wird sich aber rasch einleben und später einige ihrer besten Werke in dem Studio schreiben, das Lota auf ihrem großen Landsitz für sie errichten lässt.
Zwei schillernde Weltkultur-Gestalten
Lotas kosmopolitischer Freundeskreis akzeptiert Elizabeth schnell, zumal alle ihre Dichtung kennen und bewundern. Nur ihre alte Freundin Mary ist im Hintertreffen, wird aber noch auf dem Anwesen geduldet – aus alter Freundschaft und weil Lota sich ihr verpflichtet fühlt.
Regisseur Bruno Barreto erzählt diese Geschichte glücklicherweise auf emotionaler Ebene wohltuend kitschfrei. Das liegt vor allem an den hervorragenden Hauptdarstellerinnen, die ihre Figuren glaubwürdig verkörpern und dem Zuschauer zwei schillernde Gestalten der Weltkultur nahe bringen.
Pulitzer-Preis + Unesco-Welterbe
Elizabeth Bishop wurde 1956 für ihren Gedichtzyklus „North & South – A Cold Spring“, der in Brasilien entstand, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Lota de Macedo Soares gestaltete auf einer Brache mitten in Rio de Janeiro den Parque do Flamengo, der heute zum Unesco-Welterbe zählt.
Das Setting des Films schwelgt in allem, was gerade diese Periode – Anfang 1950er bis Mitte der 60er – ästhetisch immer noch interessant macht. Die vermögende Großbürgerin Lota wohnt am Rande des Kurorts Petropolis in der Hügelkette vor Rio de Janeiro auf einem riesigen Landgut mit Bediensteten.
In Hausherrin + Landschaft verlieben
Das Auge kann sich an feinster modernistischer 1950er-Jahre-Architektur in immergrüner Umgebung genauso erfreuen wie am bis ins letzte Detail stimmigen Design der Inneneinrichtung. Bei so viel Schönheit muss man sich verlieben – wenn nicht in die Hausherrin, dann zumindest in die Landschaft.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Kill Your Darlings" - Drama über das Coming Out des Dichters Allen Ginsberg von John Krokidas
und hier einen Beitrag über den Film "Hélio Oiticica" - brillante Doku über den "Andy Warhol Brasiliens" von Cesar Oiticica Filho
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Das Verlangen nach Form" - Neoconcretismo der 1960er Jahre in Brasilien in der Akademie der Künste, Berlin.
Lota pro, Elizabeth contra Putschísten
Allerdings nagt manches an ihrer Beziehung und verschiebt das Kräfteverhältnis: erstens ihr Verhältnis zu Mary, die ein Kind adoptiert hat, und ihre nicht reibungsfreie ménage à trois. Sodann auch der Sturz von Brasiliens Präsidenten João Goulart durch rechtsgerichtete Militärs 1964: Lota arrangiert sich mit den Putschisten, um weiter Aufträge zu bekommen, während Elizabeth diesen Opportunismus mit deutlichen Worten geißelt.
Kurz darauf kehrt sie selbstbewusst nach New York zurück, um an der Universität zu unterrichten. Lota erleidet einen Nervenzusammenbruch, wird immer verzagter und sehnt sich nach ihrer Geliebten. Das kann kein gutes Ende nehmen, doch es wird immer noch ein Ende in makelloser Schönheit.
Perfektion ist etwas langweilig
Es fällt schwer, das als Vorwurf zu formulieren: Aber perfekte Schönheit ist immer auch etwas langweilig – zumal die wunderbar komponierten, opulenten Bilder von einem süßlichen score untermalt werden. Trotzdem: ein Film über eine große, tragische Liebe und zwei Künstlerinnen, die wieder zu entdecken lohnt.