„Stereo“ beginnt wie harmlose deutsche TV-Unterhaltung: mit einer Motorradfahrt über Land bei Sonnenschein. Seine gute Laune lässt sich der Fahrer vom Polizisten nicht verderben, der seinen Gasfuß und ölverschmierte Hände moniert. Dann kommt er bei seiner jungen Freundin an (Petra Schmidt-Schaller), küsst und scherzt und spielt übermütig mit ihrer Tochter. Der Mann ist ein ganzer Kerl – und ein großer Junge, der weiß, wo er hingehört.
Info
Stereo
Regie: Maximilian Erlenwein,
95 Min., Deutschland 2013;
mit: Moritz Bleibtreu, Jürgen Vogel, Petra Schmidt-Schaller
Nach Arztbesuch zur Geistheilerin
Da der Kapuzenmann Henry (Moritz Bleibtreu) fortan nicht mehr von seiner Seite weicht, mit ihm spricht und in Eriks Intimsphäre eindringt, konsultiert der einen Arzt (Fabian Hinrichs) – als das nichts hilft, geht er zur Geistheilerin. Spätestens jetzt wechselt der Regisseur Maximilian Erlenwein ins Fahrwasser des mystery-Thrillers und Psychotrips.
Offizieller Filmtrailer
Küchenpsychologie + romantische Klischees
Was gut schien, wird nicht so bleiben; das Böse offenbart sich immer dort, wo man es nicht vermutet. Etwa im Campingwagen: Der steckt voller Ganoven, die Erik plötzlich heimsuchen und seltsame Forderungen an ihn stellen. Unterweltkönig Keitel (Georg Friedrich) hat mit dem Aussteiger noch eine Rechnung offen: Er war mal eine große Nummer im horizontalen Geschäft – und zog auch seinen Bruder hinein. Das rächt sich nun.
Zur Deutung kann man jede Menge Küchenpsychologie bemühen: von der Flucht vor sich selbst über Schizophrenie bis zur Wiederkehr des Verdrängten. Oder auch jede Menge romantischer Klischees: vom Motiv des Doppelgängers in den „Elixieren des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann bis zu „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“, die Robert Louis Stevenson in die Welt setzte.
Umgedrehte „Schwerkraft“-Rollen
„Stereo“ ist auch ein Enthüllungsdrama, in dem der Jäger die eigene Spur aufnimmt – und darum so unzuverlässig ist wie Leonardo DiCaprio als Ermittler in „Shutter Island“ von Martin Scorsese. Und das unvermeidliche Blutvergießen erinnert an die übliche Gewaltästhetik etwa von Quentin Tarantino. Kein Element dieses Films ist wirklich neu.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Quellen des Lebens" - Zeitgeschichts-Panorama von Oskar Roehler mit Moritz Bleibtreu + Jürgen Vogel
und hier einen Bericht über den Film "Auge um Auge – Out of the Furnace" - atemberaubender Rache-Thriller mit Christian Bale von Scott Cooper
und hier einen kultiversum-Beitrag zum Film "Schwerkraft" - Gangster-Tragikomödie von Maximilian Erlenwein mit Fabian Hinrichs + Jürgen Vogel.
Hysterisch brutales Wienerisch
Dabei kann man die immer rasendere Abfahrt und düstere Stimmungsmalerei einfach genießen – wenn man es aufgibt, in all dem kernigen Geflüster und Geraune über eine milieutypische Intrige um Kohle, Ehre und Rache irgendeinen Sinn finden zu wollen. Und einem Eriks karikaturenhafte Gegenspieler egal geworden sind, die ihre hysterische Brutalität sogar zeitweise wie Keitel in breitestem Wienerisch ausleben.
Am Ende wird wieder Vorabend-Fernsehen zitiert, wenn die blonde Mama erlöst ihre Tochter umarmt. Aber wir befinden uns längst in einem ganz anderen Film – der gesprungen ist wie ein Stofftier, und wie ein leibhaftiger Tiger landet. Das ist für einen deutschen Genre-Film Leistung genug.