
Laut Karl Marx wiederholt sich Geschichte: erst als Tragödie, dann als Farce. So wurde von Erich Mielke (1907-2000), dem langjährigen und vielgehassten Chef des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS; Stasi), ausgerechnet ein spontaner Gefühlsausbruch berühmt. „Ich liebe doch alle – alle Menschen“, sagte der einst allmächtige Apparatschik am 13. November 1989 bei seinem letzten Auftritt vor der DDR-Volkskammer – und erntete nur noch hämisches Gelächter.
Info
Erich Mielke –
Meister der Angst
Regie: Jens Becker + Maarten van der Duin
90 Min., Deutschland 2015;
mit: Kaspar Eichel, Roland Jahn, Beate Laaß
Mix aus Dokumentation + re-enactment
Der vom TV-Sender ARTE mitproduzierte Film wechselt in klassischer Fernseh-Ästhetik zwischen dokumentarischen Passagen und nachgestellten Spielszenen, neudeutsch re-enactments genannt. Sie zeigen Mielke kurz vor und während der Wende 1989/90 sowie in der Untersuchungshaft 1991 im Berliner Gefängnis Moabit.
Offizieller Filmtrailer
Mord an zwei Polizisten 1931
In den Doku-Sequenzen wird Mielkes Werdegang rekonstruiert, der als exemplarisch für die KP-Führungseliten im Ostblock gelten darf. Mielke wuchs in ärmlichen Verhältnissen im Berliner Arbeiterbezirk Wedding auf; als Hochbegabter durfte er zeitweise das Gymnasium besuchen. 1925 trat er der KPD bei und schloss sich Ende der 1920er Jahre dem „Roten Frontkämpferbund“ sowie anderen paramilitärischen Parteigruppen an.
Es war die Hochzeit der Straßenkämpfe zwischen Kommunisten, Nazis und der Polizei. 1931 erschossen Mielke und ein Genosse zwei Polizisten; der Strafverfolgung entzog er sich durch Flucht in die Sowjetunion. Dort wurde er zum linientreuen „Tschekisten“ ausgebildet. Im Auftrag Stalins führte er im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) bei den Internationalen Brigaden politische „Säuberungen“ durch.
Angst als größte Triebfeder
Dabei praktizierte er, was ihn ab 1949 in der neu gegründeten DDR an die Macht bringen und sie vier Jahrzehnte lang behalten lassen sollte: vor allem Manipulationen und Schüren von Angst. Sie sei die „größte Triebfeder menschlichen Handelns“, erklärte er in der Untersuchungshaft einer Psychologin.
Was diesen Idealisten mit krimineller Energie, leichter Paranoia und gewisser sozialer Intelligenz so mächtig und gefährlich machte, eben zum „Meister der Angst“, bekommt der Film aber nicht wirklich zu fassen: Er beschränkt sich auf persönliche Einschätzungen von Zeitzeugen, darunter von Roland Jahn, seit 2011 Leiter der Gauck-Behörde, oder einem Ex-Mitarbeiter des KGB.
Geheimdienstler sieht man nicht
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Anderson" – Dokumentation über den Stasi-Spitzel Sascha Anderson von Annekatrin Hendel
und hier einen Bericht über den Film “Westen” – packendes Drama über von der Stasi unterwanderte DDR-Flüchtlinge von Christian Schwochow
und hier einen Beitrag über die Doku “Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand” zur Abwicklung der DDR-Wirtschaft von Prod. Thomas Kufus.
Auch sein Charakter bleibt blass: Mielke gab sich leutselig, lebte sehr asketisch, war ab 1948 mit derselben Frau verheiratet und für sein Alter sehr fit; wesentlich mehr erfährt man nicht. Nur die Spielszenen mit Kaspar Eichel in der Titelrolle lassen etwas von seinem gefährlichen Wesen erahnen.
Volkspädagogischer Aufklärungsfilm
Im scheinbar jovialen Umgang mit Untergebenen während der Wendezeit und bei Wortwechseln mit einer Psychologin: Sie sollte untersuchen, ob der vitale Greis nach 1990 noch hafttauglich war. Dazu haben Becker und van der Duin Aussage-Protokolle aus verschiedenen Verhören zu einer Gesprächs-Situation verdichtet.
Davon abgesehen setzen die Regisseure viel Vorwissen voraus; nur dann werden die aufgezählten Fakten interessant. Allerlei Kommentare aus dem Off, die Mielkes Biografie in den historischen Kontext einordnen sollen, vermitteln den Eindruck eines volkspädagogischen Aufklärungsfilms. Für mehr sind alle Elemente zu statisch, konventionell und wenig spektakulär; sie führen nur erneut zur deprimierenden Erkenntnis, dass auch das sozialistische Böse ziemlich banal war.