Kein Kurtisanen-Märchen aus 1001 Nacht: Der marokkanische Regisseur Nabil Ayouch beansprucht, den Alltag von Prostituierten in Marrakesch ungeschminkt zu zeigen. Er habe 200 bis 300 von ihnen interviewt, bevor er „Much Loved“ drehte, sagt Ayouch. Käuflicher Sex im muslimischen Marokko? Ein Tabu-Thema – und das soll nach dem Willen der dortigen Behörden auch so bleiben: Sie haben den Film kurzerhand verboten, weil er „eine schwere Beleidigung der moralischen Werte und der marokkanischen Frau“ darstelle.
Info
Much Loved
Regie: Nabil Ayouch,
104 Min., Marokko/ Frankreich 2015
mit: Loubna Abidar, Asmaa Lazrak, Halima Karaouane
Wie Schlüsselloch-Reportage bei RTL II
Das dekadente Treiben kostet die Kamera wollüstig aus; wie in einer sensationslüsternen Schlüsselloch-Reportage bei RTL II über „die zügellosen Sex-Spiele im Edel-Bordell“ oder so ähnlich. Aufgekratzt, genusssüchtig und geldgeil geben sich Noha (Loubna Abidar), Randa (Azmaa Lazrak) und Soukaina (Halima Karaouane) auch, wenn sie nach jeder Nachtschicht ihr dienstbarer Geist Saïd zurück in die gemeinsame Wohnung chauffiert. Alle Freier sind Schweine, die man ausnehmen muss, um sich jede Menge Koks, Hasch und Hochprozentiges zu gönnen.
Offizieller Filmtrailer
Marrakesch nur durch Autofenster zu sehen
Wenn es gut läuft, verdient jede der drei in einer Nacht 500 Euro. Da können sie es sich leisten, ihre Tage mit Popmusik, Videofilmen oder befreundeten drag queens zu vertrödeln. Was ihnen wenig Zeit für andere Sozialkontakte lässt: Soukaina hat einen lover, der sie nach langem Warten kurz rannehmen darf. Randa steht mehr auf Frauen und bändelt flüchtig mit einer an. Die ältere Noha macht Stippvisiten bei ihrer Familie und steckt ihr Geldbündel zu; was sie nicht vor deren eisiger Verachtung bewahrt.
Mag sein, dass Regisseur Ayouch das klandestine call girl-Milieu in Marokkos Großstädten gut trifft – aber ihr endloses Geblödel, dirty talk, ihre Männerverachtung und Träume vom Luxus-Dasein im Ausland gleichen denen von Kolleginnen weltweit. Den Schauplatz Marokko merkt man jedoch dem Film kaum an. Er verharrt in der engen Sphäre aus Aufreißer-Bars, disco dancefloors, Schlafzimmern und der Wohnküche, in der das Trio mehr oder weniger stoned herumalbert. Die Stadt Marrakesch ist allenfalls durch die Fenster ihrer Limousine zu sehen.
Machart arabischer soap operas
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Im Bazar der Geschlechter“ - prägnante Doku über Ehe auf Zeit + Prostitution im Iran von Subadeh Mortezai
und hier einen Bericht über den Film "Sexarbeiterin" - informative Doku von Sobo Swobodnik über den Alltag einer Prostituierten
und hier einen Beitrag über den Film "Jahreszeit des Nashorns – Gergedan Mevsimi" - beeindruckendes Drama mit sich prostituierenden Exil-Iranerinnen von Bahman Ghobadi.
Das erinnert mit ausgedehnten Innenaufnahmen und ausgewalzten Dialogen an die Machart arabischer soap operas. Dabei bleiben die Charaktere trotz ihrer Redseligkeit diffus und profillos: Alle drei sprechen perfekt Französisch, verfügen also über höhere Bildung – warum suchen sie sich nicht einen besseren Job? Aus welchem Grund haben sie sich für Sexarbeit entschieden; in einer Gesellschaft, die sie durch scharfe Sozialkontrolle völlig isoliert? Haben sie noch Kontakt zum früheren Umfeld oder mit ihm gebrochen – und wie ertragen sie das?
So oberflächlich wie Darsteller
Solche Fragen zu Herkunft und Zukunft ignoriert Regisseur Nabil Ayouch ebenso wie seine Figuren. Ihr gedankenloses Sichtreibenlassen durchs Hier und Jetzt mag als Momentaufnahme plausibel sein, aber für einen Film über das Phänomen Prostitution im Maghreb ist das arg wenig: Er wird dadurch genauso oberflächlich wie seine Darsteller. Ihn zu verbieten, ist absurd verklemmt und doppelmoralisch – aber dem marokkanischen Publikum entgeht nicht viel.