Ben Kingsley + Barbara Sukowa

Dalíland

Dali (Ben Kingsley) eröffnet mit Amanda Lear (Andreja Pejic), seiner langjährigen Freundin und Muse, eine Party. Foto: SquareOne Entertainment
(Kinostart: 7.9.) Bildnis des Künstlers als gealterter Lebemann: Ober-Surrealist Salvador Dalí, früher ein Weltstar, ist heute halb vergessen. Die Gründe zeigt Regisseurin Mary Harron in ihrem bestechend präzisen Biopic – darin brillieren Ben Kingsley als Maler und Barbara Sukowa als seine Musen-Furie Gala.

Salvador Dalí (1904-1989) ist ein einzigartiges Phänomen. Seinen Namen kennen alle, doch sein Werk ist aus dem Kunstbetrieb fast verschwunden. Vom halben Dutzend weltberühmter Großkünstler des 20. Jahrhunderts – sagen wir: Picasso, Miró, Magritte, Henry Moore, Andy Warhol und eben Dalí – wird er am wenigsten beachtet, ausgestellt und gehandelt. Als sei sein unbestreitbar überragender Beitrag zum Surrealismus, der seit einigen Jahren wieder neu entdeckt wird, unerheblich geworden.

 

Info

 

Dalíland

 

Regie: Mary Harron,

96 Min., Frankreich/ Großbritannien/ USA 2022;

mit: Ben Kingsley, Barbara Sukowa, Andreja Pejic, Christopher Briney

 

Weitere Informationen zum Film

 

Wie konnte es dazu kommen? Wie es ist möglich, dass sein Name, der einst in den Medien häufiger auftauchte als die von Picasso und Warhol, kaum noch fällt? Obwohl seine wichtigsten Bilderfindungen – schmelzende Uhren, Frauenkörper mit Schubladen, Elefanten auf spindeldürren Beinen, eine brennende Giraffe – immer noch jedem geläufig sind, der nur ein Gran von Kunst versteht? Ebenso sein Antlitz. Es genügt, zwei weit aufgerissene Augen mit dünnem, gezwirbelten Schnurrbart zu skizzieren; sofort ist klar, wer das sein soll.

 

Lebendige surrealistische Skulptur

 

Eine denkbare Erklärung wäre, dass Dalí einen Künstlertyp repräsentierte, der mit ihm untergegangen ist: den exzentrischen und größenwahnsinnigen Alleskönner, der von allem nie genug bekam und jeden Auftritt zu einem bizarren Spektakel stilisierte – quasi als lebendige surrealistische Skulptur.

Offizieller Filmtrailer


 

Spielfilmdebüt über Warhol-Attentäterin

 

Seine psychedelisch überdrehte Version des romantischen Künstlergenies hat sich erledigt. Heutige Großkünstler wie Jeff Koons, Damien Hurst oder Gerhard Richter agieren – passend zur durchökonomisierten Gegenwart – als mittelständische Unternehmer. Sie sind auf Reichweiten- und Umsatzmaximierung bedacht; das Rampenlicht suchen sie nicht.

 

Es wieder auf Dalí zu richten, erscheint daher als beeindruckend antizyklische Idee der kanadischen Regisseurin Mary Harron; ihr Filmemacher-Mann John C. Walsh schrieb das Drehbuch. Harron, die als Punk-Musikjournalistin anfing, kennt sich mit abseitigen Charakteren aus: Ihr Spielfilmdebüt „I Shot Andy Warhol“ (1996) war Valerie Solanas gewidmet, die 1968 auf Andy Warhol ein Attentat verübt hatte.

 

Unfinanzierbar barocker Lebensstil

 

Die Verfilmung von Bret Easton Ellis‘ umstrittenem Roman „American Psycho“ (2000) war Harrons größter Erfolg. Spätere Filme, etwa über die „Königin des Pin-Ups“ Bettie Page (2005) oder das Gefolge des mörderischen Sektenführers Charles Manson („Charlie Says“, 2018), wurden weniger beachtet.

 

Nun porträtiert sie also Dalí. Doch nicht den produktiven Nonkonformisten, der in den 1930/40er Jahren erst in, dann außerhalb der Bewegung unter André Bretons Fuchtel mehr als jeder andere surrealistische Einfälle und Sujets popularisierte; bereits 1936 zierte er als „Mister Surrealism“ die Titelseite des „Time Magazine“. Sondern den gealterten has-been Mitte der 1970er Jahre, der seinen verschwenderisch barocken Lebensstil kaum noch finanzieren kann – würde ihn nicht seine Frau Gala zur Fließbandarbeit antreiben.

 

Strenge Gouvernante für ungezogenes Kind

 

Die berühmt-berüchtigte Gattin von Dalí verkörpert Barbara Sukowa famos: als elegante Dame von Welt im Umgang mit Sammlern, Galeristen und anderen Geldbringern. Und als gestrenge Gouvernante, die ihren Mann wie ein ungezogenes Kind zur Schnecke macht, wenn er nicht liefert. Die femme fatale der Surrealisten – Ex-Frau von Paul Éluard, Ex-Geliebte von Max Ernst – hat aber auch eine weiche Seite: Da ihr im achten Lebensjahrzehnt die Liebhaber nicht mehr zufliegen, protegiert sie einen Musical-Sänger, der bei „Jesus Christ Superstar“ die Hauptrolle mimt. Als sugar mommy für den Heiland – Gala war ausgesprochen gläubig.

 

Ähnlich jung ist James (Christopher Briney): Der Studienabbrecher jobbt in einer Galerie und wird von Dalí als Assistent engagiert. Aus seiner Perspektive erlebt man das Geschehen. Ein simpler, aber produktiver Kniff: Die erfundene Staffagefigur weitet den Blick über die Dalí-Gala-Beziehungskiste hinaus und führt durch ein lustvoll ausgemaltes Sittenbild der Glam-Rock-Ära. Mit Parties voller Paradiesvögel in Hotel-Suiten, kiloweise Hummer, Kaviar und Koks sowie genderfluidem casual sex zu dritt im Nebenzimmer. Dabei schaut der Gastgeber als „Großer Masturbator“ zu; damals hatte er die transsexuelle Amanda Lear (Andreja Pejić) zu seiner neuen Muse erkoren.

 

Extremnarziss als gottgleiches Universalwunder

 

Keine Orgie ohne Kater: Ansonsten verzichtet Regisseurin Harron auf effekthascherische Dramaturgie und zeigt viel vom Arbeitsalltag in „Dalíland“. Zahllose durchgepinselte Tage in Portlligat, seiner isoliert an der Costa Brava gelegenen Künstler-Residenz – da muss der Hausherr für Höhepunkte selbst sorgen. Etwa durch Launen wie seine hysterische Reaktion auf einen blutigen Kratzer, den der Hypochonder schreiend zum sicheren Vergiftungstod aufplustert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Surrealismus und Magie – Verzauberte Moderne" – opulent bestückte Themenschau mit Werken von Salvador Dalí im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Traum-Bilder – Die Wormland-Schenkung" mit Werken des Surrealismus, u.a. von Salvador Dalí, in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier einen Bericht über den Film "Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit"hervorragendes Künstler-Porträt von Julian Schnabel mit Willem Dafoe

 

und hier einen Beitrag über den Film "Hannah Arendt" – faszinierendes Biopic mit Barbara Sukowa als Philosophin von Margarethe von Trotta.

 

Bei etlichen Schauspielern würde das überzogen bis lächerlich wirken. Nicht so bei Ben Kingsley; wer schon 1982 Gandhi dargestellt hat und dafür geadelt wurde, kommt mit Dalí allemal zurecht. Den zwischen Spieltrieb, Outriertheit und Erschöpfung oszillierenden Künstler präsentiert Kingsley so überzeugend, dass man nicht die Achtung vor ihm verliert. Sein Dalí ist keine Witzfigur, sondern wirklich nicht von dieser Welt – wenn der Extremnarziss wieder einmal tönt, er sei ein gottgleiches Universalwunder.

 

Signierte Blanko-Bögen als Sündenfall

 

Das bannt Harron kurz vor Schluss in ein unvergessliches Bild: Dalí steht nachts allein auf einer Meeresklippe und dirigiert wild fuchtelnd den Wind. Sein Tagesgeschäft war allerdings prosaischer – was der zweite Grund sein dürfte, warum die Gegenwart ihn ignoriert. Redlicherweise geht der Film ausführlich darauf ein. Schon zur Halbzeit überredet ein Galerist eine unbedarfte Rentnerin, ihr gesamtes Vermögen für drei Dalí-Lithografien auszugeben, weil bald ihr Wert enorm steigen werde.

 

Gegen Ende folgt der Skandal: Dalís Entourage reicht ihm Blanko-Bögen, die er im Akkord signiert, bevor sie mit beliebigen Grafiken bedruckt werden. Womit er sein Werk inflationiert, was nach seinem Tod endlose Debatten über Fälschungen auslösen wird – und fallende Preise. So begräbt er das romantische Künstlergenie in sich; aus Lebensgier wird reine Geldgier. Als trauriger Clown hat Dalí den Boden für den heutigen überhitzten Kunstmarkt bereitet, mit seinen NFT-Auktionen und ähnlichen Absurditäten. Ein selten realistisches Künstler-Biopic.